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§ 7ff. FSA-Kodex Fachkreise: Patienten-Videos auf LinkedIn und der Unternehmenswebseite mit heilungsbezogenen Aussagen

Az.: 2022.4-650

Aussagen in einem an Patienten gerichteten Video, das im Auftrag und auf Kosten eines Unternehmens produziert wurde, sind dem Unternehmen zuzurechnen

Leitsätze

1. Beauftragt ein Unternehmen eine Agentur mit der Erstellung eines Patienten-Videos, in dem Dritte therapiebezogene Aussagen machen, so sind diese Aussagen dem Unternehmen zuzurechnen, insbesondere dann, wenn die Mitwirkung des Dritten gegen Entgelt erfolgt (§ 3 Abs. 1 Kodex). Dabei ist es unerheblich, ob das Entgelt an den Dritten vom Unternehmen direkt oder über die Agentur ausgezahlt wird.

2. Bezieht sich eine Aussage in einem an Patienten gerichteten Video klar auf „eine“ neue Therapie, so wird ein nicht unerheblicher Teil der Betrachter diese Aussage in der Regel mit „einem“ Präparat des Unternehmens gleichsetzen; dies gilt erst recht dann, wenn das Video mit dem Firmenschlagwort des Unternehmens gebrandet sowie auf dessen Webseite und LinkedIn-Plattform zu finden ist.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war die Beanstandung von dritter Seite, das Mitgliedsunternehmen Amgen GmbH habe ein Video in der Kommunikation benutzt, das ein Interview mit einer Patientenvertreterin und Betroffenen (- im Folgenden: X -) enthalte und die Therapie des … [- es folgt eine spezifische Indikation -] zum Gegenstand habe. Insoweit wurde auf ein auf LinkedIn eingestelltes Video verwiesen und eine Langversion des Films, die sich auf der Webseite des Unternehmens fand.

Mit der Beanstandung wurde geltend gemacht, das Video impliziere, das Unternehmen werde künftig ein Präparat anbieten können, das die Heilung der Erkrankung ermögliche, die Gegenstand der Videos war. Insoweit wurde auf eine Aussage von X Bezug genommen, dass bei „einer neuen Therapie“ künftig eine Heilung erreichbar werden könne.

Das Unternehmen räumte ein, die Videoaufnahmen seit März 2022 benutzt zu haben. Zur Erstellung des Videos hätte es die Agentur Y beauftragt. Es räumte ferner ein, u.a. im Indikationsbereich tätig zu sein. Deshalb sei es ihm wichtig, Betroffenen Mut zu machen, mit der Erkrankung leben zu lernen.
Das Unternehmen sah das Video als kodexkonform an. X spreche lediglich allgemein von neuen Therapien ohne Referenz auf eine spezifische Pipeline-Substanz und schon gar nicht in Bezug auf eine Substanz des Unternehmens. Eine vertragliche Zusammenarbeit mit X bestünde nicht, das Unternehmen habe lediglich die Rechte zur Nutzung des Videos abgetreten erhalten. Die Mitwirkung von X beruhe auf einem Vorschlag der Agentur Y,die seit Jahren im Indikationsbereich arbeite und Kontakt zu Experten, Betroffenen und auch zu X habe.

X war bis vor wenigen Monaten Vorsitzende einer bundesweit agierenden Patienten-Organisation und leitet weiterhin eine regionale Selbsthilfegruppe. Sie ist im Therapie-Bereich bundesweit bekannt.

Aus der vom Unternehmen überreichten Abrechnung der Agentur folgte, dass X ein Honorar von Y erhalten hatte, das dem Unternehmen weiterbelastet wurde. Diesem Honorar lagen ein Vorgespräch, ein Drehtag und die Erstattung der Reisekosten zugrunde.

Auf Nachfrage teilte das Unternehmen der Schiedsstelle schließlich mit, dass X bereits einige Jahre zuvor für ein vergleichbares Video zur Verfügung stand, das vom europäischen Headquarter des Unternehmens in Auftrag gegeben worden war, in Deutschland aber nur für interne Zwecke verwendet wurde.

Auf die weitere Frage der Schiedsstelle, ob das Unternehmen die Einführung eines neuen Präparats zur Therapie in der betreffenden Indikation plane, wurde ausgeführt, dass die „unmittelbare Neueinführung“ eines Präparats in diesem Therapie-Bereich nicht vorgesehen sei.

Die Schiedsstelle hat im Rahmen ihrer Ermittlungen Informationen zum aktuellen Stand der Therapiemöglichkeiten eingeholt. Daraus ergab sich, dass eine Reihe von neuen Therapieentwicklungen den Anspruch auf Heilung aller Voraussicht nach erfüllen werden. Diese Therapien befinden sich z. Zt. noch überwiegend in der Phase III der klinischen Entwicklung, sie sind aber bereits heute im Rahmen klinischer Studien, auch in Deutschland (begrenzt) im Einsatz. Auch vom Konzern des Mitgliedsunternehmens, so wurde die Schiedsstelle informiert, seien Studien zu einer derartigen Entwicklungssubstanz durchgeführt worden.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Schiedsstelle hat mögliche Verstöße gegen §§ 7f. und § 9 Kodex Fachkreise (- im Folgenden: Kodex -) geprüft.

Ein Verstoß gegen § 7 Kodex war zu verneinen. Eine irreführende Werbung könnte dann vorliegen, wenn die in dem Video enthaltenen Aussagen irreführend wären. Dies kann für die Aussage von X, die sich auf die künftige Heilbarkeit der Erkrankung bezieht, nicht festgestellt werden. Vielmehr ergibt sich aus den Ermittlungen der Schiedsstelle, dass sich eine ganze Reihe von Präparaten aktuell in Zulassungsstudien befinden, die – nach heutiger Bewertung durch die Fachkreise – eine Heilung erlauben können, sei es in Bezug auf einzelne Subgruppen der Erkrankung oder auch darüber hinaus. Die Aussage von X ist daher nicht irreführend.

Die Schiedsstelle sieht allerdings einen Verstoß gegen § 9 Kodex als gegeben an. Die Aussage von X bezieht sich klar auf „eine“ neue Therapie und nicht etwa auf eine Viel-zahl. Mit einer Therapie wird ein nicht unerheblicher Teil der Betrachter des Videos „ein“ Präparat gleichsetzen. Dieses „eine“ Präparat wird wiederum von einem ebenfalls nicht unerheblichen Teil der Zuschauer mit einem künftigen Präparat des Unternehmens gleichgesetzt werden; dies folgt schon daraus, dass die Videos teilweise mit dem Firmenschlagwort des Unternehmens gebrandet sowie auf dessen Webseite und LinkedIn-Plattform zu finden sind. Es erscheint der Schiedsstelle fernliegend anzunehmen, die Äußerung würde auf irgendeine Neuentwicklung irgendeines Unternehmens bezogen, wenn sie gerade auf den Seiten des Unternehmens kommuniziert wird.

Die Entwicklung des Unternehmens ist auch ohne allzu große Schwierigkeiten identifizierbar, sei es über eine Frage an den Spezialisten, bei dem der Patient in Behandlung ist und der über die aktuellen Studien informiert ist, sei es durch eine Rückfrage bei X, sei es durch eine Internet-Recherche. Das Ergebnis wird jeweils zur Substanz […] des Unternehmens führen.

Die Aussage von X ist dem Unternehmen auch zuzurechnen. Sie ist in Videos enthalten, die im Auftrag und auf Kosten des Unternehmens produziert wurden (§ 3 Abs. 1 Kodex). X hat für ihre Mitarbeit ein Honorar erhalten, das auf Vereinbarungen zwischen ihr und der Agentur Y beruht, die wiederum dem Unternehmen zuzurechnen sind.

Das Verfahrens-gegenständliche Video ist daher – zumindest auch – als Prä-Marketing-Maßnahme für eine künftige Einführung von […] zu verstehen. Dem widerspricht nicht, dass das Unternehmen auch die – evt. altruistische – Absicht haben mag, den Patienten Mut im Umgang mit ihrer Erkrankung zu machen; erfahrungsgemäß spielen daneben regelmäßig auch andere Motive eine wesentliche Rolle.

Das beanstandete Video ist daher, soweit es die fragliche Aussage von X enthält, als Werbung für ein nicht zugelassenes Präparat und damit als Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 Kodex zu betrachten. Ob damit gleichzeitig auch gegen § 8 Abs. 1 Kodex verstoßen wird, lässt die Schiedsstelle in Anbetracht des bereits festgestellten Verstoßes gegen § 9 Kodex offen.

Die Beanstandung ist daher begründet. Da mit der Beanstandung kein Verstoß gegen die Vorgaben des Kodex für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Patientenorganisationen gerügt wurde, sieht die Schiedsstelle keinen Anlass, mögliche Verstöße gegen §§ 6ff. dieses Kodex zu prüfen.

Entscheidung

Das Unternehmen hat nach Abmahnung eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben, es künftig zu unterlassen, Videos auf LinkedIn oder einer Webseite zu posten, die die fragliche Aussage enthalten; so wie es im Rahmen eines LinkedIn Videos und eines Webseiten-Video geschehen war. Die Geldstrafe in Höhe von 7.000 EUR wurde zugunsten des Kinderhospiz Sonnenhof, Björn-Schulz-Stiftung, gezahlt.

Berlin, im September 2022