§ 20 Abs. 3 Satz 2 FSA-Kodex Fachkreise – Fortbildungsveranstaltung für Ärzte aus Schleswig-Holstein und Hamburg auf Sylt
Leitsätze
1. Sylt scheidet nicht von vornherein als Tagungsort für interne Fortbildungsveranstaltungen aus. Vielmehr ist in Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (s. FS II 5/05/2005.5-65) unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auch hierbei zu prüfen, ob dieser Tagungsort allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt wurde.
2. Für in Schleswig-Holstein und Hamburg praktizierende Ärzte ist Sylt in vernünftiger Weise erreichbar, weshalb seine Auswahl als Tagungsort für diesen Teilnehmerkreis allein unter Berücksichtigung des Aufwands für An-und Abreise sachlichen Gesichtspunkten nicht widerspricht. Wird jedoch durch weitere Umstände, insbesondere die Gestaltung der Einladung und des Tagungsprogramms sowie die Auswahl der Tagungsstätte, die Nutzung von Freizeitmöglichkeiten auf der Insel gefördert oder ermöglicht, ergibt die Gesamtwürdigung, dass die Auswahl von Sylt als Tagungsort nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgte.
Sachverhalt
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Unternehmen hat gegen § 20 Abs. 3 S. 2 FSA-Kodex Fachkreise verstoßen, weil die Auswahl des Hotels in Kampen/Sylt für die Fortbildungsveranstaltung und die Einladung von Angehörigen der Fachkreise hierzu nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgte. Vielmehr spielte für die Auswahl von Tagungsort und Tagungsstätte der Freizeitwert der Insel Sylt eine wesentliche Rolle.
Ob ein Unternehmen den Tagungsort und die Tagungsstätte allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist nach der Rechtsprechung der FSA-Spruchkörper unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten (s. grundsätzlich FS II 5/05/2005.5-65). Allein daraus, dass nach § 20 Abs. 3 S. 3 FSA-Kodex Fachkreise der Freizeitwert des Tagungsortes kein sachlicher Grund ist, folgt allerdings nicht, dass von vornherein alle Orte ausscheiden, denen ein – gegebenenfalls erheblicher – Freizeitwert zukommt. Da dies auf viele Orte in Deutschland zuträfe, würde eine zu enge Auslegung der Vorschrift zu dem Ergebnis führen, dass kaum noch Orte für Fortbildungsveranstaltungen übrigblieben (so ausdrücklich FS II a.a.O.) Nach diesen Kriterien ist auch Sylt, das allgemein als „Ferieninsel“ angesehen wird und sowohl in der Hauptsaison im Sommer als auch in der Nebensaison unterschiedliche touristische Bedürfnisse befriedigt, nicht generell und in jedem Fall als Tagungsort ausgeschlossen, vielmehr kommt es auf die jeweils besonderen Umstände im konkreten Einzelfall an. Dazu gehören vor allem: Regionale Herkunft der Veranstaltungsteilnehmer/Aufwand bei Anreise zum Tagungsort, Stringenz der Programmgestaltung/Eröffnung von Freizeitmöglichkeiten, Hervorheben von möglichen Freizeitaktivitäten in der Einladung, Zeitpunkt der Veranstaltung (Attraktivität des Ortes je nach Haupt- oder Nebensaison).
So hat der Spruchkörper 1. Instanz das Vorliegen sachlicher Gründe für die Auswahl von Sylt als Tagungsort bereits 2007 deshalb verneint, weil die Veranstaltungsteilnehmer vorwiegend aus dem Rheinland stammten und auf Kosten des Unternehmens mit einem Gruppenflug zur Insel transportiert wurden. Unter diesen Umständen habe der Freizeitwert von Sylt gegenüber der vernünftigen und vertretbaren Erreichbarkeit des Tagungsortes den Vorzug erlangt (vgl. FS I 2007.11-211). In einer weiteren Entscheidung sprachen das weiträumige Einzugsgebiet der Teilnehmer – sie reisten aus dem gesamten nord- und mitteldeutschen Raum an – und darüber hinaus der Zeitpunkt der Tagung zur Hochsaison gegen eine sachliche Auswahl von Timmendorf/ Timmendorfer Strand als Veranstaltungsort (s. FS I 2006.6-128).
In Abwägung aller Umstände für die Auswahl des Tagungsortes Kampen/Sylt ergab sich im vorliegenden Fall Folgendes:
Der Teilnehmerkreis (Ärzte/Ärztinnen aus Schleswig-Holstein und Hamburg) sprach nicht gegen das Vorliegen sachlicher Gesichtspunkte bei der Auswahl. Alle Teilnehmer konnten die Insel in angemessener Zeit mit dem Auto oder der Bahn erreichen. Man könnte einwenden, dass mit acht Teilnehmern aus Hamburg und elf aus Kiel insgesamt 41% aus dem entfernteren Teil des „Einzugsgebiets“ anreisen mussten und zudem zwei Fachreferenten aus Kiel kamen, sodass sich die Durchführung der Veranstaltung etwa in Kiel angeboten hätte, womit bei einer Anreise mit dem Auto die Bahnverladung nach Sylt entfallen wäre. Andererseits war Sylt für die aus Schleswig, Flensburg und Rendsburg anreisenden Teilnehmer besser erreichbar als ein Tagungsort im südlichen oder östlichen Teil Schleswig-Holsteins. Solche Überlegungen gehören jedoch in den Bereich der zweckmäßigen Auswahl innerhalb vertretbarer Alternativen. Rechtliche Gründe, die etwa zur Annahme einer unsachlichen Auswahl des Tagungsortes führen, lassen sich allein daraus nicht herleiten. Der hier gegebene regional begrenzte Teilnehmerkreis unterscheidet die Einladung von den Fällen, in denen der Spruchkörper 1. Instanz vor allem aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit des Tagungsortes angesichts seines Freizeitwertes eine unsachliche Auswahl annahm (s. oben, a.a.O.).
Dass die Veranstaltung Mitte November, außerhalb der sommerlichen Hochsaison, stattfand, spricht weder eindeutig für noch gegen eine sachliche begründete Auswahl des Tagungsortes. Auch wenn Sylt in der Nebensaison nicht in dem Maße attraktiv zu sein scheint, um die Neigung der Tagungsteilnehmer zu verstärken, Freizeitangebote der Fortbildung vorzuziehen, ist nicht zu verkennen, dass die Insel auch in dieser Jahreszeit für Erholungssuchende, z.B. durch die Möglichkeit von Strandspaziergängen und anderen Aktivitäten unter freiem Himmel, einen gewissen Anziehungspunkt bildet. Ob solche bestehenden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung auch praktisch genutzt werden können, hängt wesentlich von der Gestaltung des Tagungsprogramms ab, nämlich ob dieses so intensiv ist, dass allenfalls in den Abendstunden nach Anbruch der Dunkelheit und Beendigung der Fortbildung „Freizeit“ besteht, oder ob auch tagsüber solche Spielräume eröffnet werden. Ginge es nur um die Nutzung von „Freizeit“ nach Abschluss eines intensiven Veranstaltungstages (von 9 Uhr bis 17 oder 18 Uhr), sähe sich der Spruchkörper 1. Instanz außerstande, die Vorzüge eines Stadtbummels in Hamburg oder Kiel gegen die eines Strandspaziergangs auf Sylt, insbesondere bei Dunkelheit, gegeneinander abzuwägen.
Hier bot die Programmgestaltung jedoch Möglichkeiten, die Vorzüge von Sylt bei Tageslicht zu genießen. Da am Sonnabend lediglich 2 Vorträge angesetzt waren, die bis 14.00 Uhr dauerten, bot sich anschließend ausreichend Gelegenheit für Spaziergänge am Strand bzw. andere Aktivitäten unter freiem Himmel. Eine solche Neigung wurde bereits durch die Gestaltung der Einladung zur Veranstaltung durch das Unternehmen gefördert. Optisch war darin nicht der Gegenstand der Fortbildung in den Vordergrund gestellt worden, sondern, wie die in großen Buchstaben herausgestellte Überschrift „Sylt 2010“, belegt, die Insel und alle damit verbundenen Assoziationen. Der Bildhintergrund auf der Einladung stellt einen für Sylt typischen Sandstrand dar, in den, in noch größeren Buchstaben, das Wort „SYLT“ eingeschrieben ist.
Durch die Auswahl der Tagungsstätte, die sich in unmittelbarer Nähe zum Meeresstrand befindet, wurden die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zusätzlich begünstigt. Im Übrigen sprach auch die unzureichende Kapazität der Tagungsstätte dagegen, dass die Auswahl allein nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgte. Angesichts der Teilnehmerzahl genügte das Tagungshotel nicht den Anforderungen, weshalb am 2. Tag der Veranstaltung wegen begrenzter Kapazität des (eigentlichen) Tagungsraums in den Frühstücksraum ausgewichen werden musste.
Die Abwägung aller vorliegenden Umstände ergab somit, dass das Unternehmen Tagungsort und Tagungsstätte nicht nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt hatte.
Ergebnis
Nach Abmahnung durch den FSA hat das Unternehmen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.
Berlin, im März 2011