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§ 20 Abs. 1 des FSA-Kodex Fachkreise und Vorstandsleitlinie Ziff. 8.2: Zum Verbotstatbestand und zur Werbung für interne Fortbildungsveranstaltungen

FS II/2/23/2022.7-666

Ein zweiteiliges, getrennt buchbares Webinar eines Unternehmens, das im ersten Teil ausschließlich allgemeine Fragen zur Gründung einer ASV CED behandelt, ist nicht mit § 20 Abs. 1 Kodex vereinbar. Das gilt auch dann, wenn darin gesundheitspolitische Informationen vermittelt werden, sofern diese nicht in einem inneren konkreten Zusammenhang mit dem Unternehmen und seinen Produkten stehen.

Leitsätze

  1.  § 20 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise stellt keinen bloßen Erlaubnistatbestand, sondern einen Verbotstatbestand dar. Der FSA-Kodex Fachkreise stellt „klare Verhaltensgrundlagen auf, überwacht diese konsequent und sanktioniert etwaige Verstöße“. Das Wort „dürfen“ in § 20 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise ist daher dahin zu verstehen, dass damit nur der zulässige Inhalt einer solchen Veranstaltung beschrieben wird. Dies gilt entsprechend für das Wort „kann“ in Ziff. 8.2 Satz 2 der Vorstandsleitlinie: Es muss ein inhaltlicher konkreter Zusammenhang mit dem Unternehmen und dessen Produkten bestehen.
  2. Aus dem Wort „insbesondere“ in § 20 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise folgt, dass im Rahmen einer internen (Fortbildungs-)Veranstaltung daneben nicht beliebige sonstige Themen behandelt werden dürfen, sondern nur solche, die in der Definition des Begriffs der „Fortbildungsveranstaltungen“ in § 2 Nr. 10 FSA-Kodex Fachkreise ausdrücklich angesprochen werden.
  3. Handelt es sich bei dem Beanstandenden um ein Mitgliedsunternehmen, das Mitbewerber des beanstandeten Unternehmens ist, so ist es zur Wahrung des rechtlichen Gehörs für beide Teile geboten, auch den Beanstandenden zur mündlichen Verhandlung zu laden.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens ist die Durchführung einer Fortbildungsveranstaltung durch das Mitgliedsunternehmen Galapagos Biopharma Germany GmbH (- im Folgenden: das Unternehmen -). Die Fortbildungsveranstaltung wurde am 29.06.2022 als zweiteiliges Webinar für Fachkreisangehörige in Gestalt einer virtuellen Live-Diskussion zu den Themen „Wie gründe ich eine ASV CED?“ [=Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung – Chronisch entzündliche Darmerkrankungen] sowie „222 Tage [Präparatename] bei Colitis ulcerosa“ abgehalten. Dabei wurde der erste Teil zur ASV in der Zeit von 17:00 bis 18:30 Uhr durchgeführt; im unmittelbaren Anschluss wurde mit einer Dauer von zwei Stunden der zweite Teil zu einem Präparat des Unternehmens angeboten, das zur Therapie im relevanten Indikationsbereich indiziert ist. Für den ersten Teil wurde die Möglichkeit zur eigenständigen Anmeldung gegeben.

In der Ankündigung des ersten Teils des Webinars hieß es u.a.: „Vorab stehen viele Fragen im Raum, die wir umfassend diskutieren möchten: Lohnt sich ASV CED für mich als Gastroenterologe in der Praxis oder Klinik? Welcher CED-Patient ist in die ASV einzuschleusen und was kann ich wie abrechnen? Wieviel Aufwand muss ich betreiben und wo sind Hürden, die man im Vorfeld einplanen sollte?“ (…)“.

In der Beanstandung eines Mitgliedsunternehmens, die sich gegen beide Teile des Webinars richtete, wurde ausgeführt, dass das Webinar nicht als zulässige Fortbildungsveranstaltung gem. § 20 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise (- im Folgenden: Kodex -) betrachtet werden könne. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Inhalt der Veranstaltung zumindest mittelbar im Zusammenhang mit dem Arzneimittelbereich stünde; daran fehle es jedoch. Diese Auffassung wurde von der Beanstandenden damit begründet, „dass eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) grundsätzlich keinen Zusammenhang zum Arzneimittelbereich eines Mitgliedsunternehmen aufweisen kann, da eine ASV indikationsspezifisch, bspw. für den Leistungsbereich der chronisch-entzündlichen Darmer-krankungen (CED), das Rahmenkonstrukt für die Zusammenarbeit zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtungen zum Zwecke einer wirtschaftlich und organisatorisch optimierten Patientenversorgung darstellt. (…) Mithin weist eine ASV nach der gesetzlichen Konzeption keine Bezüge zu einer bestimmten arzneimittelspezifischen Therapie eines Patienten auf, sondern definiert den Behandlungsrahmen, innerhalb dessen teilnehmende Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen die medizinische Versorgung erbringen.““

Die Beanstandende trug weiter vor, es handele sich auch um ein gem. § 21 Abs. 1 Kodex unzulässiges Geschenk, da eine werthaltige Leistung unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sei.

Das Unternehmen räumte ein, die Veranstaltung als Webinar mit bis zu 30 Teilnehmern durchgeführt zu haben. Dabei sei in einem ersten Teil zum Regelungsrahmen einer ASV CED vorgetragen und diskutiert und im zweiten Teil sein Präparat behandelt worden.

Die hier gegenständlichen Regeln zur Änderung des Appendix Anlage 1.1c) Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, die die ASV CED betreffen, wurden vom GBA am 18.03.2022 beschlossen und am 29.04.2022 veröffentlicht.

Zum Verfahrensgang 1. Instanz

Der Spruchkörper 1. Instanz ging bei seiner Beurteilung von einer im Wesentlichen einheitlichen Veranstaltung aus, bei der der Bezug zu den Arzneimitteln des Unternehmens letztlich zu bejahen sei. Er verwies insoweit auf die im Jahr 2014 erfolgte Ergänzung der Vorstandsleitlinie um eine Ziff. 8, bei der – wie sich aus den ihm vorliegenden Materialien ergebe – der Vorstand gerade habe klarstellen wollen, dass die ausschließliche und/oder teilweise Vermittlung von gesundheitspolitischen Informationen, die in einem Zusammenhang zum Unternehmen und dessen Produkten steht, künftig zulässig und dieser Zusammenhang gerade kein enger sein sollte [- wird im Einzelnen ausgeführt -]. Der Spruchkörper 1. Instanz sah daher keine Grundlage dafür, der restriktiven Spruchpraxis aus einem früheren Verfahren zu folgen.

Soweit in der Veranstaltung Inhalte an die Teilnehmer weitergegeben worden seien, die für diese werthaltig seien, sei dies bei zulässigen Fortbildungsveranstaltungen nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Kodex scheide deshalb aus.

Der Spruchkörper 1. Instanz wies daher die Beanstandung als unbegründet zurück und stellte das Verfahren ein. Die Beanstandende legte gegen diese Entscheidung Einspruch ein und zahlte auch den Kostenvorschusses in Höhe von EUR 10.000,00 (§1 Abs. 1 VerfO) ein.

Wesentliche Entscheidungsgründe des Spruchkörpers 2. Instanz

I. Verfahrensgang
Nach einem Zwischenverfahren zu Fragen der Zuständigkeit des Spruchkörpers 1. Instanz, das mit einer Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz endete, wurde der Spruchkörper 2. Instanz mit dem Einspruch befasst. Dieser hatte auch die Beanstandende zur mündlichen Verhandlung geladen, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs für beide Teile Rechnung zu tragen.

An der mündlichen Verhandlung nahmen zwar Vertreter der Beanstandenden, nicht aber Vertreter des beanstandeten Mitgliedsunternehmens teil. Der Spruchkörper 2. Instanz musste daher nach Lage der Akten entscheiden (§ 7 Abs. 3 VerfO).

II. Rechtliche Beurteilung

  1. Beurteilungsmaßstäbe

a) § 20 Abs. 1 Kodex und Leitlinie 8 des Vorstands des FSA

Beurteilungsmaßstab für die beiden Webinare des betroffenen Mitglieds ist primär § 20 Abs. 1 Kodex, der die „Einladung zu berufsbezogenen wissenschaftlichen (Fortbildungs-) Veranstaltungen“ zum Gegenstand hat. Diese Vorschrift lautet:

„Die Mitgliedsunternehmen dürfen HCP zu eigenen berufsbezogenen (Fortbild-ungs-)Veranstaltungen einladen, die sich insbesondere mit ihren Forschungsgebieten, Arzneimitteln und deren Indikationen befassen (interne (Fortbildungs-) Veranstaltungen).“

Zum Verständnis dieser Vorschrift ist zunächst auf die Definition des Begriffs der „Fortbildungsveranstaltungen“ in § 2 Nr. 10 Kodex hinzuweisen. Gemeint sind damit: „Fach- und Fortbildungsveranstaltungen sowie Kongresse, Konferenzen, Symposien und ähnliche Veranstaltungen zu Themen aus dem Bereich der pharmazeutischen und medizinischen Forschung und Entwicklung, zu bestimmten Krankheitsbildern und deren Therapie, zu gesundheitspolitischen Themen oder solche, die einem beruflichen Erfahrungsaustausch von Fachkreisangehörigen dienen.

Das Wort „insbesondere“ in § 20 Abs. 1 Kodex ist daher dahin zu verstehen, dass im Rahmen einer internen (Fortbildungs-)Veranstaltung daneben nicht beliebige sonstige Themen behandelt werden dürfen, sondern nur solche, die in der Definition ausdrücklich angesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wird auch die Leitlinie 8.2 des Vorstands des FSA gemäß § 6 Abs. 2 Kodex i.V.m. § 20 Abs. 1 Kodex zur verbindlichen Auslegung von internen Fortbildungsveranstaltungen (§ 20 Abs. 1) verständlich, die von „gesundheitspolitischen Informationen“ handelt. Sie lautet:

Gegenstand solcher Fortbildungsveranstaltungen kann die ausschließliche oder teilweise Vermittlung von gesundheitspolitischen Informationen sein, die in einem Zusammenhang zum Unternehmen und dessen Produkten stehen. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Information über den Erstattungsstatus eines Arzneimittels und die damit zusammenhängenden Konsequenzen für die verordnenden Ärzte.

b) Allgemeine Auslegungsgrundsätze in § 4 Kodex

Da es im vorliegenden Fall um die Anwendung des § 20 Abs. 1 Kodex geht, sind bei des-sen Auslegung die „Allgemeinen Auslegungsgrundsätze“ in § 4 Kodex zu berücksichtigen. Nach § 4 Abs. 1 Kodex sind bei der Anwendung dieses Kodex nicht nur der Wortlaut der einzelnen Vorschriften, sondern auch dessen Geist und Intention zu beachten. In § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Kodex heißt es:

Die Unternehmen müssen sich jederzeit an hohen ethischen Standards messen las-sen. Insbesondere darf ihr Verhalten nicht die pharmazeutische Industrie in Misskredit bringen, das Vertrauen in sie reduzieren oder anstößig sein.

c) Rechtsnatur des § 20 Abs. 1 Kodex

Nach Auffassung des Unternehmens ist § 20 Abs. 1 Kodex im Hinblick auf das Wort „dürfen“ dahin auszulegen, dass es sich dabei um einen bloßen Erlaubnistatbestand und damit um keinen Verbotstatbestand handle. Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen, da sie den Geist und die Intention dieser Regelung verkennt. Der Kodex stellt, wie dem Abs. 2 des Vorworts zu entnehmen ist, „klare Verhaltensgrundlagen auf, überwacht diese konsequent und sanktioniert etwaige Verstöße“. Das Wort „dürfen“ ist daher dahin zu verstehen, dass damit nur der zulässige Inhalt einer solchen Veranstaltung beschrieben wird. Veranstaltungen mit anderen Themen dürfen dementsprechend nicht durchgeführt werden und stellen einen Verstoß gegen den Kodex dar.

d) Konkretisierung des § 20 Abs. 1 Kodex durch die Leitlinie 8.2

Die Leitlinie 8.2 Satz 1 konkretisiert den § 20 Abs. 1 Kodex dahingehend, dass das Thema einer internen Veranstaltung ganz oder teilweise die Vermittlung von gesundheitspolitischen Informationen sein kann, die in einem Zusammenhang zum Unternehmen und dessen Produkten stehen. Das Wort „kann“ ist ebenso wie das Wort „dürfen“ dahin zu verstehen, dass damit der zulässige Inhalt einer internen Veranstaltung gemeint ist. Was unter einem Zusammenhang zu verstehen ist, wird in § 8.2 Satz 2 der Leitlinie durch ein Beispiel verdeutlicht. Es muss sich um einen inhaltlichen konkreten Zusammen-hang mit dem Unternehmen und dessen Produkten handeln.

2. Beurteilung der Ankündigung des betroffenen Mitglieds für das zweiteilige Webinar am 29.06.2022 nach § 20 Abs. 1 Kodex

a) Keine Vermittlung von gesundheitspolitischen Informationen, die in einem Zusammenhang zum Unternehmen und dessen Produkten stehen.

Das erste Teil des Webinars war dem Thema „Wie gründe ich eine ASV CED?“ gewidmet. Nach der Ankündigung ging es dabei ausschließlich um allgemeine Fragen bei der Gründung einer ASV CED. Selbst wenn es sich dabei teilweise um die Vermittlung von gesundheitspolitischen Informationen handelte, standen diese jedenfalls nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen des betroffenen Mitglieds und dessen Produkt, dessen Erstattungsstatus sowie den damit zusammenhängenden Konsequenzen für die verordnenden Ärzte. Diese Fragen wurden völlig getrennt vom ersten Teil in dem zweiten Teil des Webinars behandelt. In Letzterem ging es ausschließlich um die Vorstellung des Produkts des betroffenen Mitglieds für dessen Einsatz in der Gastroenterologie.

Der erste Teil des Webinars stand daher für sich und diente dem betroffenen Mitglied lediglich dazu, für Gastroenterologen einen vor allem wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, auch an der Vorstellung ihres Produkts im zweiten Teil des Webinars teilzunehmen. Dies wird deutlich in der Ankündigung des Inhalts des ersten Teils des Webinars. Danach sollte „die Erörterung und Diskussion folgender Fragen“ im Vordergrund stehen:

Lohnt sich ASV – CED für mich als Gastroenterologe in der Praxis oder Klinik“ Welcher CED-Patient ist in die ASV einzuschleusen und was kann ich wie abrechnen? Wieviel Aufwand muss ich betreiben und wo sind Hürden, die man im Vorfeld einplanen sollte?

Die Ankündigung des zweiteiligen Webinars stand daher nicht im Einklang mit der Leitlinie 8.2 Satz 1 und verstieß damit gegen § 20 Abs. 1 Kodex.

b) Sonstige Bedenken gegen die Ankündigung des ersten Teils des Webinars

Abgesehen davon standen die genannten Äußerungen nicht im Einklang mit den ethischen Anforderungen an Unternehmen der Pharmaindustrie, wie sie im Kodex beschrieben sind. Es geht darin nicht um das Wohl der CED-Patienten. Sie können aus der Sicht der angesprochenen Ärzte dahin zu verstehen sein, dass sie in diesem Teil des Webinars erfahren, wie sie mit der Gründung einer ASV CED möglichst hohe Einnahmen verdienen können. Solche „nützlichen“ Informationen zu vermitteln, mag Aufgabe von Unternehmensberatern sein. Es ist aber in hohem Maße bedenklich, wenn ein Pharmaunternehmen, das Mitglied des FSA ist, zu solchen Werbemaßnahmen greift, um Interesse für sein Produkt zu wecken. Es besteht zudem die Gefahr, dass das Vertrauen der Patienten in Gastroenterologen schwindet, wenn sie erfahren, wie sie von ihnen in ASV CED „eingeschleust“ werden und was bei ihnen abgerechnet werden kann.

c) Ergebnis

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Sachverhalts ist von einem nicht unerheblichen Verstoß des Unternehmens gegen § 20 Abs. 1 Kodex bei der werblichen Ankündigung und Durchführung des ersten Webinars am 29.06.2022 auszugehen.

Entscheidung

Das Unternehmen wurde daher (gem. §§ 22 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, 24 Abs. 3 VerfO in analoger Anwendung) verpflichtet, es zu unterlassen, eine interne (Fort-)Bildungsveranstaltung durchzuführen und dafür zu werben, wenn dies wie bei dem Webinar für HCP am 29.06.2022 mit dem Thema „Wie gründe ich eine ASV CED?“ geschieht.

Für den begangenen Verstoß wurde eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 EUR festgesetzt, die das Unternehmen an die gemeinnützigen Einrichtungen well:fair foundation, ehem. Neven Subotic Stiftung, Dortmund, Deutsche Lebenshilfe e.V., Hamburg, und Wadi e.V., Frankfurt, gezahlt hat.

Berlin, im August 2023