FS Arzneimittelindustrie e.V.

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§ 20 Abs.1,3 S.2 i.V.m. § 6 Abs.2 FSA-Kodex Fachkreise und den Leitlinien des FSA-Vorstandes Nr. 12, 13 und 14 zur Auswahl einer
Tagungsstätte und zur Einladung von HCP allein nach sachlichen Gesichtspunkten

Az. II. Instanz: FS II 1-24-2023.10-696

Die Einladung zu einer Fortbildungsveranstaltung erfolgt nicht „allein nach sachlichen Gesichtspunkten” (§ 20 Abs. 3 S. 2 FSA-Kodex Fachkreise), wenn sie durch ihre Gestaltung sachfremde Anreize aufweist, die die teilnehmenden HCP einen zusätzlichen sachfremden Nutzen erwarten lässt.

Leitsätze

  1. § 20 Abs. 3 S.2 FSA-Kodex Fachkreise ist so auszulegen, dass sowohl die Auswahl der Tagungsstätte als auch die Einladung von HCP zu einer Fortbildungsveranstaltung „allein nach sachlichen Gesichtspunkten“ zu erfolgen haben. Hiernach dürfen von der Einladung von HCP (Einladungsschreiben oder Einladungsflyer) als solcher keine sachfremden Anreize ausgehen, die geeignet sind, die Entscheidung der eingeladenen HCP über die Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung zu beeinflussen. Ein sachfremder Anreiz der Einladung ist dann anzunehmen, wenn die eingeladenen HCP durch die Gestaltung der Einladung von der Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung einen zusätzlichen sachfremden Nutzen erwarten dürfen.
  2. Der Vorsitzender des Spruchkörpers 1. Instanz ist gemäß § 6 Abs. 6 S.1 der FSA-Verfahrensordnung Verfahrensbeteiligter und dementsprechend berechtigt, in der mündlichen Verhandlung des Spruchkörpers 2. Instanz Stellung zu nehmen, § 11 Abs. 4 S.2 FSA-Verfahrensordnung.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens ist die Beanstandung, die Berlin-Chemie AG habe am 16. September 2023 eine Fortbildungsveranstaltung „interaktiver, Fall basierter Workshop“ im Restaurant Lodge, am Opel Zoo 3, 61476 Kronberg durchgeführt. Nach Auffassung des Beanstandenden verstößt die Durchführung der Fortbildungsveranstaltung gegen § 20 Abs. 3 FSA-Kodex Fachkreise, da die Auswahl der Tagungsstätte nicht den Vorgaben des FSA-Kodex Fachkreise und den dazu erlassenen Vorstandsleitlinien entspricht. Das Restaurant Lodge sei unangemessen für eine medizinisch-wissenschaftliche Fortbildungsveranstaltung und zudem suggeriere das Foto auf der Einladung einen anderen Kontext als eine Fortbildung.

Das Einladungsschreiben enthielt ein farbiges Bild, das zwei Giraffen zeigt, die ihre Hälse durch ein offenes Fenster der Lodge steckten und sich an einem Tisch an den dort aufgestellten Leckerbissen gütlich taten.

Die Berlin-Chemie AG hat die Durchführung der Fortbildungsveranstaltung in dem Restaurant Lodge eingeräumt, jedoch die Auffassung vertreten, dass die Auswahl des Restaurants als Tagungsstätte den Kriterien des FSA-Kodex Fachkreise entspräche und den Rahmen wahre, den der Kodex Fachkreise und die dazu erlassenen Leitlinien vorgeben. Nach Ansicht der Berlin-Chemie AG gehe von dem Restaurant Lodge keine Anreizwirkung aus. Zudem enthalte die Tagungsstätte kein Angebot, dass über den typischen Standard eines 4 Sterne Business-Hotels oder Kongresszentrums hinausgehe.

Zum Verfahrensgang

Der Spruchkörper 1. Instanz hat einen Verstoß gegen § 20 Abs.3 FSA-Kodex Fachkreise i. V. m. der Leitlinie Nr. 12 und Nr. 14 festgestellt und dementsprechend eine Abmahnung gegen die Berlin-Chemie AG ausgesprochen. Die Abmahnung wurde mit der Anreizwirkung begründet, die das Restaurant Lodge ausstrahlt. Nach Auffassung des Spruchkörpers 1. Instanz ist bezüglich der Auswahl einer geeigneten Tagungsstätte entscheidend, dass die Tagungsstätte keine Angebote vorhält, die über den Standard eines typischen Business- oder Konferenz-Hotels hinaus gehen.

Die Berlin-Chemie AG hat die Abgabe der von dem Spruchkörper 1. Instanz geforderten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgelehnt, so dass der Spruchkörper 1. Instanz nach einer mündlichen Verhandlung die von der Berlin-Chemie vorgebrachten Argumente überprüft hat. Der Spruchkörper 1. Instanz blieb bei seiner Bewertung aus der Abmahnung und hat am 26. März 2024 entschieden, dass es im Ergebnis bei seiner in der Abmahnung dargelegten Bewertung bleibt und ein Kodexverstoß vorliegt.

Gegen diese Entscheidung hat die Berlin-Chemie AG Einspruch eingelegt, so dass dieses Verfahren vor dem Spruchkörper 2. Instanz fortzusetzen war.

Wesentliche Gründe der Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz

Der Einspruch der Berlin-Chemie AG ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Spruchkörper 2. Instanz hat am 20. November 2024 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der dem betroffenen Unternehmen Berlin-Chemie AG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Auch der Spruchkörper 1. Instanz als Verfahrensbeteiligter (§6 Abs. 6 S. 1 FSA-Verfahrensordnung) hat in der mündlichen Verhandlung des Spruchkörpers 2. Instanz berechtigterweise Stellung genommen.

Relevante Vorschriften und deren Auslegung

Die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz kam, gestützt auf § 20 Abs. 3 S. 3, 4 FSA-Kodex Fachkreise in Verbindung mit den Vorstandsleitlinien 12, 13 und 14 zu dem Ergebnis, dass die Auswahl der Tagungsstätte kodexwidrig ist. Maßgeblich für die Bewertung des Spruchkörpers 1. Instanz war nicht nur der Wortlaut der Kodexvorschriften sowie der vom FSA-Vorstand verfassten Leitlinien, sondern auch die dahinterstehende Intention. Die Bewertung des Sachverhalts und die damit verbundene Auslegung der Begriffe „Anreizwirkung, Erlebnischarakter, Unterhaltungswert und extravagant“ hat nach Auffassung der 1. Instanz nach der zum 1. Januar 2021 in Kraft getreten Leitlinie Nr. 12 aus Sicht eines unbeteiligten Dritten, also der breiten Öffentlichkeit zu erfolgen. Das vom FSA-Vorstand mit der unter 12.2 revidierten Leitlinie verfolgte Ziel war es, Reputationsrisiken zu vermeiden. Das führt im Hinblick auf die Bewertung der Auswahl einer Tagungsstätte zu einem bedeutenden Paradigmenwechsel, der eine strengere Sicht nach sich zieht. Vor diesem Hintergrund handelte es sich aus Sicht der Schiedsstelle 1. Instanz bei der Tagungsstätte „Lodge“ um eine ex-travagante Tagungsstätte, das sich nicht in erster Linie als typisches Konferenz-Hotel auszeichnet, sondern durch sein gesamtes Ambiente einen deutlichen Erlebnischarakter im Sinne der Leitlinien Nr. 12 und Nr. 14 aufweist.

Der Spruchkörper 2. Instanz stellt hinsichtlich des Kodexverstoßes auf die Einladung zur Fortbildungsveranstaltung ab. Hinsichtlich der Bewertung des „entscheidend prägenden Erlebnischarakters“ beziehungsweise der Extravaganz der Tagungsstätte „Restaurant Lodge“ durch die 1. Instanz haben einzelne Mitglieder des Spruchkörpers 2. Instanz im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine abweichende Position vertreten. Eine Entscheidung dieser Fragen konnte nach Auffassung des Spruchkörpers 2. Instanz dahinstehen, da nach seiner Ansicht bereits die Einladung der HCP aufgrund ihrer Gestaltung gegen § 20 Abs. 3 S. 2 FSA-Kodex Fachkreise verstieß. Denn das darin dargestellte Bild von den beiden an einem Esstisch des Restaurants Lodge äsenden Giraffen entsprach zwar nicht der Lebenswirklichkeit, es entfaltete aber gleichwohl eine ganz besondere Suggestiv- und damit Anreizwirkung auf die eingeladenen HCP. Sie konnten und sollten nämlich den Eindruck gewinnen, das Restaurant liege so nahe am Zoo, dass sich auch Giraffen in Sichtweise aufhalten. Dieser Eindruck wurde durch die Bezeichnung des Restaurants als Lodge und deren typische Einrichtung als afrikanische Lodge am Rande einer afrikanischen Savanne noch verstärkt. Die Einladung war daher nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgt. Sie sollte, auch im Zusammenhang mit der Selbstdarstellung des Restaurants im Internet, für die eingeladenen HCP einen besonderen zusätzlichen Anreiz schaffen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn man die Leitlinie 12.2 heranzieht, nämlich auf die Sichtweise Dritter, also der breiten Öffentlichkeit abstellt, die sich nicht näher mit dem Programm der Veranstaltung beschäftigten.

Dem steht die Entscheidung „Autostadt Wolfsburg“ (Az. 2018.12-562-572) nur scheinbar entgegen. Zwar heißt es darin: „Auch die bildliche Darstellung der gesamten Autostadt auf dem Einladungsflyer genügt nicht, um unter den gegebenen Umständen den Erlebnischarakter der Autostadt in den Vordergrund zu rücken“. Denn dieser Fall lag so, dass der Kontakt der Teilnehmer mit der Erlebniswelt der Autostadt, soweit sie in der Piazza geboten wird, nicht stattfand oder bestenfalls als geringfügig anzusehen ist. Der Unterschied zum vorliegenden Fall liegt darin, dass hier die Aussicht auf die Erlebniswelt des Zoogeländes tatsächlich gegeben war, aber im Einladungsflyer übertrieben dargestellt worden ist.

Auch die Entscheidung „Sylt“ (Az. II. Instanz: FS2/19/2018.12-573/4) legt keine andere Beurteilung nahe. Darin heißt es zwar in Leitsatz 3 der Entscheidung: „Die bildliche Darstellung und die Betonung des Inselcharakters des Tagungsorts im Einladungsflyer, verbunden mit dem Umstand eines möglicherweise nicht genügen straffen Tagungsprogramms reicht nicht aus um das Kriterium „allein aus sachlichen Gründen“ für die Auswahl der Tagungsstätte zu verneinen. Diese Entscheidung bezieht sich darauf, dass zwischen der Auswahl des Tagungsorts und der Auswahl der Tagungsstätte zu unterscheiden ist und das Erlebnischarakter eines touristisch interessanten Tagungsorts in der Regel nicht auf die Tagungsstätte übertragen werden kann. Im vorliegenden Fall bezieht sich die Einladung jedoch eindeutig auf die Tagungsstätte.

Desgleichen lässt sich die Entscheidung „Bahnmuseum“ (Az. 2005/11-102 (1. Instanz)) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn sie betrifft nur die Auswahl eines Bahnmuseums als Tagungsort und stellt darauf ab, dass die Handlung geeignet war, „bei den Teilnehmern den Eindruck zu erwecken, dass nicht nur die Veranstaltung selbst, sondern der Freizeit- und Erholungswert des Tagungsorts im Vordergrund steht“.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Entscheidungen „Autostadt Wolfsburg, Sylt und Bahnmuseum“ aus der Zeit vor dem 1. Januar 2021 stammen, und schon insoweit nicht ohne weiteres auf die aktuelle Kodex-Rechtslage übertragen werden können. Vor dem 1. Januar 2021 war bei der Prüfung von § 20 Abs. 3 S. 2 FSA-Kodex Fachkreise auf die Sichtweise des eingeladenen HCP abzustellen, was durch die Vorstandsleitlinie Nr. 12 zum 1. Januar 2021 in die Sichtweise Dritter, also der breiten Öffentlichkeit geändert wurde. Dies führt dazu, dass die Betrachtungsweise vor Inkrafttreten der revidierten Leitlinie nicht mehr ohne weiteres zu Grunde gelegt werden kann.

Entscheidung

Das betroffene Unternehmen hat mit der Einladung von HCP zu der Fortbildungsveranstaltung „interaktiver, Fall basierter Workshop“ gegen § 20 Abs. 3 S.2 FSA-Kodex Fachkreise verstoßen. Die Einladung erfolgte nicht „ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten“. Die Beanstandung ist insoweit begründet. Das Unternehmen wird zur Unterlassung einer Einladung von HCP in der gegenständlichen Art verpflichtet. Das Unternehmen wurde weiter verpflichtet, eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt EUR 10.000,00 zu zahlen (Empfänger sind die gemeinnützigen Organisationen Zeltschule e.V., Tafel Deutschland e.V., Deutsche Lebensbrücke e.V.).

 

Berlin, im Februar 2025