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§ 20 Abs. 3 und 5 FSA-Kodex Fachkreise: Veranstaltungsort und -stätte bei der Fortbildungsveranstaltung einer Berliner Klinik im Spreespeicher

Az.: 2022.3-639-645, 647-649

Die Unterstützung einer von Dritten durchgeführten Fortbildungsveranstaltung in Berlin in einem eher unscheinbaren historischen Gebäude und mit einer sachlich, nüchtern und funktional gehaltenen Innenausstattung steht im Einklang mit dem Kodex und den Leitlinien, wenn keine sonstigen besonderen Anreizfaktoren hinzutreten

Leitsätze

  1. Berlin ist in der Regel ein Kodex-konformer Veranstaltungsort, soweit keine besonderen Anreizfaktoren (erheblicher Freizeitwert, extravagante Veranstaltungsstätte o. ä.) hinzukommen.
  2. Findet eine Fortbildungsveranstaltung in einem historischen Gebäude statt, so ist damit nicht per se eine besondere Anreizwirkung verbunden, die ihren Charakter entscheidend prägt. Dies ist jeweils im Einzelfall auf Basis der individuellen Merkmale der Veranstaltung-Stätte (Lage, Zustand, Außen-eindruck, Innenausstattung usw.) zu prüfen.
  3. Findet eine Fortbildungsveranstaltung in einer Veranstaltungsstätte statt, die (z. B. nach der Selbstdarstellung des Betreibers) auch für Feste und Feiern genutzt und ausgestattet werden kann, so kann eine Nutzung für Fortbildungsveranstaltungen jedenfalls dann kodex-konform sein, wenn die Räume für diesen Zweck nüchtern und schlicht gehalten bleiben.
  4. Besondere Außenanlagen einer Veranstaltungsstätte (z. B. eine Terrasse) sind nur dann für die Bewertung der Stätte von Bedeutung, wenn sie von den Teilnehmern genutzt werden können oder den Charakter der Stätte entscheidend prägen.
  5. Befinden sich in der Nähe einer Veranstaltungsstätte umfangreiche Freizeitangebote (z. B. Kneipen, Biergärten, Konzerthallen, Live-Clubs usw.), so kann dies bei der Beurteilung von Veranstaltungsort und -stätte dann von Bedeutung sein, wenn Indizien dafür bestehen, dass Teilnehmer gerade auch aufgrund dieser Nähe geneigt sind, an der Veranstaltung teilzunehmen.
  6. Zu den Dritten (also der breiten Öffentlichkeit), deren Sichtweise bei der Beurteilung der relevanten Kriterien maßgeblich ist (Leitlinien 12.2 und 12a.2), zählen in der Regel auch die Mitglieder der Spruchkörper der Schiedsstelle. Dabei ist im Übrigen davon auszugehen, dass der Betrachter seine Sichtweise nicht nur auf einen völlig spontanen Eindruck stützt, sondern sich zumindest einigermaßen mit dem Veranstaltungsort und der -stätte vertraut gemacht hat.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens ist die Beanstandung, eine Reihe von Mitgliedsunternehmen hätten eine Fortbildungsveranstaltung für Ärzte aus Berlin und dessen Umkreis im sog. „Spreespeicher“ unterstützt. Die Veranstaltung fand Ende Februar 2022 am genannten Ort in der Zeit von 17.30 bis ca. 20.30 h statt. Mit der Beanstandung wurde die Zulässigkeit der Veranstaltung „an diesem Ort“ in Zweifel gezogen.

Die Unternehmen haben das Sponsoring eingeräumt, aber die Auffassung vertreten, die Veranstaltung wahre den Rahmen von § 20 Abs. 5 Satz 4, Abs. 3 Kodex Fachkreise (im Folgenden: Kodex -) i. V.m. den Leitlinien 12 und 12a. Sie haben dazu im Wesentlichen ausgeführt, eine Anreizwirkung sowohl des Ortes als auch der Stätte fehle ebenso wie relevante Erlebnismerkmale. Der Spreespeicher sei vom Veranstalter allein aus sachlichen Gründen gewählt worden, nämlich im Hinblick auf seine zentrale Lage und seine technische Ausstattung, die eine hybrid durchgeführte Veranstaltung unter COVID-19-Rahmenbedingungen ohne Weiteres ermöglicht habe.

Ein Unternehmen wies zusätzlich darauf hin, dass sich sein Sponsoring ausschließlich auf den virtuell durchgeführten Teil der Veranstaltung beschränkt habe.

Ein weiteres Unternehmen zog eine aktive Pflicht des Sponsors, die sachlichen Gesichts-punkte des Veranstalters für die Auswahl im Einzelnen nachzufragen, in Zweifel; dies sei in der Praxis nicht durchführbar und würde Sinn und Zweck der Regelung überdehnen. Daher sei von einem reduzierten Prüfungsumfang des Sponsors auszugehen und einer reduzierten Beweis- und Darlegungslast.

Nach den Ermittlungen der Schiedsstelle hatten ca. 157 Teilnehmer an der hybrid durchgeführten Veranstaltung teilgenommen, davon 57 vor Ort und ca. 100 online.

Der Spreespeicher wurde im Jahr 1913 als städtisches Lagerhaus errichtet und ca. 100 Jahre für diese Zwecke genutzt. Nach der Wende wurde das Gebäude 2000/2001 restauriert und an den Standard eines modernen Bürohauses angepasst. Es wird heute u. a. als Veranstaltungsstätte genutzt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Schiedsstelle teilt die Auffassung der Unternehmen, dass die Veranstaltung den Rahmen von § 20 Abs. 5 Satz 4, Abs. 3 Kodex i. V.m. den Leitlinien 12 und 12a wahrt. Das Sponsoring war daher nicht zu beanstanden.

In der Beanstandung wurde auf den „Ort“ der Veranstaltung Bezug genommen, ohne dass erkennbar war, ob damit der geografische Ort oder die Tagungsstätte als kritisch angesehen wird. Die Schiedsstelle hatte daher beide Alternativen zu prüfen.

Gem. § 20 Abs. 5 Kodex Fachkreise ist die finanzielle Unterstützung von externen Fortbildungsveranstaltungen gegenüber den Veranstaltern zulässig, wenn (u. a.) hinsichtlich der Auswahl der Veranstaltungsstätte und des Veranstaltungsortes die Vorgaben für interne Fortbildungsveranstaltungen eingehalten werden. Dazu regelt § 20 Abs. 3 Kodex (u. a.), dass die Auswahl des Tagungsortes und der Tagungsstätte allein nach sachlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Ein solcher Grund ist beispielsweise nicht der Freizeitwert des Tagungsortes. Die Unternehmen sollen Tagungsstätten vermeiden, die für ihren Unterhaltungswert bekannt sind oder als extravagant gelten.

Die Leitlinie 12 präzisiert dazu weiter, dass Tagungsstätten, die einen Standard einhalten, die die 4-Sterne-Klasse der DEHOGA-Bewertung nicht überschreitet und von denen keine Anreizwirkung ausgeht, die ihren Charakter entscheidend prägt, in der Regel im Einklang mit dem Kodex stehen.

Aus der Leitlinie 12a folgt schließlich, dass auch vom Tagungsort keine seinen Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung ausgehen darf. Tagungsorte, in denen es Veranstaltungsstätten und Übernachtungsmöglichkeiten gibt, die üblicherweise auch anlässlich von fachlich-wissenschaftlichen Veranstaltungen genutzt werden, deren Infrastruktur nicht schwerpunktmäßig touristisch geprägt ist und die über eine sehr gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz verfügen, stehen in der Regel im Einklang mit dem Kodex, wenn die Veranstaltung nicht in einem Zeitraum stattfindet oder an einen solchen zeitlich unmittelbar angrenzt, in dem der Ort durch besondere Erlebnismöglichkeiten entscheidend geprägt wird. Eine mögliche Anreizwirkung kann in der Regel aber auf jeden Fall dann entfallen sein, wenn der angesprochene Teilnehmerkreis der Veranstaltung aus der unmittelbaren Umgebung des Ortes kommt.

Beide genannten Leitlinien stellen klar, dass bei der Beurteilung der vorstehend genannten Kriterien als zusätzliches Merkmal die Sichtweise Dritter (also der breiten Öffentlichkeit) und nicht die der eingeladenen Fachkreise maßgeblich ist.

Zum Ort der Veranstaltung:

Die Veranstaltung fand in Berlin im Stadtteil Friedrichshain statt. Berlin ist Ort einer Vielzahl von Veranstaltungen und verfügt über eine umfangreiche Infrastruktur an Veranstaltungsstätten und Übernachtungsmöglichkeiten.

Friedrichshain liegt im früheren Ost-Berlin, angrenzend an Kreuzberg im Südwesten und Lichtenberg und Friedrichsfelde im Osten. Der Stadtteil ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen, vom Hauptbahnhof in ca. 15 Minuten; U- und S-Bahn-Haltestellen finden sich in unmittelbarer Nähe der Veranstaltungsstätte. Der Stadtteil ist nach wie vor von einem gewissen Renovierungsstau geprägt, wie er sich in Berlin außerhalb der großen Einkaufsstraßen häufig findet. Einzelne ältere Gebäude wurden aufwendig restauriert, andere mit viel architektonischen Aufwand neu errichtet, insgesamt ist der Bezirk jedoch für Berlin-Besucher, die die Stadtteile um den Kudamm, den Potsdamer Platz, die Friedrichstraße oder die Museumsinsel aufsuchen, eher weniger attraktiv.

Dies gilt erst recht für Teilnehmer einer Veranstaltung, die aus Berlin oder dem unmittelbaren Umland kommen. Besondere Erlebnismöglichkeiten sind weder vorgetragen noch erkennbar. In fußläufiger Entfernung findet sich zwar das sog. RAW-Gelände, das vor allem bei jungen Leuten wegen seiner Kneipen, Biergärten, Konzerthallen und Live-Clubs beliebt ist. Allerdings kann die Schiedsstelle auch nach einer Ortsbesichtigung keine Anzeichen dafür erkennen, dass diese Nähe auf Teilnehmer dieser fachlich-geprägten Veranstaltung, die aus der Stadt oder dem Umland kamen, eine besondere Anreizwirkung hätte ausüben können. Dies gilt erst recht an einem Werktagabend im Februar. Einen besonderen Erlebniswert konnte die Schiedsstelle nicht erkennen.

Diese Bewertung ergibt sich auch ohne Weiteres für einen Dritten, der – wie der Spruchrichter – nicht zu den eingeladenen Fachkreisen gehört, wenn er sich mit dem Veranstaltungsort vertraut gemacht hat.

Die Schiedsstelle sah deshalb keinen Anlass, beim vorliegenden Sachverhalt den Veranstaltungsort Berlin und insbesondere Berlin Friedrichshain zu beanstanden.

Zur Veranstaltungsstätte:

Der Spreespeicher hat als historisches Gebäude mit seiner ortstypischen Backsteinfassade und am Spree-Ufer gelegen grundsätzlich einen gewissen Charme. Daraus folgt jedoch keine besondere Anreizwirkung, die ihren Charakter entscheidend prägt. Das Gebäude ist durch seinen ursprünglichen Zweck geprägt und eher unscheinbar. Es ist über die Jahrzehnte schwärzlich geworden und fällt schon äußerlich im Vergleich zu anderen naheliegenden Backsteingebäuden der gleichen Zeit (Oberbaum-Brücke, Bahnhof Warschauer Straße, Warschauer Platz usw.) visuell deutlich zurück.

Die heutige Innenausstattung ist, soweit die Schiedsstelle dies bei der Ortsbegehung einsehen konnte, sachlich, nüchtern, funktional und übersteigt den Standard, der der 4-Sterne-Klasse der DEHOGA-Bewertung gleichkäme, keinesfalls. Der frühere Gewerbecharakter des Lagerhauses ist an vielen Stellen nach wie vor offensichtlich.

Die schmale Terrasse vor dem Gebäude, direkt zum Spree-Ufer gelegen, kann keine abweichende Bewertung begründen: Sie wurde für die Veranstaltung nicht benutzt und könnte für eine Veranstaltung an einem Februar-Abend auch kaum als einladend ansehen werden.

Dieses Gesamtbild ergibt sich auch für einen Dritten, der nicht zu den eingeladenen Fachkreisen gehört. Die Selbstdarstellung des Betreibers lässt zwar klar erkennen, dass die Räumlichkeiten auch für Feste und Feiern genutzt und ausgestattet werden können, dass sie aber bei Fortbildungsveranstaltungen der vorliegenden Art nüchtern und schlicht gehalten sind. Dies gilt entsprechend für die Terrasse zur Spree an einem Winterabend. Indizien dafür, dass eine festliche oder gar prunkvolle Ausstattung der Räumlichkeiten hätte vermutet werden können, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Beanstandenden noch aus den sonstigen Umständen.

Die Auswahl der Stätte lässt sich ohne Weiteres durch die Nähe zur veranstaltenden Klinik nachvollziehen. Sie ist auch weder für ihren Unterhaltungswert bekannt, noch kann sie als extravagant betrachtet werden.

Nach alledem sieht die Schiedsstelle bei der vorliegenden Veranstaltung und den hier gegebenen Rahmenbedingungen keinen Anlass zu einer Beanstandung im Hinblick auf die Vorgaben des § 20 Abs. 5 und 3 Kodex i. V.m. den Leitlinien 12 f.

Bei dieser Bewertung der Gesamtveranstaltung konnte offenbleiben, ob bei einem Sponsoring, das sich ausschließlich auf den virtuell durchgeführten Teil der Veranstaltung beschränkt, ein Verstoß gegen § 20 Abs. 5 und 3 Kodex i. V.m. den Leitlinien 12 f. in der Regel ohnehin ausscheidet. Die Schiedsstelle hält dies für naheliegend, aber nicht für zwingend; dazu bedürfte es jeweils weiterer Feststellungen zu den Gesamtumständen des Einzelfalls.

Soweit von einem Unternehmen in Zweifel gezogen wurde, ob die sachlichen Gesichts-punkte des Veranstalters für die Auswahl der Veranstaltungsstätte im konkreten Fall im Einzelnen nachzufragen seien, sieht die Schiedsstelle nach der vorstehenden Bewertung keinen Anlass zu weiteren rechtssystematischen Feststellungen. Aus der bisher im Kodex enthaltenen Regelung dürfte eine Einschränkung der Prüfungsobliegenheit des Sponsors allerdings nicht ohne Weiteres und generell abzuleiten sein. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls mag die Prüfungspflicht des Sponsors sich dann in Grenzen halten, wenn die ihm vorgelegte Veranstaltungsplanung keinen Anlass für eine detaillierte Prüfung gibt.

Entscheidung

Die Beanstandung war unbegründet. Die Verfahren wurden eingestellt.

Berlin, im Mai 2022