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§§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 13 Abs. 1 FSA Kodex Fachkreise: Verteilung von Werbematerial mit persönlich gehaltenen, individuellen Nachrichten ohne Absenderkennzeichnung

AZ.: 2016.12-509 und 512

Leitsätze

1. Die Verteilung von Werbematerial mit einem anonym gehaltenen Post-It-Aufkleber und mit einer handschriftlich verfassten Nachricht „Lieber …., schau mal, was ich noch auf dem Tisch hatte. Hast Du damit schon Erfahrungen machen können? LG …“ (o.ä.), stellt einen Verstoß gegen §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 13 Abs. 1 FSA Kodex Fachkreise dar, wenn der Absender der Unterlagen nicht eindeutig und unmittelbar erkennbar ist.

2. Es ist den Unternehmen zuzumuten, Freigabe- und Führungsprozesse zu etablieren, die sicherstellen, dass die vorgesehenen Maßnahmen in detaillierter Form zur Genehmigung vorgetragen werden und zu einem späteren Zeitpunkt noch nachvollziehbar ist, welche konkrete Maßnahmen wie umgesetzt werden sollten und von wem sie in dieser Form freigegeben worden sind.

3. Korrigiert das Unternehmen eine Marketingaktivität durch die Versendung eines sog. „Entschuldigungsschreibens“, so hat dies vor allem dann einen mindernden Einfluss auf die zu verhängende Geldbuße, wenn das Schreiben unverzüglich nach Kenntniserlangung von der Fragwürdigkeit der Werbemaßnahme und zu einem Zeitpunkt versandt wird, der eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit bei den Adressaten erwarten lässt.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens waren zwei von dritter Seite vorgelegte Beanstandungen, das Mitgliedsunternehmen Roche Pharma GmbH habe gegenüber Angehörigen der Fachkreise mit produktbezogenen Unterlagen geworben, nämlich Sonderdrucken aus Fachzeitschriften, die mit einem persona-lisierten Post-It-Zettel versandt worden seien, jeweils mit der individuell handschriftlich verfassten Nachricht „Lieber …., schau mal, was ich noch auf dem Tisch hatte. Hast Du damit schon Erfahrungen machen können? LG Micha“.

Das Unternehmen führte dazu aus, es habe sich dabei um das Individualverschulden eines einzelnen Mitarbeiters gehandelt, mit dem die weitere Zusammenarbeit zwischenzeitlich beendet worden sei; er hätte diese Aktivität gesamthaft organisiert und verantwortet.

In der Zeit von Mitte Oktober bis Mitte November 2016 seien in dieser Art und Weise Sonderdrucke aus vier Fachzeitschriften an insgesamt knapp 10.000 Ärzte versandt worden, die bereits seit 2014/2015 durch den Außendienst abgegeben und jetzt durch diese Verteilung restlos aufgebraucht worden seien.

Jeder Sonderdruck sei in der Tat mit einem individuellen Post-It-Aufkleber der o.g. Art versehen gewesen und in einer handschriftlichen adressierten Versandtasche versandt worden. Dies sei auf dem vorangehenden Brand Team-Meeting besprochen worden, wobei heute unklar sei, welche Details dabei präsentiert worden seien.

Eine Absenderangabe enthielten die Unterlagen nicht, auch nicht der zum Versand benutzte Umschlag. Ob dies auf einem Versehen des mit der Verteilung beauftragten Dienstleisters beruhe oder absichtlich erfolgt sei, habe nicht zweifelsfrei geklärt werden können; der betroffene Mitarbeiter habe behauptet, er sei von einer Absender-Kennzeichnung ausgegangen. Dass der im Unternehmen etablierte Freigabeprozess nicht befolgt worden sei, habe der Mitarbeiter damit erklärt, dass die Sonderdrucke bereits in den Jahren 2014/15 anlässlich des Starts ihrer Verteilung den Freigabeprozess durchlaufen hätten.

Nachdem sowohl das Unternehmen als auch einer der Verlage, dessen Sonderdruck Gegenstand der Aussendung gewesen war, seit Mitte November einzelne Beschwerden von angeschriebenen Ärzten wegen der Anonymität der Aussendung erhalten hätten, habe sich das Unternehmen Mitte Dezember entschlossen, ein Entschuldigungsschreiben an alle zuvor angeschriebenen Ärzte zu versenden. Parallel dazu hatte das Unternehmen durch eine Anfrage einer Journalistin erfahren, dass der Sachverhalt Gegenstand einer Berichterstattung in den Medien werden würde. Das Entschuldigungs-schreiben wurde schließlich unmittelbar vor den Weihnachtstagen versandt. Die Berichterstattung in einzelnen Medien setzte wenige Tage später ein.

Mit Unterlassungserklärung vom 20. Januar 2017, drei Wochen nachdem das vorliegende Verfahren eingeleitet worden war, hatte sich das Unternehmen schließlich gegenüber einem Wettbewerbsverband zur Unterlassung verpflichtet, Sonderdrucke aus einer der betroffenen Fachzeitschriften, abzugeben, und sich dabei zur Zahlung einer Vertragsstrafe für den Wiederholungsfall in Höhe von 5.000 EUR verpflichtet.

Aus den mitgeteilten Einzelheiten ergibt sich, dass der Beschaffungspreis der verteilten Sonderdrucke und die im Zusammenhang mit dem Versand aufgewandten Kosten einen Betrag in Höhe von mehr als 35.000 EUR ausmachten.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Verteilung von Sonderdrucken mit einem anonym gehaltenen Post-It-Aufkleber mit der handschriftlich verfassten Nachricht „Lieber …., schau mal, was ich noch auf dem Tisch hatte. Hast Du damit schon Erfahrungen machen können? LG Micha“ (o.ä.), insbesondere in einer hand-schriftlichen adressierten Versandtasche, hat die Schiedsstelle als Verstoß gegen §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10, 13 Abs. 1 FSA Kodex Fachkreise bewertet.

Durch die Art der Verteilung, nämlich ohne klare und deutliche Absenderkennzeichnung, wurde bei den angesprochenen Ärzten der irreführende Eindruck hervorgerufen, hier erfolge ein persönlicher Hinweis von einem Bekannten oder Freund auf eine Präparate-bezogene Veröffentlichung. Dies hat die Schiedsstelle als irreführend angesehen und eine Verletzung der §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 13 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise festgestellt; die Reaktionen der Betroffenen, die beim Unternehmen und bei einem der Verlage einging, belegten dies.

Ein solcher Hinweis aus dem persönlichen Kreis erfährt erfahrungsgemäß eine höhere Beachtung als eindeutig vom Hersteller versandte Werbestücke. Die Schiedsstelle hielt es darüber hinaus auch für naheliegend, dass dies auch so beabsichtigt gewesen war: Die Du-Form der Anrede; der Aufwand von knapp 10.000 handschriftlichen, individuellen Notizen anstelle eines einheitlichen Anschreibens mit Unternehmens- und/oder Präparate-Branding und schließlich die Frankierung durch individuell aufgeklebte Briefmarken anstelle eines Freistemplers sprachen dafür. Ohne diese Merkmale wäre der fiktive persönliche Hinweis von einem Bekannten oder Freund, wenn er gleichzeitig konterkariert worden wäre durch eine entgegenstehende, klar und offen ausgeführte Absenderkennzeichnung, kaum nachvollziehbar gewesen.

Die Irreführung war dem Unternehmen auch dann zuzurechnen, wenn es sich – wie vorgetragen – um die Aktivität eines einzelnen Mitarbeiters handelte. Auch dieser Mitarbeiter hatte in Ausübung der ihm vom Unternehmen anvertrauten Verantwortung und im Absatzinteresse der Produkte des Unternehmens agiert; die Führungs- und Kontrollmechanismen, die sich u.a. in den SOP’s wiederfinden, waren jedoch offensichtlich nicht ausreichend, um das unzulässige Verhalten zu vermeiden. Dem Unternehmen ist es jedoch zuzumuten, Freigabe- und Führungsprozesse zu etablieren, die sicherstellen, dass die vorgesehenen Maßnahmen in detaillierter Form zur Genehmigung vorgetragen werden und zueinem späteren Zeitpunkt auch noch nachvollziehbar ist, welche konkrete Maßnahmen wie umgesetzt werden sollten und von wem sie in dieser Form freigegeben worden sind. Dies zu organisieren, ist Teil der Unternehmensverantwortung.

Die Frage auf dem Post-It-Zettel „Hast Du damit schon Erfahrungen machen können?“ machte schließlich deutlich, dass die Unterlagen als Werbestücke für ein spezifisches, für den Adressaten ohne weiteres erkennbares Arzneimittel des Unternehmens anzusehen waren. Da die Angabe der in § 10 FSA-Kodex Fachkreise genannten Pflichtangaben fehlte, war auch diese Vorschrift verletzt.

Die Wiederholungsgefahr war durch die Unterlassungserklärung gegenüber einem dritten Wettbe-werbsverband im Wesentlichen nicht ausgeräumt. Diese Erklärung bezog sich zunächst lediglich auf Sonderdrucke aus einer der verteilten Zeitschriften; sie ließ die anderen Sonderdrucke unberührt. Im Übrigen hatte die Schiedsstelle Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erklärung, da für den Fall des Ver-stoßes lediglich eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 EUR versprochen war. Dies wäre bei einer Aussendung an einen Arzt sicherlich angemessen, bei einer an knapp 10.000 Adressaten gerichteten Aktion jedoch nicht. Eine insoweit hinreichende Klarstellung (z.B. durch den Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs) enthielt die Unterlassungserklärung jedoch nicht.

Die Roche Pharma AG wurde daher gemäß § 20 Abs. 4 der FSA-Verfahrensordnung abgemahnt, das beanstandete Verhalten künftig zu unterlassen. Das Unternehmen hat daraufhin die von der Schieds-stelle geforderte Unterlassungserklärung abgegeben und zur Ausräumung der bestehenden Wieder-holungsgefahr sich unter ausdrücklichem Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs verpflichtet, im Falle der Wiederholung ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 10.000 zu zahlen. Im Übrigen hat sich das Unternehmen mit der Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 28.000 EUR einverstanden erklärt; bei deren Höhe hat die Schiedsstelle einerseits den Umfang der Aktion, andererseits aber strafmindernd die Unterstützung des Unternehmens bei der zügigen Aufklärung, die Umsetzung disziplinarischer Maßnahmen und die bereits abgegebene Unterlassungserklärung berücksichtigt.

Das Entschuldigungsschreiben des Unternehmens gegenüber den Ärzten konnte die Schiedsstelle nur mit Einschränkungen strafmindernd berücksichtigen, da dieses Schreiben erst spät, nämlich fast fünf Wochen nach Eingang der ersten Beschwerden ausgefertigt und zu einem Zeitpunkt versandt wurde, der erfahrungsgemäß eine vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit bei den Adressaten zur Folge hat, nämlich unmittelbar vor dem Weihnachtsfest und der daran sich anschließenden Urlaubszeit.

Die potentielle Rufschädigung, die mit der Berichterstattung in den Medien einherging, hat die Schiedsstelle nicht strafmindernd berücksichtigen können, da für diese allein das Verhalten des Unternehmens ursächlich gewesen ist.

Berlin, im Februar 2017