§§ 10 des FSA-Kodex zur Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen i.V.m § 10 Abs. 1 HWG Laienwerbeverbot bei Fortbildungsveranstaltungen, zu denen Laien Zutritt haben
AZ.: 2014.12-455/456
Leitsätze
- Angebot und Abgabe von Material zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist auf Veranstaltungen, zu denen Laien Zutritt haben, unzulässig.
- Entfernt das Unternehmen das Material, das verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Gegenstand hat, im Laufe der Veranstaltung nur teilweise, bleibt der Kodex-Verstoß bestehen.
- Werden Fortbildungsveranstaltungen von Patientenorganisation (mit)veranstaltet, lässt sich daraus in der Regel ableiten, dass das angesprochene Publikum Laien mit beinhaltet.
- Die Kenntnis eines Unternehmens vom Kreis der Teilnehmer, die aus einer Veranstaltung in den Vorjahren stammt, ist dem Unternehmen auch dann zuzurechnen, wenn der damals zuständige Mitarbeiter inzwischen eine andere Aufgabe übernommen hat.
Sachverhalt
Dem FSA ging ein Hinweis eines Mitgliedsunternehmens zu, dass die Unternehmen Bayer Vital GmbH (Bayer) und Biogen idec GmbH (Biogen) auf einem Forum im Oktober 2014, bei dem die Therapie des Multiplen Sklerose im Vordergrund stand, Informationsstände unterhielten, auf denen u.a. Material zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln dieser Unternehmen ausgelegt und abgegeben wurde. In der Beanstandung wurde darauf hingewiesen, dass schon durch die in der Einladung genannte Patientenorganisation offensichtlich gewesen sei, dass sich die Veranstaltung auch an Patienten, also Laien richtete; auch habe der Firma Bayer durch ihre Beteiligung an der Vorgänger-Veranstaltung im Vorjahr der Teilnehmerkreis klar sein müssen.
Die Anhörung ergab folgenden weiteren Sachverhalt:
Beide Unternehmen räumten ein, dass ihre Mitarbeiter auf dem o.g. Forum sowohl Unterlagen für die Fachkreise als auch für Patienten ausgelegt und gegeben hatten, die zum Teil verschreibungspflichtige Präparate zum Gegenstand hatten. Sie erklären ihr Verhalten mit der anfänglichen Unkenntnis darüber, dass Besucher des Forums nicht nur Fachkreisangehörige, sondern auch Patienten gewesen sind.
Dass die Firma Bayer auf der vorangehenden Veranstaltung im Jahr 2013 bereits mit einem Stand vertreten gewesen war, war unstreitig. Allerdings habe sich in der Zwischenzeit der intern zuständige Kollege geändert. Im Übrigen trägt das Unternehmen Bayer vor, dass es dann, als die Zusammensetzung der Besucher eindeutig klar geworden war, Material, das sich auf verschreibungspflichtige Präparate bezog, nur noch an Fachkreisangehörige abgegeben habe; das Werbematerial lag jedoch, zumindest teilweise, am Stand weiterhin aus und ein Poster, auf dem ein verschreibungspflichtiges Präparat prominent genannt wurde, war unverändert sichtbar.
Das Unternehmen Bayer vertritt schließlich unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 VerfO die Auffassung, die dem Verfahren zugrunde liegende Beanstandung sei unzulässig und somit scheide ein Kodex-Verstoß ohnehin aus. Dem beanstandenden Unternehmen stünde statt dessen der Zivilrechtsweg zur Verfügung.
Das Unternehmen Biogen trug vor, dass es, nachdem ihm die Art der Besucher eindeutig klar geworden sei, die Auslage von Material, das sich auf ein verschreibungspflichtiges Präparat bezog, durch zusätzliches Material, das sich spezifisch an Patienten richtet, ergänzt habe.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Angebot und Abgabe von Material, das verschreibungspflichtige Arzneimittel behandelt, sind gem. § 10 Abs. 1 HWG gegenüber Patienten unzulässig. Dass ein wesentlicher Teil der Besucher der o.g. Veranstaltung, möglicherweise sogar die Mehrzahl, keine Angehörige des in § 10 Abs. 1 HWG genannten Personenkreises war, ist unstreitig. Daher war ein Kodex-Verstoß gem. §§ 10 des FSA-Kodex zur Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen i.V.m § 10 Abs. 1 HWG festzustellen.
Zum Vortrag von Bayer stellte die Schiedsstelle fest, dass ein Unternehmen, das bereits im Jahr zuvor auf einer vergleichbaren Veranstaltung mit einem Stand vertreten war, wissen muss, dass es sich um eine Mischveranstaltung handelt, die sich sowohl an Fachkreisangehörige als auch an Patienten richtet. Dass sich die Zuständigkeit des betreffenden Mitarbeiters im Unternehmen in der Zwischenzeit geändert hat, führt nicht dazu, dass die Kenntnis des Unternehmens vom Charakter der Veranstaltung verneint werden könnte. Zum anderen hat das Unternehmen auch dann, als ihm die Zusammensetzung der Besucher eindeutig klar geworden war, die Auslage von Material, das sich auf ein verschreibungspflichtiges Präparat bezog, nicht unverzüglich und ausnahmslos beendet, sondern lediglich die Abgabe auf Fachkreisangehörige beschränkt; das Werbematerial lag jedoch, zumindest teilweise, am Stand weiterhin aus und das Poster, das ein verschreibungspflichtiges Präparat nannte. war unverändert sichtbar. Schon die Auslage des Materials bzw. das Aufstellen dieses Posters führte zur Verletzung von § 10 Abs. 1 HWG.
Zum Vortrag der Firma Biogen führte die Schiedsstelle aus, dass die zusätzliche Abgabe von Material, das sich spezifisch an Patienten richtet, den Verstoss gegen das Laienwerbeverbot nicht beeinträchtigt.
Soweit von Bayer unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 VerfO die Meinung vertreten wurde, die dem Verfahren zugrunde liegende Beanstandung sei unzulässig sei und somit scheide ein Kodex-Verstoß aus, konnte sich der Schiedsstelle dieser Auffassung nicht anschließen. Zwar ist es zutreffend, dass § 2 Abs. 2 Satz 1 VerfO Unternehmen vom Beanstandungsrecht des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VerfO ausschließen. Dieser Ausschluss ist jedoch ausdrücklich begrenzt auf den FSA-Kodex Fachkreise, er umfasst den FSA-Kodex Patientenorganisationen nicht.
Anzeichen in der VerfO oder im FSA-Kodex Patientenorganisationen, die eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 1 VerfO auf den FSA-Kodex Patientenorganisationen nahelegen, sind nicht erkennbar; im Gegenteil: Eine entsprechende Anwendung sähe die Schiedsstelle gerade nicht als sachgerecht an. Das Verbot der Laienwerbung spielt im 3. Abschnitt des FSA-Kodex Fachkreise keine Rolle, wohl aber im FSA-Kodex Patientenorganisationen; insoweit hat die Schiedsstelle auf §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 5 und 6 FSA-Kodex Patientenorganisationen verwiesen. Diesen Regelungen ist zu entnehmen, dass dem Publikumswerbeverbot im FSA-Kodex Patientenorganisationen ein ganz besonderer Stellenwert beigemessen wird. Insofern ist es nur konsequent, wenn § 2 Abs. 2 Satz 1 VerfO den FSA-Kodex Patientenorganisationen nicht nennt. Diese Intention würde konterkariert, wenn Verstöße gegen § 10 Abs. 1 HWG durch eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 2 VerfO vom Beanstandungsrecht der Unternehmen ausgeschlossen würden.
Im Übrigen folgt aus der Tatsache, dass ein Verstoß auch zivilrechtlich verfolgt werden könnte, nur in den Fällen des § 2 Abs. 5 VerfO, dass dann die Beanstandung im Kodex-Verfahren unzulässig ist.
Ergebnis
Auf die Abmahnungen der Schiedsstelle gaben beide Unternehmen Unterlassungserklärungen ab und zahlten Geldbußen in Höhe von jeweils 8.000 EUR an den NestWerk e.V., Hamburgische Initiative für Jugendarbeit e.V. bzw. die Stiftung Orgelklang.
Berlin, im Juni 2015/August 2016