§§ 15a Abs. 1 Nr. 1, 22 FSA Kodex Fachkreise Abgabe eines Folders mit einer beigelegten „Festgirlande“
Leitsatz
- Eine an Angehörige der Fachkreise gerichtete Broschüre, die Aussagen zu einem verschreibungspflichtigen Humanarzneimittel und dazu durchgeführte Studien enthält, unterfällt in der Regel der Privilegierung des § 15a Abs. 1 Nr. 1 FSA-Kodex; sie ist auch dann nicht als unzulässiges Geschenk i.S.v. § 21 FSA-Kodex Fachkreise anzusehen, wenn sie in einer besonderen Form (z.B. einer Herzform) gestaltet ist.
- Die Privilegierung des § 15a FSA-Kodex Fachkreise ist jedoch einschränkend in der Weise anzuwenden, dass das betreffende Material den geltenden Gesetzen entsprechen muss.
Sachverhalt
Dem Spruchkörper ging eine Beanstandung von dritter Seite zu, die Mitgliedsunternehmen Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co KG und Lilly Deutschland GmbH hätten Anfang 2017 neben weiteren Abgabematerialien für ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel eine „Festgirlande“ unentgeltlich an Angehörige der Fachkreise abgegeben. Die „Girlande“ war mit Aussagen zum Präparat bedruckt und verfügte über zwei Befestigungspunkte, die ein Aufhängen in der Arztpraxis erlaubte; Schnüre oder sonstige Befestigungsmittel zum Aufhängen lagen dem Werbemittel nicht bei. Der Beanstandende sah darin einen Verstoß gegen das Geschenkeverbot und das Verbot der Laienwerbung.
Die Unternehmen führten aus, es handele sich bei dem abgegebenen Werbemittel um eine Broschüre zum Präparat im Sinne von § 15a Abs. 1 Nr. 1 FSA-Kodex, nicht um ein Geschenk. Die Broschüre sei als Leporello aufklappbar und in Herzform gestaltet.
Ein enger Zusammenhang mit der Patientenversorgung liege deshalb vor, weil das Material für ein besseres Verständnis des Arztes, hier hinsichtlich der Ergebnisse einer gerade veröffentlichten Studie zum Präparat, bestimmt sei. Mit der Herzform der Broschüre solle „symbolisch“ ein Hinweis auf den Zusatznutzen bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung gegeben werden. Die beidseitige Bedruckung sei deshalb gewählt worden, um eine Nutzung zu privaten Dekorationszwecken auszuschließen.
Die Produktionskosten des Leporellos lagen bei mehr als 3,00 EUR/Stück (einschl. einer Klappkarte und einem vorbereiteten Antwortfax, mit dem größere Stückzahlen einer Patientenbroschüre angefordert werden könnten). Die Unternehmen meinten, das Werbemittel sei dennoch geringwertig, da es sowohl mit Hinweisen zu den Unternehmen als auch zum Produkt gekennzeichnet sei. Der Anschaffungswert sei insoweit nicht maßgebend, sondern der Gebrauchswert für den Durchschnittsadressaten.
Die Aussendung war personalisiert in einer Stückzahl von über 70.000 Exemplaren ausschließlich an Ärzte versandt worden.
Auf dem Umschlag, der das Werbemittel enthielt, als auch auf der beigelegten Klappkarte wurden je-weils die Worte „LET’S CELEBRATE“ herausgestellt, in beiden Fällen in einer Kurve angeordnet und unter einem Viertelkreis. Die Gestaltung erinnert an aufgehängte Girlanden. Das Unternehmen meint, damit – den Worten „LET’S CELEBRATE“ – solle die Bedeutung der Ergebnisse der oben genannten Studie unterstrichen werden; eine Nutzung des Werbemittels zu Dekorationszwecken würde damit nicht impliziert.
Im Innenteil der Klappkarte wurden dem Arzt Informationen zum Zusatznutzen und zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos gegeben; dieser Text schloss mit dem Satz „Es gibt also gute Gründe, die für … [Name des Präparats] sprechen. Entdecken Sie noch mehr auf der beigelegten Festgirlande.“ Die Unternehmen meinten, durch die Verwendung des Wortes „Entdecken“ erfolge ein Hinweis auf den Informationszweck des Werbemittels und dass dieses nicht auf gehangen werden solle.
Das Werbemittel war auf den Vor- und Rückseiten mit identischen Texten in identischer Abfolge und Form bedruckt. Das erste und das letzte Herzblatt wies jeweils rechts oben eine vorgestanzte Öse auf, die zur Aufnahme eines Hakens, einer Reißzwecke, eines Bindfadens o.ä. genutzt werden konnte. Das Unternehmen meinte, die starre Verbindung der einzelnen Seiten des Leporellos stünde eine Aufhängung entgegen.
Die Texte auf den einzelnen Seiten des Leporellos bestanden teilweise aus herausgehobenen kurzen Texten in sehr großen Schriftgrößen und deutlich weniger prominent herausgestellten Aussagen, jeweils zum Präparat und zur Studie. Klappkarte und Leporello/Girlande enthielten die Pflichtangaben zum Präparat. Die Schriftgröße der Pflichtangaben auf dem Leporello/Girlande war bei einer Schreibtischlektüre ohne weiteres ausreichend, aus größerem Abstand nicht mehr.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Schiedsstelle ging davon aus, dass Gegenstand der Aussendung eine Reihe von Materialien zur Produktinformation- und werbung gewesen waren, deren grundsätzliche Zulässigkeit als gegeben unterstellt werden konnte. Dies ergab sich aus § 15 a Abs. 1 FSA-Kodex Fachkreise, der es den Mitgliedsunternehmen unter den dort näher genannten Bedingungen gestattet, Angehörigen der Fachkreise Informations- und Schulungsmaterialien zu überlassen. Das vorliegende Werbemittel war mit jenen vergleichbar, die in der Leitlinie 3.3 beispielhaft als zulässig genannt werden. Die Schiedsstelle bejahte auch den direkten Bezug zur beruflichen Praxis der Angehörigen der Fachkreise und den engen Zusammenhang mit der Patientenversorgung.
Auch die weitere Voraussetzung, dass die Materialien geringwertig sind, konnte bejaht werden. Das Material war so klar und eindeutig als solches mit Werbecharakter einzuordnen, dass es fernlag, zu unterstellen, die Adressaten wären bereit, ihm einen erheblichen monetären Wert zuzubilligen. Dabei hat die Schiedsstelle die Diskussion um die aktuell gültige Bemessungsgrenze der Geringwertigkeit (BGH WRP 2013, 1587 ff., RezeptBonus; Bülow/Ring/Artz/Brixius, 5. Auflage 2016, Rdnr. 80, 82 zu§ 7 HWG; Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, 2014, Rdnr. 67ff.; OLG Frankfurt, PharmR 2015, 313) berücksichtigt.
Die Schiedsstelle sah in der abgegebenen Broschüre dennoch einen Verstoß gegen das Publikumswerbeverbot des § 10 Abs.1 HWG. Im Gegensatz zum Unternehmen war die Schiedsstelle der Auffassung, dass das als Leporello bezeichnete Werbemittel in der Tat – mindestens auch – zum Aufhängen in der Art einer Girlande gedacht war. Dafür sprachen insbesondere –
• die vorgestanzten Ösen an den beiden Enden,
• die schriftbildlich stark herausgehobenen Aussagen, die für eine Schreibtischlektüre unüblich, aber für die Lesbarkeit bei einem erheblichem Abstand erforderlich sind,
• die Tatsache, dass der Text auf den Vor- und Rückseiten identisch war; so dass der Betrachter die Aussagen unabhängig davon lesen konnte, von welcher Seite aus er das Werbemittel gerade ansah und aus welcher Entfernung; insoweit war die Gestaltung ideal für das Aufhängen im Besuchszimmer einer Arztpraxis oder ähnlichen Räumen, sie wäre aber äußerst ungewöhnlich für eine Schreibtischlektüre gewesen; und schließlich
• die Bezeichnung „Festgirlande“, die das Unternehmen selbst in der Klappkarte verwendete.
Diese Merkmale waren in ihrem Zusammentreffen nur dann nachvollziehbar, wenn das Unternehmen davon ausging, dass zumindest ein nicht unerheblicher Teil der über 70.000 angeschriebenen Ärzte Anlass findet, das Werbemittel tatsächlich in der Praxis aufzuhängen. Dass dies nicht im Archivraum der Praxis erfolgt, sondern in Bereichen, die auch von Patienten besucht werden, erscheint der Schiedsstelle offensichtlich. Nachdem es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelte, war die Verwendung des Werbemittels gegenüber Laien unzulässig. Dies war dem Unternehmen auch zuzurechnen, da es eine Gestaltung gewählt hatte, die gerade diese Verwendung nahelegte.
Die rechtliche Zulässigkeit von Informations- und Schulungsmaterialien im Sinne des § 10 Abs.1 HWG findet keine ausdrückliche Erwähnung in § 15a FSA-Kodex Fachkreise. Allerdings legt der Kodex bereits in seiner Einleitung fest, dass alle Maßnahmen bei der Werbung und der Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Angehörigen der Fachkreise sich in einem angemessenen Rahmen und in den Grenzen der geltenden Gesetze zu halten haben. Er legt weiter in § 4 Abs. 1 fest, dass bei seiner Anwendung „nicht nur der Wortlaut der einzelnen Vorschriften, sondern auch dessen Geist und Intention sowie auch die geltenden Gesetze, insbesondere die Vorschriften des (…) Heilmittelwerbegesetzes (…) ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck entsprechend zu berücksichtigen“ sind. Daher ist es aus Sicht der Schiedsstelle geboten, die Privilegierung des § 15a FSA-Kodex Fachkreise einschränkend in der Weise anzuwenden, dass das betreffende Material den geltenden Gesetzen entsprechen muss. Das war, wie ausgeführt, bei der „Festgirlande“ nicht der Fall. Die Beanstandung war daher begründet.
Die Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG und die Lilly Deutschland GmbH haben die von der Schiedsstelle geforderte Unterlassungserklärung abgegeben und gleichzeitig Geldstrafen in Höhe von 15.000 EUR zugunsten der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und des Naturschutzbunds (NABU) Deutschland e.V. gezahlt.
Berlin, im September 2017