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§ 22 Abs. 1 Satz 11 FSA-Kodex Fachkreise, Leitlinie 14.4 [a.F.] gem. § 6 Abs. 2 FSA-Kodex Fachkreise i. V. m. § 22 Abs. 2 zur Auslegung des Begriffs „angemessen“ bei der Bewirtung an Kongressständen 

AZ.: 2014.10-444

Leitsatz

  1. Standausstattung und Standangebot dürfen nicht dazu geeignet sein, eine besondere Qualität der Bewirtung oder eine besondere Exklusivität zu vermitteln und damit den Fokus auf den Fachgesprächen zu beeinträchtigen.

  2. Jede Art der bewussten Herausstellung, die dem Bewirtungsangebot eine besondere Attraktivität verleiht, ist als problematisch anzusehen. Diese Herausstellung kann z.B. daraus folgen, dass besonders große und aufwändige Geräte blickfangmäßig in den Vordergrund gestellt werden, dass besonders trainiertes Standpersonal beschäftigt wird (Hostessen, Barista u.a.), dass eine Vielfalt unterschiedlicher Speisen oder Getränke, die Aromatisierung der Getränke oder deren Dekoration angeboten werden. Der Gesamteindruck muss jeweils im Einzelfall bewertet werden.

  3. Eine Spannbreite von mehr als 25 Artikeln, die tages- bzw. stundenweise variiert, birgt ein erhebliches Risiko, dass Gäste, die zuvor den Stand schon einmal besucht haben, am Folgetag mit einem anderen Speisenangebot konfrontiert und in erster Linie deshalb erneut angelockt werden.

  4. Das Verschulden kann nur ausnahmsweise verneint werden. Bestehen bei ungeklärter Rechtslage verschiedene Möglichkeiten der Interpretation des Verbotsumfangs, ist eine vorsichtige Abwägung und ein zurückhaltendes Ausschöpfen der Norm geboten, um das Risiko eines Verstoßes zu minimieren. Nicht jede Unklarheit über den Verbotsumfang kann, gewissermaßen automatisch, zu einem weiten Handlungsspielraum des Unternehmens und dem Verneinen des Verschuldens führen (im Anschluss an FS II 1/14/2013.2-346; FS II 2/14/2013.2-349; FS II 3/14/2013.2-352 (2. Instanz).

Sachverhalt

Der FSA wurde von dritter Seite darauf hingewiesen, dass u.a. die Bewirtung am Kongressstand der Firma UCB Pharma GmbH bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Düsseldorf in der Zeit vom 17. – 20.09.2014 den zulässigen Rahmen überschritten hätte. Der Beanstandende berief sich dabei auf die [damalige] Leitlinie 14.4 gem. § 6 Abs. 2 FSA-Kodex Fachkreise i. V. m. § 22 Abs. 2 zur Auslegung des Begriffs „angemessen“ (§ 22 Abs. 1 Satz 1), der insoweit präzisierte, dass


„die Bewirtung an Kongressständen dann zulässig und angemessen [ist], wenn diese den allgemein anerkannten Regeln der Höflichkeit entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn etwa Kaffee, Tee und nicht alkoholische Getränke sowie belegte Brote / Brötchen, Kleingebäck oder Süßwaren angeboten werden. Unangemessen dagegen sind Bewirtungen, die einer vollwertigenHauptmahlzeit entsprechen.“

Der Beanstandende war insoweit der Auffassung, dass die Art der Bewirtung über das noch zulässige Maß hinausging.

Die neue Leitlinie 14 in der Fassung vom 27. Januar 2015 war nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Anhörung ergab folgenden weiteren Sachverhalt:

Das Unternehmen hat der Schiedsstelle gegenüber detaillierte Informationen zu Art und Umfang der abgegebenen Getränke und Speisen sowie zu den dabei von den Caterern abgerechneten Kosten zur Verfügung gestellt.

Daraus ergab sich, dass das Angebot am Stand des Unternehmens diverse Kaffeespezialitäten wie Kaffee und Espresso, die auf professionellen Geräten am Stand frisch zubereitet wurden, Tee, nicht- alkoholische Getränke wie Softdrinks,Wasser und frisch gepressten Orangensaft umfasste. Aus dem Foto, das der Schiedsstelle im Rahmen der Beanstandung zur Kenntnis gebracht wurde, ergab sich weiter, dass in die Standarchitektur eine Entsafterstation prominent platziert worden war, zu der ein Verbrauch von 650 kg, d.h. mehr als einer halben Tonne Orangen zu entnehmen war; nach vorsichtiger Schätzung der Schiedsstelle dürften sich daraus mehr als 1500 Saftportionen ergeben haben.

Das Unternehmen hat die besondere Platzierung in Abrede gestellt und darauf hingewiesen, dass der Entsafter aus dortiger Sicht nicht prominent und herausragend positioniert, sondern in der hinteren Ecke des Stands positioniert gewesen sei.

Aus den Caterer-Unterlagen ergibt sich zur Bewirtung im Übrigen, dass am Stand neben Kleingebäck ein umfangreiches, tagesweise wechselndes Sortiment an kleinen Speisen angeboten wurde, über die Gesamtdauer der Veranstaltung insgesamt mehr als 25 verschiedene Artikel. Keine der Speisen entsprach einer vollwertigen Hauptmahlzeit.

Das Unternehmen hält die Variation der Speisen für zulässig und begründete das umfangreiche Sortiment auch damit, vornehmlich seine eigenen Mitarbeiter am Stand in dieser Form verköstigen zu wollen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Schiedsstelle hat bereits in den Verfahren zu Az. 2014.10-439 – 441 ausgeführt, dass die Aufzählung von Speisen und Getränken in der Leitlinie 14.4. [alte Fassung] gem. § 6 Abs. 2 i.V.m.
§ 22 Abs. 2 zur Auslegung des Begriffs „angemessen“ (§ 22 Abs. 1 Satz 1) nur beispielhaft, aber nicht abschließend ist; auch andere Speisen und Getränke können zulässig sein, soweit dies den allgemein anerkannten Regeln der Höflichkeit entspricht. In entsprechenderWeise ist die Präzisierung in der Leitlinie, dass “unangemessen dagegen Bewirtungen [sind], die einer vollwertigen Hauptmahlzeit entsprechen“ nicht dahingehend zu verstehen, dass jede Bewirtung zulässig ist, so lange sie nicht einer vollwertigen Hauptmahlzeit entspricht.

Wenn, wie hier, lediglich eine Bewirtung aus Anlass von Fachgesprächen, neben dem Fachprogramm des Kongresses bzw. in den Pausen stattfindet, ist der Maßstab, an dem sich die Zulässigkeit bestimmter Speisen und Getränke bemisst, enger als bei Arbeitsessen. Die hier zulässige Bewirtung orientiert sich an dem Rahmen, der üblicherweise bei kürzeren Besprechungen aus geschäftlichem Anlass praktiziert wird.

Wie in den Verfahren zu Az. 2014.10-439-441 bereits dargelegt wurde, sieht die Schiedsstelle die Abgabe von frisch zubereitetem Café Latte, Espresso, Cappuccino als zulässig an. Dies gilt auch dann, wenn diese Getränke auf sog. “professionellen” Geräten am Stand frisch zubereitet werden. Die Schiedsstelle sieht jedoch jede Art der bewussten Herausstellung, die dem Bewirtungsangebot eine besondere Attraktivität verleiht, als problematisch an. Dabei ist es unerheblich, ob diese Herausstellung daraus folgt, dass besonders große und aufwändige Geräte blickfangmäßig in den Vordergrund gestellt werden, dass besonders trainiertes Standpersonal beschäftigt wird (Hostessen, Barista u.a.) oder etwa eine Vielfalt unterschiedlicher Kaffeebohnen, die Aromatisierung der Getränke (z.B. mit Gewürzen, Aromen, Kräutern, Nüssen, Sirup, Butter, Früchten, Kakao, Schokolade) oder deren Dekoration (z.B. mit Bildern, Formen, Mustern auf dem Kaffeespiegel oder der geschäumten Milch) angeboten werden. Vielmehr muss der Gesamteindruck jeweils im Einzelfall bewertet werden. Die Standbewirtung darf insgesamt nicht dazu geeignet sein, den Fokus von den Fachgesprächen auf die Bewirtung zu leiten.

Die Schiedsstelle sieht daher auch die Abgabe von frisch zubereiteten Fruchtsäften dann als kritisch an, wenn die Entsafterstation prominent und blickfangmäßig in der Standarchitektur herausgestellt wird. Damit wird dem Stand eine besondere Attraktion gegeben, die schon für sich betrachtet geeignet sein kann, Gäste anzuziehen und zwar unabhängig davon, ob der Besucher Anlass zu Fachgesprächen hat; die verbrauchte Menge an Früchten spricht zudem für den besonderen Anreizcharakter dieses Angebots.

Hinsichtlich der unterschiedlichen eingereichten Fotografien der in die Standarchitektur integrierten Entsafterstation neigt die Schiedsstelle dazu, der Fotografie des Beanstandenden eine höhere Wertigkeit zuzubilligen, weil sie der Außenwahrnehmung des Stands aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten im Zweifel näherkommt als jene des Unternehmens.

Der Eindruck der besonderen Attraktivität wird verstärkt durch die Vielfalt des gastronomischen Angebots. Eine Spannbreite von mehr als 25 Artikeln wäre für Cocktailempfänge oder ähnliche Anlässe noch als üblich anzusehen, bei einer Kongressstandbewirtung ist sie mit dem Maßstab der allgemein anerkannten Regeln der Höflichkeit nicht mehr zu begründen. Die Tatsache, dass dieses Angebot tagesweise variierte, bestärkt aus Sicht der Schiedsstelle diesen Eindruck, auch wenn dadurch jeweils nur ein Teil jener mehr als 25 Artikel pro Tag (- nämlich maximal sechs Artikel zur gleichen Uhrzeit -) angeboten wurden. Aus Sicht der Schiedsstelle besteht durch dieses Angebot ein erhebliches Risiko, dass Gäste, die am Vortag den Stand besucht haben, am Folgetag mit einem anderen Speisenangebot konfrontiert und schon deshalb erneut angelockt werden. Diese besondere Attraktivität lässt sich aus dem eigentlichen Anlass – den Fachgesprächen – nicht herleiten.

Eine vergleichbare Variation und Zahl der Bewirtung konnte die Schiedsstelle bei keinem der bisher anhängigen Parallelverfahren feststellen, so dass sie nicht davon ausgehen kann, dass die vom Unternehmen hier gewählte Praxis üblich wäre.

Soweit das Unternehmen die Variation der Speisen und das umfangreiche Sortiment auch damit begründet, vornehmlich seine eigenen Mitarbeiter am Stand in dieser Form verköstigen zu wollen, bleibt dies dem Unternehmen selbstverständlich unbenommen.Wenn die gleiche Bewirtung aber gegenüber den Fachkreisen praktiziert werden soll, gelten insoweit die Vorgaben des Kodex. Deshalb ist ein Bewirtungsmodell, das im Hinblick auf die eigenen Mitarbeiter gewählt wird, nicht ohne weiteres auf die Kongressstandbewirtung von Fachkreisen übertragbar.

Mit der Leitlinie ist es unvereinbar, wenn die Standausstattung und das Standangebot darauf ausgerichtet oder geeignet sind, eine besondere Qualität der Bewirtung oder eine besondere Exklusivität zu vermitteln und damit der Fokus auf den Fachgesprächen beeinträchtigt wird.

Die Schiedsstelle hat auch das Verschulden des Unternehmens bejaht. Zwar sind Art und Umfang der
angemessenen Bewirtung“ nach Erlass der o. g. Leitlinie von den Unternehmen kontrovers interpretiert worden und waren Gegenstand zahlreicher Anfragen beim FSA. Allerdings kann bei einer Stand-Bewirtung, die, wie oben dargelegt, bei Art und Umfang sowohl des Getränkeangebots als auch der Speisen den Rahmen der Leitlinie so deutlich überschreitet wie im vorliegenden Fall, kein Verbotsirrtum angenommen werden. Gerade dann, wenn das Unternehmen Zweifel am Verbotsumfang der Kodex-Bestimmung hat, ist eine vorsichtige Abwägung und ein zurückhaltendes Ausschöpfen der Norm geboten, um das Risiko zu minimieren.

Ergebnis

Die Beanstandung ist somit begründet. Die UCB Pharma GmbH hat sich – gleichwohl unter Beibehaltung ihrer Auffassung, dass sich die Ausbietung der Speisen und Getränke in einem vertretbaren Rahmen gehalten hat – nach Abmahnung verpflichtet, es zu unterlassen, auf externen Kongressveranstaltungen eine Standbewirtung anzubieten mit einer prominent herausgestellten professionellen Entsafterstation und einem wechselnden Sortiment an Speisen von mehr als 25 verschiedenen Artikeln wie z.B. auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie im Oktober 2014.
Gegen das Unternehmen wurde darüber hinaus eine Geldstrafe in Höhe von 9.000 EUR, zu zahlen zugunsten des Plan International Deutschland e.V. festgesetzt. Die Strafe wurde – ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – gezahlt.

Berlin, im März 2015