§ 15 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise i.V.m. § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG – Abgabe von Arzneimittelmustern durch einen beauftragten Kurierdienst
AZ.: 2012.1-316 (1. Instanz)
Leitsatz
Lässt ein pharmazeutischer Unternehmer zuvor nicht angeforderte Päckchen mit Arzneimittelmustern durch einen von ihm beauftragten Zustelldienst in Arztpraxen überbringen, ist das Merkmal der Abgabe „nur auf jeweilige schriftliche Anforderung“ nach § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG erfüllt, wenn der Überbringer des Musters dem Arzt eine vorformulierte Erklärung zur Musteranforderung vorlegt, das Muster nur nach eigenhändiger Unterschrift des Arztes unter diese Erklärung übergibt und ansonsten – bei Abwesenheit des Arztes oder Verweigerung der Unterschrift – entsprechend den ihm erteilten Anweisungen das Muster nicht aushändigt.
Sachverhalt
Das Unternehmen (Mitglied des FSA) hat im Januar 2012 durch einen beauftragten Dienstleister eine Versendungsaktion an ca. 25.000 niedergelassene Ärzte ausführen lassen. Anlass war eine im Dezember 2011 erfolgte Erweiterung der Zulassung seines Arzneimittels XY durch eine neue Indikation. Den Ärzten sollten Päckchen zugestellt werden, die neben einem Muster des betreffenden Arzneimittels in der kleinsten Packungsgröße die Fachinformation sowie weitere Informationen über die Anwendung des Arzneimittels und das einschlägige Indikationsgebiet enthielten. Auf der Vorderseite des Päckchens befand sich unter dem Logo des Unternehmens die in auffällig großen Buchstaben gehaltene Aufschrift „Gibt es etwas Neues?“. In kleinerer Schrift am unteren Rand des Päckchens war der Hinweis aufgedruckt: „Achtung: Wichtige Arzneimittelinformation und Muster“.
Die Zustellung der Päckchen erfolgte durch einen vom externen Dienstleister beauftragten Kurierdienst.
Für die Kuriere war auf der Rückseite der Päckchen über dem Adressaufkleber eine durchsichtige Lasche aufgeklebt, durch die ein weißes Kärtchen mit der Aufschrift „WICHTIG – Unterschrift NICHT vergessen!!!“ durchschien. Auf der Rückseite des herausnehmbaren Kärtchens befand sich unter dem Namen und der Adresse des jeweiligen Arztes und dem Datum folgende Aufschrift: „Hiermit fordere ich nach § 47 Abs. 3 und 4 AMG folgende Muster an:“ (es folgte die Bezeichnung des Arzneimittels mit Dosierung und Packungsgröße), darunter: „Datum / Unterschrift“.
Das Unternehmen legte eine vom Kurierdienst verfaßte „Handlingsanweisung“ vor, in der die einzelnen Schritte der Durchführung der Versendungsaktion und der Übergabe der Päckchen beschrieben wurden. Bestandteil dieser Beschreibung war eine „Handlingsanweisung für die Kuriere“, die diesen vorlag. Darin war folgender Ablauf vorgeschrieben:
- Anmeldung bei der Sprechstundenhilfe zur persönlichen Vorsprache beim Arzt,
- Entnahme der „kundeneigenen Empfangsbestätigung“ (so die interne Bezeichnung für die Musteranforderungskarte) aus der Lasche und
- Einholung der persönlichen Unterschrift des Arztes,
- Einholung der Empfangsbestätigung durch Unterschrift des Arztes „auf dem MC-Gerät“ bzw. alternativ auf einer „Rollkarte“,
- nach erfolgten Unterschriften Übergabe des Päckchens an den Arzt.
Die Kuriere waren ausdrücklich angewiesen, die Päckchen nicht abzugeben, wenn der Arzt nicht anzutreffen war oder die Unterschrift unter die Musteranforderungskarte verweigerte. Die unterzeichneten Musteranforderungen waren vom Kurierdienst an den Auftrag gebenden Dienstleister zurückzuführen. Nach Angaben des Unternehmens haben ca. 20% der Ärzte die Musteranforderungskarte nicht unterschrieben und demzufolge kein (Muster-) Päckchen erhalten.
Anlass für die Beanstandung war der Bericht eines Arztes im arznei-telegramm Nr. 1/2012 (dort Seite 12) über die versuchte Übergabe eines (Muster-)Päckchens Anfang Januar 2012 in seiner Praxis. Auf schriftliche Befragung durch den Spruchkörper 1. Instanz schilderte er den Vorgang wie folgt: Der Überbringer des Päckchens habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass sich darin ein Arzneimittelmuster befinde und ihn aufgefordert, „den Empfang“ auf einer Karte zu bestätigen. Nachdem der Arzt diese Karte als Erklärung zur Musteranforderung erkannt hatte, verweigerte er die Unterschrift und die Annahme des Päckchens.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Mitgliedsunternehmen bei der in seinem Auftrag im Januar 2012 durchgeführten Versendung von Päckchen, die Muster des Arzneimittels XY enthielten, gegen § 15 Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise i.V.m. § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG verstoßen hat. Es ist kein Einzelfall nachgewiesen worden, in dem ein Muster an einen Arzt ohne dessen vorherige schriftliche Anforderung abgegeben wurde.
Mit der Aufnahme des Erfordernis in § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG, Arzneimittelmuster „nur auf jeweilige schriftliche Anforderung“ abzugeben, sollte sichergestellt werden, dass dem Arzt nur dann Muster übergeben werden, wenn dies auf seiner ausdrücklich bekundeten Entscheidung in jedem Einzelfall beruht (vgl. Kloesel/Cyran, Kommentar zum AMG § 47 Rn. 52). Nach Wortlaut („auf“ Anforderung) und Zweck der Vorschrift muss die schriftliche Anforderung der Musterabgabe zeitlich vorausgehen (Kloesel/Cyran a.a.O. § 47 Rn. 52; Sander, Arzneimittelrecht, Rn. 20 zu § 47). Die Anforderung mit der eigenhändigen Unterschrift des empfangsberechtigten Arztes kann unmittelbar vor der Abgabe erfolgen, wie z.B. beim Besuch eines Pharmaberaters, der im Verlauf des Gesprächs die von ihm mitgebrachten Muster präsentiert und dem Arzt übergibt, nachdem dieser die ihm vorgelegte schriftliche Anforderungserklärung unterzeichnet hat (s. Kloesel/Cyran a.a.O. § 47 Rn. 52). Das Gesetz gebietet keinen bestimmten „zeitlichen Abstand“ zwischen Anforderung und Musterabgabe, es will nur sicherstellen, dass die Freiheit des Arztes, sich für oder gegen eine Musteranforderung zu entscheiden, in jedem Fall gewahrt bleibt (s. Kloesel/Cyran a.a.O. § 47 Rn. 52).
Nach den vorstehenden Kriterien ist auch der vorliegende Fall zu beurteilen, in dem ein pharmazeutisches Unternehmen einen Dritten beauftragt, Päckchen mit Arzneimittelmustern durch Boten eines Kurierdienstes zuzustellen und nach Anforderung zu übergeben. Die Zulässigkeit, einen Dritten in die Abläufe der Verteilung und Abgabe von Mustern einzuschalten, ist unbestritten (s. Kloesel/Cyran a.a.O. § 47 Rn. 57). In der Ausgangslage unterscheidet sich der Besuch des Pharmaberaters, der die Muster mit sich führt, nicht vom Auftreten des Boten, der beabsichtigt, das Päckchen mit den Mustern zu übergeben: Beim Erscheinen der Überbringer der Muster liegt in beiden Fällen keine schriftliche Anforderung des Arztes für die Abgabe dieser Muster vor. Dem Pharmaberater wie dem Boten ist zu diesem Zeitpunkt die Absicht gemeinsam, Arzneimittelmuster, wenn diese im weiteren Verlauf vom Arzt gewollt und angefordert würden, abzugeben. Der im arznei-telegramm formulierte Vorwurf, „bis zum Zeitpunkt der Lieferung“ liege noch keine Anforderung des Arztes vor, geht daher rechtlich ins Leere, wenn mit „Lieferung“ bereits das Auftreten des Boten und Überbringers gemeint ist, und nicht die – spätere – Übergabe. Für die Frage der Einhaltung des § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG ist allein der weitere Ablauf bis zur tatsächlichen Übergabe und Übereignung des Musters entscheidend.
Die Handlungsanweisungen für die Kuriere bestimmen eindeutig, dass dem Arzt die Musteranforderungs-Karte vorzulegen ist und die Abgabe des Päckchens nur erfolgen darf, wenn der Arzt diese unterschreibt. Erst danach wird der Arzt – wie auch sonst bei Kuriersendungen üblich – um Empfangsbestätigung („Qittierung“) gebeten, die hier zusätzlich dem Unternehmen als Nachweis der Musterabgabe gem. § 47 Abs. 4 Satz 4 AMG dient. Der Spruchkörper 1. Instanz erkennt in diesem Ablauf keine Anhaltspunkte dafür, dass das Erfordernis des § 47 Abs. 4 Satz 1 AMG missachtet wurde, dem Arzt Muster nur nach dessen vorheriger schriftlicher Anforderung zu übergeben. Die Präsentation der Musteranforderungskarte durch den Boten ist die Einladung an den Arzt, ein Muster anzufordern und in Empfang zu nehmen. Das Gesetz untersagt nicht, den Arzt auf die Möglichkeit des Bezugs von Arzneimittelmustern hinzuweisen, ihm diese „anzudienen“. Dem Arzt muss jedoch die Freiheit verbleiben, diese „Einladung“ anzunehmen oder nicht, also die Unterschrift unter die Musteranforderung gegebenenfalls zu verweigern. Dies war auch in dem im arznei-tegramm geschilderten Fall gewährleistet. Der Arzt, der das Muster nicht wollte, hat die Unterschrift unter die Musteranforderung verweigert, worauf der Kurier das Päckchen wieder mitnahm. Entgegen den Behauptungen im arznei-telegramm wurde dem Arzt kein unverlangtes Muster „untergeschoben“.
Das Presseecho zu der Versendungsaktion (s. Veröffentlichungen im arznei-telegramm a.a.O. und in Spiegel online vom 18.01.2012) deutet darauf hin, dass es beim Kontakt des Boten mit dem Arzt vereinzelt zu Missverständnissen über die konkrete Abwicklung von Musteranforderung und Musterübergabe kam. Diese Einzelfälle, berühren jedoch nicht die Feststellung, dass das praktizierte Vorgehen den rechtlichen Anforderungen des FSA-Kodex Fachkreise und des AMG entsprach.
Ergebnis
Da die Beanstandung unbegründet war, wurde das Verfahren eingestellt.
Berlin, im April 2012