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§ 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FSA-Kodex Fachkreise – Fehlende fachliche Leistung für das Unternehmen / „Scheinvertrag“

AZ.: 2011.12-315 (1. Instanz)

Leitsatz

Maßnahmen von Ärzten zur Verbesserung der Therapietreue der Patienten im Rahmen einer mit Präparaten des Unternehmens durchgeführten spezifischen Immuntherapie, wie Schulung der Patienten zur Compliance oder deren telefonische Erinnerung an die Verabreichung oder Verordnung der Präparate, sind keine fachlichen Leistungen für das betreffende Unternehmen, an denen dieses ein nachvollziehbares und gerechtfertigtes Interesse hat. Ein Unternehmen, das Ärzten vertraglich für diese Maßnahmen Vergütungen zusagt, verstößt daher gegen das Verbot von „Scheinverträgen“ gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FSA-Kodex Fachkreise.

Sachverhalt

Die HAL Allergie GmbH (nachfolgend „Unternehmen“) hat im Zeitraum von Juni – Dezember 2011 insgesamt 65 standardisierte Verträge „Über die Teilnahme an Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance bei Hyposensibilisierungs-Patienten“ mit niedergelassenen Ärzten geschlossen. Bei den Ärzten handelte es sich überwiegend um Allergologen, die u.a. Hyposensibilisierungs-Behandlungen, auch spezifische Immuntherapie (nachfolgend „SIT“) genannt, durchführen. Das Behandlungsziel der SIT besteht darin, die Patienten durch Verabreichung von Allergenlösungen, entweder im Wege der subkutanen Injektion oder der sublingualen Applikation von Tropfen, gegen die Allergene zu immunisieren. Die Behandlung ist in verschiedenen Verabreichungsintervallen auf mindestens 3 Jahre angelegt. Ein verbreitet diskutiertes Problem ist, wie Patienten, die eine SIT begonnen haben, zur Weiterführung der Behandlung (Compliance) motiviert werden können, damit die Therapie erfolgversprechend ist.

Das Unternehmen vertreibt Allergenlösungen zur Behandlung im Rahmen der SIT. Maßnahmen und Leistungen, zu denen sich die Ärzte nach dem Vertrag verpflichten, sollen erklärtermaßen der Förderung der Therapietreue der Patienten dienen. Die Gesamtheit der Maßnahmen wird als „Adherence Improvement Program“ („AIP“) bezeichnet. Im Einzelnen sollen die Ärzte folgende Leistungen erbringen: Schulung von Patienten zum Thema Compliance in Gruppen von max. 10 – 20 Teilnehmern sowie Einzel-Patientenschulung, Überwachung der Therapien und Einleitung von Maßnahmen bei vermuteter Non-Compliance, was im Wesentlichen in der Etablierung eines Anrufsystems zur Erinnerung von Patienten an die Termine zur Injektion bzw. zur Nachverordnung von Allergenlösungen besteht. Die Ärzte sollen eine vom Unternehmen zur Verfügung gestellte Vereinbarung mit den Patienten treffen, nach der sich die Patienten mit der regelmäßigen Benachrichtigung einverstanden erklären. Vertraglich ist vorgesehen, dass das Unternehmen den Ärzten zur Unterstützung der Durchführung der Leistungen entsprechende Materialien zur Verfügung stellt, darunter ein Papier im Umfang von einer Seite mit Stichworten für die Patientenschulung sowie Dokumentationsbögen über den Nachweis der durchgeführten Patientenschulungen und der Erinnerungsanrufe im Rahmen des telefonischen Überwachungssystems.

Alle Leistungen der Ärzte sollen nur im Hinblick auf Patienten erfolgen, denen Allergenlösungen des Unternehmens verordnet wurden. Den Ärzten werden lt. Vertrag folgende Vergütungen zugesagt: 200 € für eine Gruppen-Patientenschulung, 10 € für eine Einzel-Patientenschulung, 5 € für jeden Erinnerungsanruf im Rahmen des Therapieüberwachungssystems.

Mit der Beanstandung wird gerügt, das Unternehmen lasse den Ärzten unter dem Vorwand eines Vertrages einseitige Zuwendungen zukommen, die in Wahrheit der Absatzförderung seiner Arzneimittel dienten. Demgegenüber führt das Unternehmen an, die Förderung der Therapietreue und die dadurch mögliche Verbesserung der Behandlungsaussichten sei ein Beitrag zur positiven Wahrnehmung der SIT und liege damit in seinem eigenen Interesse. Im Übrigen frage das Unternehmen Praxiserfahrungen aus dem „AIP-Programm“ ab und gewinne somit Erkenntnisse über die Auswirkungen von Maßnahmen der Compliance-Förderung.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das Unternehmen hat gegen § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FSA-Kodex Fachkreise verstoßen, indem es Ärzten vertraglich ein Entgelt dafür zugesagt hat, dass diese ihre Patienten, die sich einer SIT mit vom Unternehmen vertriebenen Allergenlösungen unterziehen, über die notwendige regelmäßige Verabreichung der Allergenlösungen aufklären („Compliance-Schulung“) und dass sie diese Patienten telefonisch an die wiederkehrenden Termine für die Verabreichung bzw. die Folgeverordnung der Allergenpräparate erinnern bzw. erinnern lassen.

Unternehmen dürfen Angehörige der Fachkreise nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 nur dann mit der Erbringung entgeltlicher Leistungen beauftragen, wenn es sich dabei um eine wissenschaftliche oder fachliche Tätigkeit für das Unternehmen handelt. Der zweite Satz von § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 präzisiert damit die generelle Anforderung des ersten Satzes, wonach ein berechtigter Bedarf an der zu erbringenden Leistung bestehen muss. Liegt ein derart definierter „berechtigter Bedarf“ an einer wissenschaftlich-fachlichen Tätigkeit für das Unternehmen nicht vor, ist ein „Scheinvertrag“ anzunehmen, der eine der Sache nach einseitige Zuwendung an den Arzt verdecken soll (s. dazu Dieners, Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, 3.A. Kap.11 Rn. 149).

Die nach dem Vertrag vergüteten Leistungen der Ärzte werden nicht „für das Unternehmen“ erbracht. Dies gilt sowohl für die „Compliance-Schulung“ der Patienten und die Durchführung des telefonischen Erinnerungssystems zur Verabreichung der Arzneimittel als auch für alle sonstigen (Neben-) Leistungen, die nach § 3 Abs. 1 des Vertrages mit der Vergütung für die beiden vorgenannten Leistungen abgegolten sein sollen.

Ohne Zweifel sind Versuche zur Verbesserung und Sicherung der Patienten-Compliance ein wichtiges Moment bei der zeitlich aufwendigen SIT. Die Förderung solcher Maßnahmen kommt jedoch in erster Linie den Patienten zugute und kann indirekt dem Ansehen und der Akzeptanz des behandelnden Arztes dienen, wenn sich ein Therapieerfolg einstellt. Diese Leistungen erbringt der Arzt daher vor allem für seine Patienten. Aufklärung über Art und Besonderheiten einer Therapie, Einwirken auf Patienten, damit diese einen Beitrag zum Therapieerfolg leisten, gehören zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit. Es mag sein, dass der Arzt für eine „über das Normalmaß hinausgehende“ intensive Aufklärung und Beratung mit den im EBM bzw. der GOÄ festgelegten Leistungsentgelten nicht ausreichend honoriert wird. Eine als Compliance-Schulung bzw. Therapieüberwachung für Patienten erbrachte Leistung, die das Unternehmen dem Arzt vergütet, wird damit noch nicht zu einer „Leistung für das Unternehmen“.

Auch die Ausführungen über ein angeblich bestehendes „medizinisch-wissenschaftliches Bedürfnis“ des Unternehmens an einer möglichst hohen Therapietreue der Patienten vermögen nicht davon zu überzeugen, dass hier Leistungen „für das Unternehmen“ erbracht werden. Es mag sein, dass das Problem der Patienten-Compliance, des „Durchhaltens“ der Therapie, ein wesentliches Moment ist, das die Akzeptanz einer SIT bei Patienten und die Neigung der Ärzte, eine SIT anzubieten, beeinträchtigt. Therapietreue hängt jedoch nicht nur von Verabredungen und organisatorischen Vorkehrungen der unmittelbar Beteiligten (Patient und Arzt) ab, sondern ist durch eine Vielzahl sozialer und individueller Faktoren des Patientenverhaltens bedingt, darüber hinaus auch durch das Auftreten unerwünschter Wirkungen der Arzneimittel und anderer Behandlungsrisiken. Allein das „Abfragen“ der Praxiserfahrungen hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Maßnahmen bei den Ärzten vermag daher keine fachlich-wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen verbesserter Patienten-Compliance auf einen möglichen Erfolg der SIT zu liefern. Für einen solchen Erkenntnisgewinn fehlt es außerdem an allen methodischen Voraussetzungen.

Dass die Kostenträger von einer Förderung der Therapietreue profitieren könnten, weil die Folgekosten einer abgebrochenen SIT mit dem Risiko des Übergangs der Erkrankung in das Stadium des allergischen Asthmas umso höher sind, spricht gerade nicht für die Annahme, hier werde eine fachliche Leistung der Ärzte „für das Unternehmen“ erbracht. Es kann offen bleiben, auf welche Weise das Unternehmen derart „fremdnützige“ Vorhaben, die Patienten, Ärzten und auch Krankenkassen zugutekommen mögen, im Einklang mit rechtlichen Bestimmungen fördern kann. Vertragliche Leistungen von Ärzten dürfen jedoch von Unternehmen nur vergütet werden, wenn ein nachvollziehbares und gerechtfertigtes Interesse des Unternehmens an diesen fachlichen Leistungen feststellbar ist (vgl. Dieners, a.a.O. Kap. 11 Rn. 149).

Möglicherweise wirken sich die Bemühungen der Ärzte um die Erhöhung der Patienten-Compliance in einer Erhöhung der Verschreibungsraten der Allergenpräparate des Unternehmens aus, jedoch wäre dieser mittelbare „Leistungseffekt“ nicht als fachliche Tätigkeit für das Unternehmen i.S.d. § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FSA-Kodex Fachkreise anzuerkennen.

Das Unternehmen hat den Ärzten unter dem Deckmantel einer Vergütung für eine vertragliche Gegenleistung einseitige finanzielle Leistungen zugesagt und letztlich auch erbracht.

Ergebnis

Nach Abmahnung hat HAL Allergie GmbH eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben. Darin verpflichtet sich das Unternehmen, es zu unterlassen, Ärzten ein Entgelt dafür zu versprechen und/oder zu zahlen, dass diese ihre Patienten, die sich einer spezifischen Immuntherapie mit vom Unternehmen vertriebenen Allergenlösungen unterziehen,

einzeln oder in Gruppen darüber aufklären und motivieren, dass sie entsprechend dem Therapieplan sich regelmäßig die Allergenlösungen injizieren lassen oder einnehmen,

und/oder

anrufen bzw. anrufen lassen, um die Patienten an die Injektion bzw. Einnahme der Allergenlösungen zu erinnern.

Für jeden Fall schuldhafter Zuwiderhandlung hat sich das Unternehmen zur Zahlung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 20.000 EUR verpflichtet.

Berlin, im April 2012