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§§ 20 Abs. 5 S. 2 , Abs. 6 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 FSA-Verfahrensordnung (VerfO); § 19 Abs. 2 S. 1 FSA-Kodex Fachkreise – Verhältnis von Regelverfahren und Fortsetzung des Verfahrens bei Teilbarkeit des Gegenstandes der Beanstandung und teilweiser Unterlassungserklärung im Regelverfahren; Bestreiten eines Kodexverstoßes im Fortsetzungsverfahren trotz im Regelverfahren abgegebener Unterlassungserklärung; Weitergeltung der BfArM – Empfehlungen zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen (AWB) vom 12.11. 1998

AZ.: FS II 1/09/2006.11-151

Leitsätze

1. Geht es im Regelverfahren nach § 20 VerfO um mehrere gesondert zu prüfende Beanstandungen (Teilbarkeit des Gegenstandes der Beanstandung), kann das betroffene Unternehmen hinsichtlich einzelner Beanstandungspunkte eine „insoweit“ verfahrensbeendende Unterlassungserklärung abgeben. Der Gegenstand der Beanstandung ist in diesem Sinne auch teilbar, wenn es sich um mehrere Beanstandungspunkte hinsichtlich einer AWB handelt.

2. Erkennt der Spruchkörper 1. Instanz im Fortsetzungsverfahren nach § 22 VerfO die Beanstandung in den Punkten, in denen das Unternehmen im Regelverfahren keine Unterlassungserklärung abgegeben hat, für unbegründet, ist das Verfahren insgesamt einzustellen. Die Feststellung eines Kodexverstoßes hinsichtlich der Punkte, in denen sich das Unternehmen im Regelverfahren unterworfen hatte, ist nicht zulässig, weil sich nachträglich herausstellte, dass die Beanstandung im Regelverfahren beendet war.

3. Bestreitet das betroffene Unternehmen im Fortsetzungsverfahren einen Kodexverstoß auch hinsichtlich der Punkte, in denen es im Regelverfahren eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, liegt darin noch kein stillschweigender Widerruf der Unterlassungsverpflichtung, sondern ein Vorbringen lediglich zur Rechtsverteidigung.

4. Die Empfehlungen des BfArM zur Planung, Durchführung und Auswertung von AWB vom 12.11.1998 in der Fassung der Veröffentlichung im BAnZ Nr. 229, S. 16884 vom 04.12.1998 sind im Rahmen des § 19 Abs. 2 S. 1 FSA-Kodex Fachkreise zu beachten, solange sie nicht durch eine Neufassung ersetzt sind und soweit sie nicht gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstoßen.

Sachverhalt

Das Mitgliedsunternehmen führte in der Zeit von Januar 2005 bis Februar 2006 eine Anwendungsbeobachtung zu dem Medikament XY durch. Desweiteren wurde unmittelbar nach Einführung des Präparats in Deutschland eine Folgevisite/-dokumentation nach etwa 6 Monaten innerhalb der Anwendungsbeobachtung durchgeführt. Einen zusätzlichen separaten Beobachtungsplan/Ablaufschema für die Folgevisite/-dokumentation gab es nicht.

In der Sendung „Frontal 21“ vom 7. November 2006 behauptete eine namentlich nicht genannte Mitarbeiterin des Unternehmens:

„Die ganzen Methoden wurden zur Vermarktung von Dauermedikationen angewendet. Zum Beispiel beim … Medikament X oder Y, diese wurden von uns mit Anwendungsbeobachtungen in den Mark gedrückt – damit waren wir auch sehr erfolgreich.“.

Der Vorstand des FSA beschloss am 13. November 2006, wegen der Anwendungsbeobachtung zum Medikament XY ein Beanstandungsverfahren einzuleiten.

Das Unternehmen wies die erhobenen Vorwürfe zurück.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2007 beauftragte der FSA das Institut für angewandte Statistik Dr. Jörg Schnitker (IAS), eine biometrische Prüfung der Anwendungsbeobachtung sowie der Follow-up Studie durchzuführen. Auf die gutachterlichen Stellungnahmen des IAS vom 30. Mai 2007 und vom 26. und 27. November 2007 wird Bezug genommen.

Der FSA nahm Verstöße gegen § 19 Abs. 1 und 3 FS-Kodex 2006 an und mahnte das Unternehmen mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 ab. Es sollte sich verpflichten, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr eine Anwendungsbeobachtung eines auf dem Markt befindlichen Arzneimittels durchzuführen, ohne dass Studienplan und Studiendurchführung Angaben

  • zur Repräsentativität der teilnehmenden Ärzte sowie der einzuschließenden Patienten
  • zu Standards für Patienteneinschluss
  • über die einzubeziehende Anzahl der Patienten pro Arzt
  • zur substantiellen biometrischen Vorgehensweise
  • zum Studienplan für eine Langzeitdokumentation
  • zur analytischen Auswertung
  • zu einem Missing-Value-Handling für qualitative Daten

enthalten, wie mit der in der Zeit von Januar 2005 bis März 2006 durchgeführten Anwendungsbeobachtung geschehen.

Mit Schreiben vom 22. Januar 2008 bestritt das Unternehmen die meisten der ihr vorgeworfenen Mängel und gab im Übrigen die Verpflichtungserklärung ab, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 15.000 € zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr eine Anwendungsbeobachtung eines auf dem Markt befindlichen Arzneimittels durchzuführen, ohne dass im Studienplan

  • Angaben zur Repräsentativität der teilnehmenden Ärzte sowie der einzuschließenden Patienten
  • Angaben über die einzubeziehende Anzahl der Patienten
  • Angaben für eine Follow-up Langzeitdokumentation

gemacht werden, wie mit der in der Zeit von Januar 2005 bis März 2006 durchgeführten Anwendungsbeobachtung geschehen.

Der FSA holte eine weitere Stellungnahme des IAS ein. Auf die gutachterliche Stellungnahme vom 9. April 2008 wird Bezug genommen. Dazu hat das Unternehmen das Gutachten von Prof. N.N. vom 27. Juni 2008 eingeholt. Darauf wird ebenfalls Bezug genommen.

Am 28. August 2009 erließ der FSA folgende Entscheidung:

1) Es wird festgestellt, dass das Unternehmen im Rahmen der Planung und Durchführung einer Anwendungsbeobachtung mit dem Arzneimittel XY sowie bei Planung und Durchführung einer Langzeitdokumentation für XY die durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichten Empfehlungen zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen vom 12.11.1998 (bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 229, S. 16884 vom 04.12. 1998) nicht beachtet und somit gegen § 19 Abs. 3 und, soweit die geplante Zahl der Patienten nicht begründet wurde, auch gegen § 19 Abs. 4 des FSA-Kodex (jetzt „FSA-Kodex Fachkreise“) in der Fassung vom 02.12.2005 (bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 29.03.2006, BAnz. – Nr. 62, S. 2220) verstoßen hat.

2) Das Unternehmen wird verpflichtet, es zu unterlassen, eine Anwendungsbeobachtung mit einem auf dem Markt befindlichen verschreibungspflichtigen Arzneimittel durchzuführen, ohne dass im Beobachtungsplan

  • Maßnahmen zum Erreichen von Repräsentativität für Ärzte und Patienten beschrieben werden und/oder
  • eine Begründung der Zahl einzubeziehender Patienten gegeben wird und/oder
  • eine zusätzlich durchgeführte Langzeitdokumentation im Zeitraster der Beobachtung ausgeführt wird, wie bei der im Zeitraum Januar 2005 bis März 2006 durchgeführten AWB und der Langzeitdokumentation geschehen.

3) Für jeden Fall schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus vorstehender Ziffer 2 hat das Unternehmen ein Ordnungsgeld gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 der „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung in Höhe von 15.000 € zu zahlen.

In der Begründung der Entscheidung wird ausgeführt, dass in weiteren Punkten die in der Abmahnung erhobenen Beanstandungen unbegründet sind und insoweit keine Kodexverstöße vorliegen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen die Entscheidung hat das Unternehmen fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen zugleich begründet. Es macht geltend: Zu den drei restlichen, noch im Streit befindlichen Punkten habe sie auf die Abmahnung hin eine strafbewehrte Verpflichtungserklärung abgegeben. Insoweit hätte der FSA das Beanstandungsverfahren einstellen müssen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig.

Gegenstand des Einspruchsverfahrens sind nur diejenigen Beanstandungen, die in der angefochtenen Entscheidung zur Annahme eines Kodexverstoßes geführt haben, dagegen nicht auch diejenigen Beanstandungen, die der Spruchkörper 1. Instanz als unbegründet angesehen hat. Der Gegenstand der Beanstandung ist teilbar. Es geht um einzelne Punkte der AWB, die separat zu bewerten sind, insbesondere an Hand der Empfehlungen des BfArM vom 12. November 1998, auf die der FS-Kodex Bezug nimmt.

Der Einspruch ist begründet.

1) Allerdings hat der Spruchkörper 1. Instanz zu Recht die Empfehlungen des BfArM vom 12. November 1998 herangezogen.

Die Empfehlungen 1998 sind gemäß § 5 Absatz 3 Satz 1 des hier maßgebenden FS-Kodex 2004 (= § 19 Absatz 3 Satz 1 FS-Kodex 2006 = § 19 Absatz 2 Satz 1 FS-Kodex 2008) bei Anwendungsbeobachtungen zu beachten. Sie sind im Rahmen des FS-Kodex anzuwenden, solange keine neuen an ihre Stelle getreten sind und soweit sie nicht gegen das AMG verstoßen sollten, was hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Regelungen nicht in Betracht kommt. Der Spruchkörper 2. Instanz schließt sich der überzeugenden Begründung der Entscheidung 1. Instanz an.

2) Der Einspruch hat jedoch aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg. Die Verstöße, die der Spruchkörper 1. Instanz in seiner Entscheidung bejaht hat, sind Gegenstand der abgegebenen Unterlassungserklärung, mit der Folge, dass das Beanstandungsverfahren insoweit mit der Abgabe der Unterlassungserklärung bereits in 1. Instanz endete.

a) Gibt das betroffene Mitglied im Regelverfahren 1. Instanz auf die Abmahnung des FSA hin die geforderte Unterlassungserklärung ab, so greift § 20 Abs. 5 Satz 2 VerfO ein. Dort heißt es: „Mit Abgabe der Unterlassungserklärung … des betroffenen Mitglieds endet das Verfahren.“. § 20 Abs. 6 Satz 1 VerfO lautet: „Gibt das betroffene Mitglied nicht die verlangte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, wird das Verfahren fortgesetzt …, es sei denn der Spruchkörper 1. Instanz erkennt eine von der verlangten Unterlassungserklärung abweichende Unterlassungserklärung des betroffenen Mitglieds als eine hinreichende Unterlassungserklärung an.“. Ob es sich bei einer abweichenden noch um eine hinreichende Unterlassungserklärung handelt, hat der Spruchkörper 2. Instanz zu überprüfen.

Geht es im Regelverfahren 1. Instanz um mehrere separat zu prüfende Beanstandungen, kann das betroffene Mitglied zu einzelnen Punkten eine verfahrensbeendende Unterlassungserklärung abgeben und insoweit eine Beendigung des Verfahrens herbeiführen. Das Beanstandungsverfahren ist in einem solchen Falle nicht etwa deshalb insgesamt fortzusetzen, weil keine umfassende Unterlassungserklärung abgegeben worden ist.

b) Gemäß der zitierten Regelung in der Verfahrensordnung endete das Beanstandungsverfahren mit Abgabe der Unterlassungserklärung vom 12. Dezember 2007, soweit es um die Punkte geht, die im Einspruchsverfahren noch umstritten sind. Die abgegebene Unterlassungserklärung stimmt in diesen Punkten mit der verlangten Unterlassungserklärung inhaltlich überein.

Die Abweichungen sind rein redaktionell und daher belanglos. Jedenfalls handelt es sich um eine „hinreichende Unterlassungserklärung“ im Sinne von § 20 Abs. 6 Satz 1 VerfO.

Dem entspricht es, dass die in der 1. Instanz ausgesprochenen Verbote inhaltlich nicht über die abgegebene Unterlassungserklärung hinausgehen. Sie sind lediglich etwas anders formuliert worden. In der Sache stimmen sie mit der Unterlassungserklärung überein. – Soweit es um die einzubeziehende Anzahl der Patienten „pro Arzt“ geht, hat der Spruchkörper 1. Instanz die Beanstandung in seiner Entscheidung als unbegründet angesehen.

Da wie dargelegt der Gegenstand des Beanstandungsverfahrens teilbar ist, endete dieses, soweit die Unterlassungserklärung reicht. Das trifft auf alle noch umstrittenen Punkte zu. Eine Fortsetzung des Beanstandungsverfahrens war insoweit daher nicht mehr möglich, sondern kam allein wegen solcher Beanstandungen in Betracht, zu denen das betroffene Mitglied keine Unterlassungserklärung abgegeben hat. Da der Spruchkörper 1. Instanz diese Beanstandungen in seiner Entscheidung als unbegründet angesehen hat, hat sichnachträglich herausgestellt, dass insoweit die Abmahnung unbegründet war und das Beanstandungsverfahren hätte eingestellt werden müssen, während hinsichtlich der verbliebenen Verstöße eine strafbewehrte Unterlassungserklärung vorlag, durch die das Beanstandungsverfahren endete.

c) Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass das betroffene Mitglied in seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2009 unter Bezugnahme auf das von ihm eingereichte Gutachten zu allen Punkten einen Kodex-Verstoß wegen Nichtbeachtung der Empfehlungen und Richtlinien des BfArM bestreitet und nach diesem Gutachten außerdem nur wegen des Punktes „Fehlende Ausführungen zur Repräsentativität der teilnehmenden Ärzte“ ein Verstoß vorliege.

Maßgebend bleibt nach wie vor die rechtsverbindliche Verpflichtungserklärung des betroffenen Mitglieds vom 12. Dezember 2007. Es hat diese Erklärung nicht etwa wirksam gekündigt. Das scheitert bereits daran, dass es an einer Kündigungserklärung fehlt.

In dem genannten Schriftsatz ist ausdrücklich keine Kündigung erklärt worden. Das ist auch nicht stillschweigend geschehen. Das betroffene Mitglied hat in keiner Weise zu erkennen geben, dass sie an der Unterlassungserklärung nicht mehr festhalten wolle. Der Schriftsatz diente lediglich der Rechtsverteidigung.

Das betroffene Mitglied hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass es die Verbindlichkeit der abgegebenen Unterlassungserklärung nicht in Frage gestellt habe und an der Unterlassungserklärung festhalte.

Abgesehen davon fehlt es auch an einem wichtigen Grund für eine Kündigung.

Ergebnis

Da das Beanstandungsverfahren, soweit es in die 2. Instanz gelangt ist, bereits durch die Abgabe der Verpflichtungserklärung in 1. Instanz endete, ist die Entscheidung 1. Instanz aufzuheben und insoweit die Beendigung des Beanstandungsverfahrens auszusprechen.

Berlin, im Dezember 2009