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§ 22 Abs. 1 Satz 1,2. Alt. FSA-Kodex Fachkreise

AZ.: 2016.1-495

Leitsätze

1. Die erhobene Beanstandung ist weit auszulegen. Bei einer zu engen Auslegung der Beanstandung liegt eine wesentliche Einschränkung der Prüfungsmöglichkeiten der Schiedsstelle vor, die den Zielen der Freiwilligen Selbstkontrolle zuwiderläuft (vgl. FS II 1/08/2007.10-208 (2. Instanz).

2. Die Internetpräsentation eines Restaurants und die dort wieder gegebenen Speisekarten können als allgemein zugängliche Informationen betrachtet werden, die als verfügbares Beweismaterial im Sinne von § 20 Abs. 3 VerfO bei der Bewertung des Sachverhalts berücksichtigt werden.

3. Im Falle des Fehlens anderer konkreter Informationen über die Kosten der Bewirtung können die Mittelwerte der allgemein verfügbaren Speisekarten des Restaurants als Grundlage für die Bewertung der Kosten der Bewirtung dienen.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens ist eine Beanstandung, der zufolge das Mitgliedsunternehmen Astellas Pharma GmbH Ende August 2015 im Rahmen des wissenschaftlichen Kongresses eine „Schifffahrt und anschließend [ein] großes Abendessen im Sternerestaurant ohne wissenschaftliche Fortbildung“ für „etwa 100 eingeladene Ärzte [und] Mitarbeiter des Unternehmens“ durchgeführt haben soll.

Die weiteren Ermittlungen der Schiedsstelle ergaben:

  • Das Unternehmen hat anlässlich der o.g Veranstaltung ein Arbeitsessen für 53 Ärzte im Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) ausgerichtet, an dem auch Mitarbeiter des Unternehmens teilgenommen haben.
  • Dieses Essen fand im Anschluss an eine Barkassenfahrt im Hamburger Hafen statt, die Gegenstand des – bereits mit einer Unterlassungserklärung abgeschlossenen und veröffentlichten – Verfahrens zu Az. 415.9-486 gewesen ist.
  • Das Essen, so das Unternehmen, habe zur intensiven Besprechung und Diskussion der wissenschaftlichen Themen des Kongresses gedient. Das Protokoll wurde der Schiedsstelle vorgelegt.
  • Das Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) ist kein Sterne-Restaurant im Sinne der Klassifizierung des Guide Michelin. Unterlagen zu Art und Umfang der Bewirtung wurden vom Unternehmen – trotz Aufforderung durch die Schiedsstelle – nicht vorgelegt.
    Nach Auffassung des Unternehmens betreffen die Bewirtungsbelege nicht den vorliegenden Streitgegenstand; Gegenstand der vorliegenden Beanstandung sei ausschließlich die Frage, ob 100 Ärzte am Rande einer internen wissenschaftlichen Veranstaltung in einem „Sternerestaurant“ unzulässiger Weise bewirtet worden seien. Zur Beantwortung weitergehender Fragen sieht das Unternehmen sich nicht als verpflichtet an.

Das Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) ist auf einem Gelände in Hamburg-Blankenese gelegen. Sein Küchenchef zeichnet auch für das auf dem gleichen Gelände gelegene Sternerestaurant Süllberg Seven Seas verantwortlich.
Dieses Gelände wird im in einem führenden Hotel- und Restaurantführer wie folgt beschrieben:

„In dem ehrwürdigen Gebäudeensemble in einzigartiger Lage über Blankenese und der Elbe ist bis heute der Glanz vergangener Tage gegenwärtig.“

In einer weiteren Ausgabe dieses Führers heißt es im Eintrag zum Süllberg Seven Seas:

„Luxuriös und intim die Atmosphäre, wunderbar der Blick auf die Elbe – so wertig der Rahmen, so anspruchsvoll die klassisch-kreative Küche….“

Das Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) wird in der gleichen Ausgabe wie folgt beschrieben:

„Modern-eleganter Stil, ruhige Erdtöne, schöner Schiffsboden… etwas legerer, die Küche saisonal-international.“

Das Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) wird mit einem Paar Besteck bewertet.

Im Guide Michelin wird mit „Sternen“ die Küchenleistung, mit einem Paar gekreuzter Bestecke Komfort, Ausstattung und Service bewertet.

Der Spruchkörper hat die Internetpräsentation des Deck 7 Market Restaurants (Süllberg) am 30. Mai 2016 abgerufen: Daraus ergab sich, dass dort Vorspeisen zwischen 9 und 19 EUR, Zwischengerichte zwischen 14 und 29 EUR, Hauptgänge zwischen 18 und 39 EUR, zusätzlich ein Chateaubriand zu 72 EUR, und Nachspeisen/Käse zu 7 bis 11 EUR angeboten werden; weiter: feststehende Menüs mit vier Gängen zum Preis von 54 EUR und eine Weinbegleitung für 23 EUR.

Das Unternehmen vertrat die Auffassung, diese Preisangaben aus dem Jahr 2016 seien als Beweismittel für die Bewertung der hier in Frage stehenden Veranstaltung nicht verwendbar. Derartige Ermittlungen der Schiedsstelle führten im Übrigen zu einer unzulässigen Ausforschung des Mitgliedsunternehmens und zu willkürlichen Spekulationen, die die Rechte Ihres Unternehmens aus § 20 Abs. 1 und 3 VerfO beschnitten.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Zum Gegenstand der Beanstandung vertritt die Schiedsstelle die Auffassung, dass dort – zumindest in erster Linie – Art und Umfang der Bewirtung kritisch angesprochen werden; dies bestimmt den Streitgegenstand. Ob die Gruppe der bewirteten Personen aus 53 oder 100 Personen, ob die Bewirtung in einem Restaurant stattfand, das mit sog. „Sternen“ bewertet wurde oder nicht, sind keine konstituierenden Elemente des aus der Beanstandung folgenden Streitgegenstands; sie sind für die Kodexbewertung in der Regel auch nicht entscheidend.

Wie die Schiedsstelle bereits im Parallelverfahren zum Az. 2015.1-496 [nicht veröffentlicht] ausgeführt hat, erscheint es fernliegend, anzunehmen, der Beanstandende sei insoweit einem Irrtum über den Inhalt der Kodexbeschränkungen erlegen und habe gerade und nur die Zahl der Teilnehmer in Verbindung mit einem „Sternerestaurant“ beanstanden wollen. Die Kodexregelung zu Art und Umfang der Bewirtung ist seit Jahren etabliert und regelmäßig bei der Kommunikation der Selbstbeschränkungsmaßnahmen der pharmazeutischen Industrie kommuniziert worden; sie nimmt ausdrücklich auf einen „angemessenen und sozialadäquaten Umfang“ Bezug (§ 22 Abs. 1 S. 1 Kodex Fachkreise), nicht aber auf die Zahl der Teilnehmer oder das Vorliegen eines „Sternerestaurants“ o.ä. Aus Sicht der Schiedsstelle ist es deshalb auch offensichtlich, dass mit der Formulierung „großes Abendessen im Sternerestaurant“ gerade Art und Umfang der Bewirtung in einer generellen Form angesprochen werden, selbst wenn der Beanstandende insofern von einer anderen Zahl der Gäste oder – beim Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) – irrigerweise vom Vorhandensein von „Sternen“ ausgegangen sein sollte.

In dieser Hinsicht nimmt der Spruchkörper auch Bezug auf die frühere Klarstellung der Schiedsstelle, dass eine „weite Auslegung der erhobenen Beanstandung (…) dem Sinn und Zweck des Beanstandungsrechts gemäß § 2 Abs. 1 FSA-Kodex und damit dem Sinn und Zweck der Freiwilligen Selbstkontrolle (entspricht). Bei einer zu engen Auslegung der Beanstandung läge eine wesentliche Einschränkung der Prüfungsmöglichkeiten durch den FSA vor, die den Zielen der Freiwilligen Selbstkontrolle zuwiderliefe, insbesondere wenn der Beanstandende (…) die insbesondere internen Einzelheiten nicht kennen kann, die erst im Beanstandungsverfahren zu Tage getreten sind, und in der Beanstandung auf das angewiesen ist, was nach außen in Erscheinung getreten ist“ (FS II 1/08/2007.10-208 (2. Instanz).

Unabhängig davon teilt die Schiedsstelle allerdings die Bewertung des Unternehmens, dass die Bewirtung einer Gruppe von 53 Ärzten zu einem Arbeitsessen der o.g. Art grundsätzlich zulässig sein kann; sie hat insoweit auch keinen Anlass, der Darstellung des Unternehmens und dem vorgelegten Gesprächsprotokoll des Essens weniger Glauben zu schenken als der pauschalen Behauptung in der Beanstandung. Die Schiedsstelle geht deshalb zu Gunsten des Unternehmens davon aus, dass es sich bei der Abendveranstaltung tatsächlich um ein Arbeitsessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. Kodex Fachkreise handelte. Diese Bewirtung war allerdings nur dann zulässig, wenn sie einen „angemessenen und sozialadäquaten Umfang“ wahrte. Dieser Rahmen bemisst sich im Regelfall nicht danach, ob das Restaurant eine bestimmte Anzahl von Sternen, Mützen, Kochlöffeln oder eine ähnliche Prämierung erfahren hat, sondern nach der tatsächlich gereichten Bewirtung.

Ob diese Voraussetzung gegeben ist, würde in der Regel an den Bewirtungsbelegen abzulesen sein. Diese Belege wurden der Schiedsstelle bewusst nicht zur Verfügung gestellt; dies steht im Ermessen des Unternehmens (§ 20 Abs. 3 VerfO). Die Schiedsstelle muss daher allerdings der Frage nachgehen, ob allgemein zugängliche Informationen zum Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) diese Bewertung erlauben. Dazu hat die Schiedsstelle die Internetpräsentation des Restaurants aus dem Mai 2016, also einige Monate nach Durchführung der Veranstaltung, geprüft und die dort wieder gegebenen Speisekarten.

Legt man die Mittelwerte bei drei Gängen, also ohne Zwischengericht, zugrunde, so ergibt sich ein Aufwand für die Bewirtung von 14 + 28,50 + 9 = 51,50 EUR bzw. von 73 EUR bei vier Gängen, im Mittel also 62,25 EUR, zuzüglich der Getränke, die ggf. mit einer Pauschale zu 23 EUR berechnet würden. Das als Hauptgang angebotene Chateaubriand zu 72 EUR wurde dabei bewusst nicht mit einbezogen.

Die Schiedsstelle sieht keinen Grund, die so gefundenen, allgemein zugänglichen Informationen nicht als verfügbares Beweismaterial im Sinne von § 20 Abs. 3 VerfO zu bewerten und bei der Bewertung des vorliegenden Sachverhalts zu verwenden; es ist nicht erkennbar, dass diese Werte für die Art der Bewirtung des hier in Frage stehenden Arbeitsessen wesentlich unter- oder überschritten wurden oder dass die Tatsache, dass zwischen Durchführung der Veranstaltung und Veröffentlichung der Speisekarten im Internet einige Monate liegen. Dies steht auch im Einklang mit der Entscheidung zum Az. FSII 5/07/2006.8-135. Die Behauptung des Unternehmens, die Verletzung der Bewirtungshöchstgrenze sei willkürlich konstruiert, ist unsubstantiiert. Es stand dem Unternehmen im Übrigen frei, die so von der Schiedsstelle ermittelten Daten durch andere zu widerlegen oder durch Vorlage der Bewirtungsrechnung des Restaurants.

Infolgedessen muss die Schiedsstelle davon ausgehen, dass die in der Spruchpraxis festgelegte Grenze von 60 EUR/Person (vgl. Leitlinie 14.2 gemäß § 6 Abs. 2 i. V. m. § 22 Abs. 2 zur Auslegung des Begriffs „angemessen“ (§ 22 Abs. 1 Satz 1) bei der Bewirtung eindeutig überschritten wurde. Die Bewirtung im Deck 7 Market Restaurant (Süllberg) kann daher nicht mehr als zulässig angesehen werden, da sie einen „angemessenen und sozialadäquaten Umfang“ überschritt.

Gegen die Astellas Pharma GmbH war daher eine Geldstrafe in Höhe von 15.000 EUR, zu zahlen zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung, festzusetzen.

Berlin, im November 2016