Skip to content

§ 21 Abs. 1 FSA-Kodex Fachreise i.V.m. § 7 Abs. 1 HWG – Verbrauchs-/Verkehrswert einer Werbegabe – Geringwertigkeit

AZ.: 2010.2-286 (1. Instanz)

Leitsatz

Ist ein Verbrauchs- oder Verkehrswert einer Werbegabe objektiv nicht bestimmbar, kann zur Beurteilung der Geringwertigkeit ausnahmsweise der Herstellungs- oder Anschaffungswert für das werbende Unternehmen herangezogen werden.

Sachverhalt

Ein Mitgliedsunternehmen hatte über seinen Außendienst insgesamt 20.000 Stimmgabeln in Umkartons an Ärztinnen und Ärzte in Deutschland unentgeltlich abgegeben. Die Stimmgabeln entsprachen in ihrer äußeren Gestaltung den medizinischen Instrumenten, mit denen Ärzte Beeinträchtigungen des peripheren Nervensystems untersuchen, die sich z.B. als Spätfolge von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes in einem herabgesetzten Vibrationsempfinden des Patienten äußern. Dabei wird die in Schwingungen versetzte Stimmgabel auf bestimmten Punkten an den Extremitäten des Patienten angesetzt, wobei dieser den Zeitpunkt angibt, an dem er die Vibrationen nicht mehr spürt. Der Untersucher kann anhand einer Skala und eines optischen Phänomens sich überlagernder Dreiecke auf Gewichten (Dämpfern), die an den Zinken der Gabeln angebracht sind, diesen Zeitpunkt bestimmen und somit den eingetretenen Sensibilitätsverlust beim Patienten bewerten.

Für medizinische Zwecke verwendbare Stimmgabeln mit präziser Einstellung des Schwingungstons auf 128 Hz, gefertigt aus vernickeltem Edelstahl, werden auf dem deutschen Markt in einer breiten Preisspanne zwischen ca. 20,00 und ca. 100,00 EUR angeboten.

Das Unternehmen hatte die von ihm verteilten Stimmgabeln im Rahmen einer elektronischen Auktion über den Werbemittelgroßhandel zum Stückpreis von 3,97 EUR zzgl. 19 % MwSt. (brutto = 4,72 EUR) bezogen, wobei es den Stückpreis um einen erzielten Rabatt von 6 % auf 4,44 EUR reduzieren konnte. Die Stimmgabeln aus chinesischer Produktion waren aus Aluminium gefertigt, auf dessen Oberfläche sich Bearbeitungsspuren („Schrammen“) befanden. An der Aufsatzstelle des Kunststoffgriffs waren Klebstoffreste erkennbar. Im Schaft waren das Namenskürzel des Unternehmens mit dem Firmenlogo und dem Zusatz „Diabetes“ sowie die Marke eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels des Unternehmens zur Diabetesbehandlung eingraviert. Diese Angaben befanden sich auch auf dem Deckel des Umkartons.

Ein vom Spruchkörper 1. Instanz in Auftrag gegebenes Gutachten sprach den Stimmgabeln ihre Verwendbarkeit für medizinische Zwecke nicht völlig ab, wertete sie jedoch als Geräte von minderer Qualität, die mit Präzisionsinstrumenten aus deutscher Produktion nicht vergleichbar seien. Zur Berechnung des Wiederverkaufswerts ging der Gutachter von einem wegen der Werbeaufdrucke (Gravuren) geminderten Einkaufspreis von 3,50 EUR aus. Nur bei Annahme einer Handelsspanne von 40% hielt er einen Nettopreis von 4,90 EUR (zzgl. MwSt. = 5,83 EUR) für erzielbar.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Nach Würdigung aller Umstände stellte die unentgeltliche Abgabe der Stimmgabeln, die durch das Unternehmen im Rahmen einer produktbezogenen Werbung erfolgte, keinen Verstoß gegen § 21 Abs. 1 des FSA-Kodex Fachkreise i.V.m. § 7 Abs. 1 HWG dar. Der Verkehrswert der einzelnen Stimmgabel überschritt nicht die nach der Rechtsprechung der FSA-Spruchkörper (vgl. FS I 2005.11-103; FS II 3 / 06 / 2006.6-130) und den Leitlinien des FSA-Vorstands gemäß § 6 Abs. 2 FSA-Kodex Fachkreise (vgl. dort Ziffer 9.1) festgelegte Grenze von 5,00 EUR (Bruttowert).

Für die Bestimmung der Wertgrenze einer Werbegabe kommt es nicht auf den Herstellungs- oder Anschaffungswert für den Werbetreibenden an, sondern darauf, welchen Verbrauchs- oder Verkehrswert sie für den Beworbenen bzw. Zuwendungsempfänger als „Durchschnittsadressaten“ hat (s. Doepner, HWG, 2.A., Rdnr. 35 zu § 7; Dieners, Handbuch Compliance, 3. A. , Kap. 11, Rdnr. 293). Die Methode, den Verkehrswert der Stimmgabeln im sogenannten Vergleichswertverfahren zu ermitteln, erwies sich hier als untauglich. Wie auch der Gutachter feststellte, waren zum medizinischen Einsatz bestimmte Stimmgabeln, die nach Güte und Werthaltigkeit den vom Unternehmen verteilten vergleichbar wären, nicht zu ermitteln. Jedenfalls konnten die im Internet ersichtlichen Angebote medizinischer Stimmgabeln, die aus vernickeltem Edelstahl gefertigt waren, nicht zum Vergleich herangezogen werden. Der Qualitätsunterschied der hier verteilten Stimmgabeln zu diesen medizinischen (Präzisions-)Instrumenten war offensichtlich.

Die geringe Verarbeitungsqualität und nicht zuletzt die Gesamtdarbietung der vom Unternehmen verteilten Stimmgabel erwecken aus dem Empfängerhorizont der Ärzte nicht den Eindruck, sie würden hiermit ein für den Einsatz in der medizinischen Praxis taugliches Gerät mit entsprechendem Gebrauchswert erhalten. Vielmehr waren die Stimmgabeln lediglich als „Werbeträger“ anzusehen, was durch die Gravuren mit den Hinweisen auf das Unternehmen, das Indikationsgebiet (Diabetes) und das Arzneimittel des Unternehmens unterstrichen wurde.

Ließ sich somit ein objektiver Verkehrswert der Werbegabe wegen fehlender Vergleichsmöglichkeit mit auf dem Markt befindlichen medizinischen Stimmgabeln nicht ermitteln, bot sich als einzig verbleibendes Kriterium für die Wertbestimmung nur der Herstellungs- bzw. Anschaffungswert für das werbende Unternehmen an. Dieser Wert lag unterhalb der Grenze der Geringwertigkeit von 5,00 EUR. Das Gutachten konnte mit seiner Berechnung eines potentiellen Veräußerungspreises nicht überzeugen, weil dieser nur bei Annahme eines – nicht näher begründeten – Aufschlags einer Handelsspanne von 40% auf den Herstellungspreis bei knapp über 5,00 EUR lag.

Ergebnis

Wegen Unbegründetheit der Beanstandung wurde das Verfahren eingestellt.

Berlin, im Januar 2011