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§ 20 Abs. 2 FSA-Kodex Fachkreise: Zum Begriff der „Bewirtung“ an einem Ausstellungsstand

Az. 2019.11-615

Kongressstand mit Kunstrasen, Freizeitmöbeln und einem alten VW Bulli: kodexwidrig

Wird ein Ausstellungsstand auf einer Industrieausstellung in einer Art und Weise gestaltet, dass nicht die Informationsvermittlung, sondern ein Freizeitcharakter im Vordergrund steht, so ist dies mit § 20 Abs. 2 FSA-Kodex Fachkreise unvereinbar.

Leitsätze

1. Der Begriff der „Bewirtung“ in der Leitlinie 11 ist in einem weiten Sinn zu verstehen, der nicht nur Speisen und Getränke, sondern auch die Gestaltung und die Einrichtungen des Standes mit einschließt.

2. Steht bei einem Kongressstand (oder Teilen davon) nicht die Informationsvermittlung im Vordergrund, sondern Elemente, die offensichtlich Entspannung und Freizeit vermitteln, wird der Rahmen des § 20 Abs. 2 Kodex Fachkreise überschritten.

3. Hinsichtlich der Angemessenheit der Bewirtung ist in der Regel nicht auf einzelne Merkmale abzustellen, sondern auf die Elemente in ihrem Zusammenspiel, so wie sie der fremde Standbesucher wahrnimmt. Das Zusammenspiel der Gestaltungselemente kann durchaus einen Eindruck vermitteln, der über den einzelner Ausstattungsmerkmale hinausgeht.

4. Die Gestaltung von Marketingaktivitäten beliebiger Art außerhalb des vom Kodex geregelten Bereichs kann nur dann für Kodex-relevante Aktivitäten ohne Weiteres
übernommen werden, wenn der dort genannte Rahmen gewahrt bleibt.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens ist eine Beanstandung von dritter Seite, die Roche Pharma AG habe Angehörige der Fachkreise, die 2019 einen wissenschaftlichen Fachkongress besuchten, an den Ausstellungsständen in der dazugehörigen Industrieausstellung in einer Weise empfangen, bei der der Erlebnischarakter anstelle der Möglichkeit zur fachlichen Diskussion im Vordergrund gestanden habe.

Insoweit wurde von der Beanstandenden u.a. ausgeführt, ein Teil des Standes sei in erster Linie als ‚Wohlfühlbereich‘ konzipiert und in auffälliger Weise gestaltet gewesen. Die gesamte Aufmachung habe an ein Strandbad mit Wiese erinnert. Es seien Hänge- und Liegestühle vorhanden gewesen, die zum gemütlichen Verweilen einluden. In diesem Bereich habe es keine Produktpräsentation gegeben, so dass der Eindruck entstanden sei, er sei speziell auf MS Nurses ausgerichtet gewesen. Durch die sehr prominente Präsentation eines alten VW Bulli als Catering Wagen sei das Augenmerk der Besucher sofort auf diesen Bereich und den Roche-Stand gelenkt worden. Der Bulli sei sehr präsent an einer Ecke des Standes aufgestellt gewesen und durch die auffällig blaue Lackierung sofort ins Auge gefallen; er habe Eventcharakter gehabt.

Die verbleibende Standfläche war mit wissenschaftlichen/medizinischen Informationen bestückt. Am Stand sei zeitweise als „Celebrity“ Herr C. anwesend gewesen, um Moderationen durchzuführen und für Fragen und Antworten zur Verfügung zu stehen. Er habe mit anderen Personen für Selfies posiert.

Das Unternehmen bestätigte, einen Ausstellungsstand auf der Industrieausstellung des Kongresses unterhalten zu haben. Seiner Auffassung nach war die Beanstandung jedoch unbegründet. Es habe zwei Standbereiche gegeben, einen für Marketing und einen für Medical; jeweils habe die medizinisch-wissenschaftliche Fortbildung absolut im Vordergrund gestanden. Soweit auf einem Teil des Standes die Awareness-Kampagne für das Patientenbetreuungsprogramm zu einem Präparat vorgestellt wurde, sei dieser Standbereich optisch an die Kampagne angepasst gewesen. Es habe keinen Wohlfühlbereich, auch keine Liegestühle gegeben. Der Bulli sei dezent an die Unternehmens-Farben angepasst gewesen und habe ein vollkommen untergeordnetes dekoratives Element dargestellt; er sei weder vom Haupteingang noch vom ePoster-Bereich aus sichtbar gewesen.

Die Ausstattung des Standes mit Kunstrasen und den auf den Fotos abgebildeten Sitzmöbeln sei nicht zu beanstanden.

Herr C. habe sich an drei Veranstaltungstagen insgesamt 2,5 Stunden an den beiden Standbereichen aufgehalten. Er habe sowohl die Aufgabe gehabt, eine Umfrage zu moderieren als auch über die Kampagne zu informieren, für die er seit mehreren Jahren tätig ist. Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, Standbesucher anzusprechen. Falls Herr C. sich für Selfies oder Autogramme zur Verfügung gestellt habe, sei dies freiwillig von ihm erfolgt, aber weder mit dem Unternehmen abgesprochen noch Gegenstand seiner vereinbarten Aufgaben gewesen.

Die Schiedsstelle stellte einen Kodexverstoß fest und forderte das Unternehmen erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. In der darauffolgenden mündlichen Verhandlung, die virtuell durchgeführt wurde, vertiefte das Unternehmen seinen Vortrag. Es vertrat insbesondere die Auffassung, dass die Standgestaltung schon deshalb keinen Kodexverstoß darstellen könne, weil die Leitlinie 11 zu § 20 Abs. 2 Satz 2 und § 20 Abs. 3 Satz 1 Kodex Fachkreise (- im Folgenden: Kodex -) lediglich die „angemessene Bewirtung“ bzw. den „angemessenen Rahmen von Unterbringung und Bewirtung“ regele, nicht aber die Gestaltung eines Ausstellungsstandes.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Schiedsstelle stimmt der Bewertung des Unternehmens insoweit zu als die Information über disease-awareness- und Patientenunterstützungs-Kampagnen grundsätzlich zulässiger Bestandteil eines Kongressstandes sein kann, und auch, dass die Bewirtungsangebote an einem Kongressstand nicht dazu missbraucht werden dürfen, um Besucher an den Stand zu locken.

Unstreitig ist weiter, dass die Bewirtungsangebote selbst (Getränke, Imbiss) in der Beanstandung nicht gerügt werden. Auch die der Schiedsstelle zur Verfügung gestellten Unterlagen ergeben insoweit keine Anhaltspunkte für eine kritische Betrachtung.

Soweit in der Beanstandung vorgetragen wurde, dass am Stand auch MS Nurses, also Laien anwesend gewesen sein dürften, hat die Schiedsstelle das Verfahren bereits im Rahmen der Abmahnung gem. § 11 Abs. 1 Satz 4 VerfO eingestellt, da sich der Sachverhalt in einer für eine Entscheidung notwendigen Weise letztlich nicht aufklären ließ. Insoweit war die Aussage eines Zeugen in der mündlichen Verhandlung, dass durch Zugangskontrollen des Veranstalters sichergestellt worden sei, dass der Besucherkreis der Fachausstellung auf Angehörige der Fachkreise beschränkt blieb, nicht mehr erheblich. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass selbst dann, wenn einzelne Personen, sei es durch Vortäuschung bei der Anmeldung zum Kongress oder durch „Ausleihen“ fremder Zugangsausweise sich Zutritt verschafft haben sollten, dies dem Unternehmen in der Regel nicht zuzurechnen ist. Zur Standgestaltung stellt die Schiedsstelle fest, dass die Gestaltung eines Ausstellungsstands von der Leitlinie Ziff. 11 durchaus erfasst wird. Zwar wird in den Ziff. 11.1 bis 11.3 von der Bewirtung durch Speisen und Getränke gesprochen, Ziff. 11.4 macht jedoch deutlich, dass auch der in den Ziff. 11.4.1 und 4 „aufgeführte Rahmen“ [Hervorhebungen durch die Schiedsstelle] Bestandteil der Regelung ist. Dort wird auch ausdrücklich klargestellt, dass eine Stand-Gestaltung bzw. Einrichtungen, die den Eindruck erwecken, dass der Erleb- nischarakter im Vordergrund steht, unzulässig sind. Der Begriff der „Bewirtung“ in der Leitlinie 11 ist also in einem weiten Sinn zu verstehen, der nicht nur Speisen und Getränke, sondern auch die Gestaltung und die Einrichtungen des Standes mit einschließen.

Diese Tragweite der Regelung musste dem Unternehmen auch bekannt sein, da die Schiedsstelle in ihrer bisherigen Spruchpraxis bereits in vergleichbarer Weise die Gestaltung eines Ausstellungsstands in Form einer Winter- bzw. Weihnachtslandschaft gerügt hatte (vgl. Az. 2018.10 -556). Diese Entscheidung hat weder im Verband noch in der Branche Widerspruch gefunden. Im Gegenteil: Auch ein vom Unternehmen benannter Zeuge, der beim Veranstalter für die Organisation des hier betroffenen Kongresses verantwortlich war, führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass von Seiten seiner Organisation ein Ausstellungsstand in der Gestaltung (z.B.) eines Weihnachtsmarkts nicht ohne Weiteres genehmigt werden könne.

Die Leitlinie Ziff. 11 legt im Übrigen fest, dass Hauptzweck eines Kongresstands die Informationsvermittlung sein muss, während die Bewirtung – in dem o.g. Sinn – deutlich in den Hintergrund treten und keinen eigenständigen Anreiz zum Standbesuch darstellen darf (Leitlinie Ziff. 11.4.1). Darüber hinaus wird in der Leitlinie Ziff. 11.4.4 ausgeführt, dass eine Bewirtung dann als „extravagant“ und damit nicht als angemessen betrachtet werden muss, wenn aufgrund der Gestaltung bzw. der vorhandenen Einrichtung der Eindruck erweckt wird, dass der Erlebnischarakter und nicht die Möglichkeit zur fachlichen Diskussion im Vordergrund steht.

Dabei ist hinsichtlich der Angemessenheit in der Regel nicht auf einzelne Merkmale abzustellen, sondern auf die Elemente in ihrem Zusammenspiel, so wie sie der fremde Standbesucher wahrnimmt. Denn das Zusammenspiel der Gestaltungselemente kann durchaus einen Eindruck vermitteln, der über die isolierte Betrachtung einzelner Ausstattungsmerkmale hinausgeht.

Für den vorliegenden Sachverhalt war unstreitig, dass

  • der Gesamtstand einen sog. „Medical“-Bereich enthielt, auf dem auf einer Fläche von 70 qm über die Patienteninformations-Kampagne zum Präparat informiert wurde.
  • Dieser Standbereich war mit grünem Kunstrasen ausgelegt und
  • mit Rattan-Möbeln bestuhlt, u.a. auch Rattan-Hängesesseln, wie sie in Garten- oder Freizeitbereichen zu finden sind.
  • Die anderen Standbereiche waren mit Laminat ausgelegt. Die Sitzmöbel dort waren sachlich-neutral gehalten.
  • Am Durchgang zur nächsten Standfläche befand sich auf dem Kunstrasen ein restaurierter VW-Kleinbus der Baureihen von 1955 ff., der hellblau/weiß lackiert und für die
    Ausgabe von Speisen und Getränken genutzt wurde,
  • während im „Marketing“ Bereich des Standes Speisen und Getränke an einer langgezogenen konventionellen Theke angeboten wurden.
  • Auf den verschiedenen Standflächen war zeitweise der Schauspieler und Moderator C. anwesend, der aus zahlreichen Fernsehsendungen bekannt ist. Aus den vorgelegten Fotos ergibt sich, dass er – zumindest in Einzelfällen – mit Besuchern für Selfies posierte.

Die Befragung der fünf Zeugen hat diese Feststellungen bestätigt:

Die Schiedsstelle erkennt an, dass die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Unternehmen und Herrn C. das Posieren für Selfies gerade nicht aufführten. Dennoch muss sich das Unternehmen als Standbetreiber diese Selfie-Aktivtäten zurechnen lassen, zumal dann, wenn, wie eine Zeugin aussagte, gegen dieses Posieren nicht interveniert wurde. Soweit vom Unternehmen herausgestellt wurde, dass die Gestaltung eines Teils des Ausstellungsstandes lediglich die Gestaltung der Kampagne aufnahm, ist klarzustellen, dass die Gestaltung von Marketingaktivitäten beliebiger Art außerhalb der vom Kodex geregelten Aktivitäten nicht dazu führen kann, dass diese Gestaltung ohne Weiteres für Kodex-relevante Aktivitäten übernommen werden darf. Daher ist die Gestaltung der Kampagne für die Zu- lässigkeit der Standgestaltung gem. Leitlinie Ziff. 11 letztlich ohne Belang.

Die Schiedsstelle stellt auf der Basis der vorgelegten Unterlagen fest, dass die Atmosphäre im „grünen“ Bereich (d.h. die mit Kunstrasen ausgelegte Fläche) entspannt und freizeitlich anmutete, während die verbleibenden Flächen eher den sachlichen Anklang vermittelten, wie der Kodex dies fordert. Diese Anmutung resultierte aus dem Zusammenspiel von grel- len Farben, dem „Rasen“, dem Freizeitmobiliar und dem keineswegs lediglich funktional, „untergeordnet“ in den Stand eingebetteten „Bulli“; sie wurde zeitweise verstärkt durch die Attraktion des „Promi“, Herrn C., und seiner Bereitschaft, mit Besuchern zu posieren.

Der Absicht der grellen Farbigkeit des Standes bestätigte im Übrigen auch ganz explizit ein Zeuge aus dem Team des Unternehmens. Dies belegt, dass bei der Standkonzeption nicht nur die Möglichkeit zur fachlichen Diskussion, sondern ganz dezidiert ein Blickfang angestrebt wurde, der über jenen der anderen Stände deutlich hinausging.

Für den „grünen“ Bereich kann die Schiedsstelle daher nicht erkennen, dass der Hauptzweck der Informationsvermittlung im Vordergrund gestanden hätte. Vielmehr waren es die genannten Elemente, die Entspannung und Freizeit vermitteln sollten – und zwar nicht nur als offensichtlich erkennbares Zitat einer Kampagne, sondern durchaus eigenständig. Der Informationscharakter für die Kampagne trat visuell klar in den Hintergrund.

Wenn die Leitlinie feststellt, dass anlässlich der Bewirtung kein eigenständiger Anreiz zum Standbesuch bestehen (Leitlinie Ziff. 11.4.1) und kein Erlebnischarakter herausgestellt werden soll, so kann dies für den „grünen“ Bereich nicht bejaht werden.

Für diese Beurteilung ist die Lage des Standes in der Ausstellungshalle nicht von entscheidender Bedeutung. Aus den Aussagen der Zeugen war aber zu schließen, dass ein erheblicher Teil der Besucher einen Zugang zur Ausstellung wählte, bei dem die prominente Positionierung des Bullis nicht in Frage stehen konnte. Die Schiedsstelle sieht daher auch keine Grundlage für die Auffassung, die genannten Anreizfaktoren seien visuell in den Hintergrund getreten.

Entscheidung

Nach alledem war die Beanstandung hinsichtlich der Standgestaltung begründet. Die Roche Pharma AG wurde daher verpflichtet, es zu unterlassen, Angehörige der Fachkreise, die einen wissenschaftlichen Kongress in Deutschland besuchen, am Ausstellungsstand in einer Weise zu bewirten, bei der nicht die Informationsvermittlung, sondern die Bewirtung deutlich im Vordergrund steht und damit einen eigenständigen Anreiz zum Standbesuch darstellt, so wie es beim hier verfahrensgegenständlichen Kongress-Stand der Fall gewesen ist. Das Unternehmen wurde weiter verpflichtet, eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt EUR 15.000,00 zu zahlen, zu gleichen Teilen an drei gemeinnützige Organisationen, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. und den HelpDirect
e.V.

Berlin, im November 2020