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§ 25 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise – Übernahme von Kosten des Krankenhauses für Krebszellen-Mutationstest bei Patienten durch Unternehmen – Anreiz für die Beeinflussung von Therapieentscheidungen

AZ.: 2010.1-284 (1. Instanz)

Leitsatz

  1. Übernimmt ein Unternehmen gegenüber der GKV nicht abrechenbare Kosten des Krankenhauses für einen Labortest, mit dem festgestellt wird, ob bei Krebspatienten einen Zell-Wachstumsfaktor-Rezeptor aktivierende Mutationen vorliegen, die Voraussetzung für die Anwendung eines vom Unternehmen vertriebenen Arzneimittels zur Krebsbehandlung sind, ist dies eine einseitige Zuwendung gegenüber dem Krankenhaus.

  2. Die Übernahme der Testkosten stellt einen nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 unzulässigen Anreiz zur Beeinflussung von Therapieentscheidungen dar, auch wenn statistisch nur 10 – 15% aller Patienten einen Zell-Wachstumsfaktor-Rezeptor aktivierende Mutationen aufweisen und somit für die Behandlung mit dem vom Unternehmen angebotenen Arzneimittel in Betracht kommen.

Sachverhalt

Ein Mitgliedsunternehmen vertreibt ein Arzneimittel zur Krebsbehandlung, das nur zur Anwendung bei Patienten zugelassen ist, deren Krebszellen bestimmte Mutationen eines Zellwachstumsfaktor-Rezeptors (sog. EGFR-aktivierende Mutationen) aufweisen („Personalisierte Therapie“ für sog. mutationspositive Patienten). Diese Genmutation tritt nur bei ca. 10 – 15 % der an Krebs (nicht kleinzelligem Lungenkarzinom) erkrankten Patienten auf. Das Arzneimittel zeigt bei Patienten, deren Tumorzellen nicht die genannten Mutationen aufweisen (sog. mutationsnegativen Patienten), keine relevante klinische Aktivität. Die Feststellung des Mutationsstatus erfordert einen Labortest, der an einer vom Patienten stationär entnommenen Probe des Tumorgewebes durchgeführt wird. Der Mutationstest ist bislang nicht Bestandteil der Routinebehandlung der Krebspatienten und wird bei stationärer Behandlung in den DRGs (Diagnosis Related Groups), die der Abrechnung von Krankenhausleistungen mit der GKV nach dem Fallpauschalensystem zugrundeliegen, als Kostenfaktor nicht abgebildet.

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung des Arzneimittels in Deutschland wandte sich das Unternehmen im Herbst 2009 in einem Rundschreiben an ca. 3.000 überwiegend in Kliniken tätige Fachärzte (Onkologen und Pneumologen) und sagte den Kliniken für einen begrenzten Zeitraum die Übernahme der Kosten des Mutationstests zu. In dem Schreiben wurde auf die Vorzüge des Arzneimittels im Rahmen der Erstlinienbehandlung gegenüber der herkömmlichen Chemotherapie hingewiesen. Um den Patienten die Möglichkeit des Zugangs „zu der für sie besten Therapie“ zu verschaffen und die Klinikbudgets zu entlasten, habe sich das Unternehmen zur Übernahme der Testkosten, die bei GKV-Patienten im Rahmen der stationären Behandlung entstehen, entschlossen.

Die Tests werden entweder in klinikeigenen Instituten oder in Auftragsinstituten durchgeführt. In Zusammenarbeit mit einer beauftragten privatärztlichen Verrechnungsstelle zahlte das Unternehmen den Krankenhäusern oder den beauftragten Instituten für jeden nachweislich durchgeführten Mutationstest ca. 300,- EUR.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Mit der Übernahme der Kosten für den Mutationstest hat das Unternehmen gegen § 25 Abs. 1 des FSA-Kodex Fachkreise verstoßen.

Die Übernahme der Testkosten in Höhe von ca. 300,- EUR ist eine einseitige Geldleistung gegenüber den hierdurch Begünstigten, den Krankenhäusern, deren stationäre Patienten dem Test unterzogen wurden. Dem steht nicht entgegen, dass das Unternehmen im Rahmen der Abwicklung über die privatärztliche Verrechnungsstelle den betreffenden Krankenhäusern oder Instituten, die den Test durchführen, einen Aufwand erstattet, der für eine medizinische Leistung entstanden ist. Diese Leistung, der Mutationstest, wird nicht im Rahmen eines gegenseitigen Vertragsverhältnisses zwischen dem jeweiligen Krankenhaus oder Institut und dem Unternehmen als Vertragspartnern erbracht, sondern im Rahmen eines Behandlungsvertrages vom Krankenhaus gegenüber dem jeweils stationär behandelten Patienten. Das Unternehmen zahlt für den Test nicht als Empfänger einer im gegenseitigen Austauschverhältnis erbrachten Leistung, sondern aufgrund einseitigen Versprechens, allenfalls in Erwartung einer möglichen Verordnung seines Krebsarzneimittels bei einem mutations-positiven Testergebnis. Das Unternehmen entlastet das jeweilige Krankenhaus von einem Teil der Behandlungskosten, die für dessen stationär behandelte Patienten entstehen, wobei dies Kosten des krankenhauseigenen Instituts oder die Vergütung für das mit der Durchführung des Tests beauftragte Fremdinstitut sein können. Im letzteren Fall befreit das Unternehmen durch Zahlung der Vergütung an das Fremdinstitut das beauftragende Krankenhaus von einer Verbindlichkeit. Krankenhäuser und Universitätskliniken sind als Adressaten einseitiger Geldzuwendungen in § 25 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise ausdrücklich benannt.

Die Finanzierung des Mutationstests dient den nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 Fachkreise-Kodex geforderten „Zwecken des Gesundheitswesens“. Denn das Testergebnis eröffnet den Ärzten die Möglichkeit, in der Erstlinientherapie der Krebserkrankung unterschiedliche Behandlungsstrategien einzuschlagen. Nur bei „mutationspositiven“ Patienten ist die zielgerichtete Therapie mit dem vom Unternehmen vertriebenen Arzneimittel angezeigt, während für Patienten mit negativem Testergebnis eine herkömmliche Chemotherapie, ggf. ergänzt durch Zusatzmedikation, in Betracht kommt.

Die Kostenerstattung für die Testdurchführung wird jedoch durch das Unternehmen als Anreiz für die Beeinflussung von Therapie-, Verordnungs- und Beschaffungsentscheidungen der Krankenhäuser, nämlich zugunsten des vom Unternehmen vertriebenen Arzneimittels zur Krebsbehandlung, missbraucht, was gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 3 Fachkreise-Kodex unzulässig ist. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen, insbesondere aus der Propagierung des Kostenerstattungsprogramms durch das Unternehmen. Das Versprechen der Kostenübernahme für den Test wird in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der gerade erfolgten Zulassung und Verfügbarkeit des Arzneimittels XY auf dem deutschen Markt gebracht („Erstmals können Sie damit Krebspatienten eine personalisierte Therapie anbieten.“ „Patienten mit aktivierenden … Mutationen bietet XY eine wirksamere und insgesamt besser verträgliche Alternative zur Chemotherapie.“). Mit dieser Propagierung des Arzneimittels als überlegener Therapiealternative wird die für die Krankenhäuser nachteilige Situation einer fehlenden Kostenerstattung für den Test durch die GKV verknüpft und „Abhilfe“ in Aussicht gestellt.

Mit der Zusage der Kostenübernahme in Verbindung mit der Einführung des Arzneimittels setzt das Unternehmen somit einen Anreiz für das Krankenhaus, den Test durchzuführen bzw. in Auftrag zu geben, wovon es sonst aus Budgetgründen möglicherweise abgesehen hätte. Erfahrungsgemäß verknüpft ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen mit einer derartigen Zusage die Erwartung, bei einem mutations-positiven Testergebnis werde den betroffenen Patienten das vom Unternehmen propagierte Arzneimittel verordnet. Dass diese Erwartung nicht unbegründet ist, zeigen die Ergebnisse einer vom Unternehmen selbst durchgeführten bundesweiten Telefonbefragung bei ca. 90 Fachärzten. Danach würden immerhin 57% bei einem mutations-positiven Testergebnis das Arzneimittel XY in der Erstlinientherapie anwenden. Gerade in der Phase der Einführung des Arzneimittels war die Finanzierung des Mutationstests für das Unternehmen folglich ein geeignetes Mittel, die Hürde einer fehlenden Kostenerstattung durch die GKV im stationären Bereich zu überwinden.

Es wird hierbei nicht verkannt, dass (nur) 10 – 15% der einschlägig Erkrankten jene aktivvierenden Mutationen des Zellwachstumsfaktor-Rezeptors aufweisen, bei denen die Anwendung des Arzneimittels XY indiziert ist, das Unternehmen somit einen Test finanziert, bei dem statistisch gesehen in ca. 85% der Fälle das Resultat keine Aussicht eröffnet, dass das Arzneimittel XY verordnet werden könnte. Dies schließt jedoch eine Anreizwirkung der Kostenerstattung im Sinne eines „Motivationsschubs“ zur Durchführung des Tests und damit zur Eröffnung der Möglichkeit, das Arzneimittel zu verordnen, nicht aus. Ein „Anreiz“ im Sinne des § 25 Fachkreise-Kodex verlangt keine enge Koppelung von Zuwendung („Belohnung“) und Verordnungsentscheidung, wie sie etwa in § 17 Fachkreise-Kodex bei Gewährung von Vorteilen gegenüber einzelnen Ärzten für die Verordnung oder Anwendung eines Arzneimittels vorausgesetzt wird.

Das Unternehmen kann auch nicht mit der Argumentation überzeugen, die Finanzierung des Mutationstests solle es den Ärzten ermöglichen, eine sachgerechte Therapieentscheidung zu treffen, insbesondere einen potenziellen Off-Label-Gebrauch des Arzneimittels XY, also dessen (ungezielte) Anwendung ohne vorangegangenen Test, zu vermeiden. Die Sicherstellung der indikationsgerechten Anwendung eines Arzneimittels obliegt vor allem den Verordnern oder Anwendern. Zwar sind pharmazeutische Unternehmer gehalten, einem beobachteten Fehlgebrauch ihrer Arzneimittel vorzubeugen, jedoch sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, warum das Unternehmen dieses Ziel durch einseitige finanzielle Zuwendungen an die Krankenhäuser unterstützen sollte. Vielmehr hat das Unternehmen die Kostenerstattung für den Mutationstest im Zusammenhang mit der Einführung seines Arzneimittels XY zur Überwindung der „Kostenhürde“ und damit als Anreiz für die Beeinflussung von Therapie- bzw. Verordnungsentscheidungen der Krankenhaus-Ärzte eingesetzt.

Ergebnis

Das Unternehmen hat eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Das angedrohte Ordnungsgeld im Falle der Zuwiderhandlung beträgt 10.000 EUR.

Berlin, im September 2010