§ 19 Abs. 2 FSA-Kodex (2006), § 19 Abs. 1 Satz 4 FSA-Kodex Fachkreise (2008) – Grundsatz der Nichtintervention bei AWB, Trennung von Verordnungsentscheidung und Entscheidung über Einbeziehung des Patienten in die AWB; § 20 Abs. 7 Verf. Ord. – Feststellung eines Wiederholungsfalles; § 15 Abs. 4 Verf. Ord. – Veröffentlichung des Namens
Leitsätze
1. Das Gebot der Nichtintervention nach § 19 Abs. 2 FSA-Kodex (2006), das im FSA-Kodex Fachkreise (2008) in § 19 Abs. 1, Satz 4 in dem Aspekt verdeutlicht wird, dass die Entscheidung des Arztes über Verordnung des Arzneimittels und Einbeziehung des Patienten in die AWB klar getrennt erfolgen muss, schließt die Durchführung einer AWB unmittelbar nach Zulassung der betroffenen Arzneimittels zwar nicht aus, doch ist hierbei der Grundsatz der Nichtintervention besonders sorgfältig zu beachten.
2. Das Gebot der Nichtintervention wird nicht schon dadurch verletzt, dass Patienten, die zuvor mit Monopräparaten (einen Wirkstoff enthaltend) allein oder in „freier“ Kombination behandelt wurden, zur Einbeziehung in die AWB auf ein Kombinationspräparat umgestellt werden, bei dem die Vorbehandlung mit den Monopräparaten nach der zugelassenen Indikation Voraussetzung für die Umstellung ist.
3. Der Grundsatz der Nichtintervention ist verletzt, wenn die den Ärzten zur AWB überreichten Unterlagen außer den notwendigen Angaben zur Durchführung der AWB herausgehobene und gehäufte werbliche Aussagen zum betreffenden Arzneimittel enthalten.
4. Die Feststellung eines Wiederholungsfalles i.S.d, § 20 Abs. 7 Satz 6 Verf. Ord. setzt einen „kerngleicher Verstoß“ voraus. Das gemeinsame Ziel beider Fälle, die Umstellung auf ein eigenes Medikament zu erreichen, genügt für sich alleine nicht zur Bejahung der „Kerngleichheit“. Vielmehr ist auch maßgebend, wie die Umstellung konkret erfolgte.
5. Wenn ein schwerer Verstoß durch den Spruchkörper festgestellt wird, ist der Name des betroffenen Mitglieds im Regelfall zu nennen. Die Anordnung stellt keine Sanktion im Sinne von § 24 Verf. Ord. dar.
Sachverhalt
Auf Grund eines Vorstandsbeschlusses vom 10. Dezember 2007 leitete der FSA „wegen der im „stern“-Artikel vom 29.11.2007 erhobenen Vorwürfe, die Kodexverstöße beinhalten können“ mehrere Beanstandungsverfahren gegen die Novartis Pharma GmbH (im folgenden Novartis) ein. Im vorliegenden Verfahren geht es um die Anwendungsbeobachtungs-Studie „EXZELLENT“.
Unter dem Projekttitel „EXZELLENT“ führte Novartis im Zeitraum Februar 2007 bis November 2007 Anwendungsbeobachtungen für das am 17. Januar 2007 zugelassene, blutdrucksenkende Medikament Exforge durch. Nach Angaben von Novartis sind 5.295 Patienten von den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten zur Anwendungsbeobachtung „EXZELLENT“ gemeldet worden. Jeder teilnehmende Arzt erhielt 50 € pro dokumentierten Patienten. Exforge ist eine Kombination aus Amlodipin und Valsartan, die zuvor nur als Monopräparate erhältlich waren. Nach 4.1 der Fachinformation ist es bei Patienten angezeigt, deren Blutdruck durch eine Amlodipin- oder Valsartan-Monotherapie nicht ausreichend kontrolliert werden kann.
Zur Durchführung der Anwendungsbeobachtung bekamen die Ärzte – verteilt ab der letzten Woche Januar 2007 – eine Mappe mit der Überschrift „Exzellent“ und dem Hinweis: „Zielerreichung bei Hypertonie mit Amlodipin/Valsartan, der neuen starken Fixkombination“. Auf dem inneren Deckblatt steht:
„Souveräne Stärke!“
„Jetzt kommt der große Sprung in die Blutdruck-Senkung“
Die Mappe enthielt unter anderem ein Anschreiben des wissenschaftlichen Leiters Prof. Dr. S. sowie den Studienplan zur AWB mit 13 Punkten.
Im Anschreiben heißt es unter der Überschrift „EXZELLENT“ vor der Anrede: „EXZELLENT –EXFORGE – zur Zielerreichung bei Hypertonie mit Amlodipin/Valsartan, der neuen starken Fixkombination“. Dieser Satz wird – außer in der Fachinformation – oben auf fast allen Seiten wiederholt. Das Anschreiben enthält dann u. a. folgende Aussagen:
„… als wissenschaftlicher Leiter möchte ich Sie sehr herzlich als Arzt bei dieser Beobachtungsstudie zur Untersuchung der Zielerreichung bei Hypertoniepatienten begrüßen und gleichzeitig für Ihr Interesse danken…“
„Die Beobachtungsstudie ist auf vier Monate angelegt und erhebt die wesentlichen Daten für ein großes Patientenkollektiv bereits vorbehandelter Hypertoniepatienten unter Praxisbedingungen in Deutschland.“
Der Satz vor der Grußformel lautet: „Viel Erfolg bei Ihrer Patientenrekrutierung!“.
Die folgende Übersicht enthält einen Zeitplan, der den 1.2.2007 als „Beginn der Beobachtungsphase“ – darunter heißt es: „Einstellung der Patientin / des Patienten“ – und den 30.9.2007 als „Ende der Beobachtungsphase“ aufführt. Die wichtigen Zeitpunkte sind auf einem Zeitpfeil hervorgehoben. Darunter steht der Hinweis „Zeitraum vom Therapiebeginn bis Beobachtungsende nach ca. 4 Monaten“.
Im Studienplan zur AWB sind unter anderem folgende Aussagen enthalten:
- in Ziffer 1: „Zusammenfassung“: „In der vorliegenden Anwendungsbeobachtung … soll der Effekt von EXFORGE auf die Blutdrucksenkung bei Patienten untersucht werden, deren Blutdruck nur unzureichend durch eine Monotherapie kontrolliert ist…“
- in Ziffer 3: „Zielsetzung“: „Im Vordergrund dieser Anwendungsbeobachtung steht die therapeutische Wirksamkeit im Hinblick auf Blutdrucksenkung bei Patienten, deren Blutdruck nur unzureichend durch eine Monotherapie kontrolliert ist und für die eine Therapie mit EXFORGE … in der Dosierung … indiziert ist…“.
Folgende Fragestellungen sind von besonderem Interesse:
- Vergleich von … Blutdruck zu Beginn der Studie (vor Behandlungsbeginn mit EXFORGE) …“
- in Ziffer 4: „Studienzentren und Patienten“: „… In diese Anwendungsbeobachtung sollen weibliche und männliche erwachsene Hypertonie-Patienten eingeschlossen werden, welchen eine antihypertensive Therapie mit EXFORGE medizinisch empfohlen wird….“ … Die Therapie darf nicht zum Zweck der Aufnahme in die Anwendungsbeobachtung erfolgen, sondern richtet sich ausschließlich nach medizinisch therapeutischen Notwendigkeiten.“
- in Ziffer 6: „Medikation und Dosierung“ „…Die Anwendung von EXFORGE wird entsprechend der gängigen Praxis und den Empfehlungen der Fachinformation verschrieben und richtet sich ausschließlich nach medizinisch-therapeutischen Notwendigkeiten…“
- in Ziffer 7: „Beobachtungsparameter“: „… Beobachtungsbeginn/Patientenauswahl: … – Gründe für die Änderung der antihypertensiven Therapie und die Anwendung von EXFORGE …“.
Insgesamt wurden 1.658 Mappen verteilt.
Der FSA nahm einen Verstoß gegen § 19 Abs. 2 FS-Kodex an und mahnte Novartis am 21. Mai 2008 ab. Zugleich bejahte der FSA eine Zuwiderhandlung von Novartis gegen deren Unterlassungserklärung vom 19. März 2007 in Verbindung mit der Entscheidung des FSA vom 13. April 2007. Darin heißt es im Tenor:
„1. Novartis Pharma GmbH hat sich gegenüber dem FS Arzneimittelindustrie e.V. mit Schreiben vom 19.03.2007 verpflichtet, „es bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung an den FS Arzneimittelindustrie zu zahlenden Ordnungsgeldes in Höhe von EUR 10.000 zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Anwendungsbeobachtungen Val-Power sowie Excite zu den Produkten Diovan, CoDiovan und Exelon zu platzieren und/oder Patient/innen in die vorgenannten Anwendungsbeobachtungen einzuschließen.“
„2. Für jeden Fall schuldhafter Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung aus vorstehender Ziffer 1 hat Novartis Pharma GmbH ein Ordnungsgeld gemäß § 20 Abs. 5 der „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung in Höhe von EUR 50.000 an den FS Arzneimittelindustrie e.V. zu zahlen.“
Novartis trug demgegenüber vor: Die beanstandete Anwendungsbeobachtung sei gesetzes- und kodexkonform; sie habe die Ärzte nicht in ihrer Therapiefreiheit beeinflusst. – Ein Verstoß gegen ihre Unterlassungserklärung vom 19. März 2007 sei auch deshalb nicht gegeben, weil es an der „Kerngleichheit“ fehle.
Am 27. Juni 2008 erließ der FSA folgende Entscheidung:
1) Es wird festgestellt, dass Novartis Pharma GmbH mit der Durchführung der Anwendungsbeobachtung für das blutdrucksenkende Medikament Exforge unter dem Projekttitel „EXZELLENT“ im Zeitraum Februar 2007 bis November 2007 gegen den „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex verstoßen hat. Der Beanstandung war daher stattzugeben.
2) Novartis Pharma GmbH verpflichtet sich, für den Verstoß gegen die der Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz vom 13.04.2007 (Az.:….) zu Grunde liegende Unterlassungserklärung vom 19.03.2007 das in der Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz vom 13.04.2007 festgelegte Ordnungsgeld in Höhe von 50.000 € an den FS Arzneimittelindustrie e.V. zu zahlen.
3) Für jeden Fall einer weiteren schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung der der Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz vom 13.04.2007 zu Grunde liegenden Unterlassungserklärung vom 19.03.2007 hat Novartis Pharma GmbH ein Ordnungsgeld gemäß § 20 Abs. 5 der „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung i.H.v. 50.000 € an den FS Arzneimittelindustrie e.V. zu zahlen.
4) (Kostenentscheidung)
Gegen die Entscheidung hat Novartis fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen zugleich begründet. Sie vertieft ihr Vorbringen 1. Instanz.
Gegenstand der Beanstandung sei die Studie selbst, nicht aber das „wettbewerbliche Umfeld“. Die Studie verstoße nicht gegen den Grundsatz der Nichtintervention (§ 19 Abs. 2 FS-Kodex).
Der Patient, der auf Exforge eingestellt werden solle, müsse vorher eine andere antihypertensive Therapie durchgeführt haben. Die Umstellung erfolge allein aus therapeutischen Gründen zeitlich vor der Einbeziehung in die AWB. Der Patient werde nicht umgestellt, damit er in die AWB miteinbezogen werden könne. Vielmehr werde der Arzt nur zur Dokumentation aufgefordert; die Therapieentscheidung habe er bereits vorher getroffen. Die zeitliche Nähe zur Zulassung stehe jedenfalls schon deshalb nicht entgegen, weil die Ärzte bereits längst (ab Herbst 2006) darauf eingerichtet gewesen, die Hypertonie mit einer Kombination aus Amlodipin und Valsartan zu bekämpfen.
Schließlich habe nicht angeordnet werden dürfen, dass der Name des Unternehmens veröffentlicht werde.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig.
Der Einspruch ist unbegründet, soweit es um die Feststellung gemäß Ziffer 1 der Entscheidung 1. Instanz geht. Insoweit ist der Einspruch daher zu verwerfen und die Entscheidung 1. Instanz zu bestätigen (1). Dagegen hat der Einspruch Erfolg, soweit der Spruchkörper 1. Instanz einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung vom 19. März 2007 angenommen hat. Ziffer 2 und 3 der Entscheidung sind daher aufzuheben (2). Stattdessen ist das betroffene Mitglied zur Unterlassung der im vorliegenden Verfahren beanstandeten AWB zu verpflichten und ihm für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen (3).
Gegenstand der Entscheidung 1. Instanz und demgemäß des Einspruchsverfahrens sind die Exforge-Anwendungsbeobachtungen selbst, so wie sie das betroffene Mitglied im Jahre 2007 unter dem Projekttitel „Exzellent“ gemäß der an die Ärzte überreichten Mappe durchgeführt hat.
Die Frage, ob die beanstandeten Anwendungsbeobachtungen gegen den FS-Kodex verstoßen, beantwortet sich nach der 2007 geltenden Fassung des FS-Kodex. Soweit es um die Unterlassungsverpflichtung geht, ist jedoch zusätzlich zu beachten, dass sie in die Zukunft gerichtet und zukünftiges Verhalten nach der Neufassung des FS-Kodex zu beurteilen ist.
1) Das betroffene Mitglied hat im Jahre 2007 mit der Durchführung der Anwendungsbeobachtungen für ihr blutdrucksenkende Medikament Exforge unter dem Projekttitel „Exzellent“ gegen § 19 Abs. 2 FS-Kodex 2006 verstoßen.
a) Nach § 19 Abs. 2 FS-Kodex 2006 gilt bei Anwendungsbeobachtungen im Hinblick auf die therapeutischen und diagnostischen Maßnahmen der Grundsatz der Nichtintervention. Insbesondere darf der Arzt mit der Teilnahme an den Anwendungsbeobachtungen nicht veranlasst werden, dass zu beobachtende Arzneimittel erst zu verschreiben (vgl. dazu Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten, 2. Aufl., Kap. 9, Rdn. 169, Seite 262). Vielmehr muss die Therapieentscheidung unabhängig von der Teilnahmeentscheidung erfolgen. Demgemäß verdeutlicht der neugefasste § 19 Abs. 1 Satz 4 FS-Kodex 2008, dass die Entscheidung, einen Patienten einzubeziehen, von der Entscheidung über die Verordnung des Arzneimittels „klar getrennt“ zu erfolgen hat. Das galt auch schon nach § 19 Abs. 2 FS-Kodex 2006. Unter anderem durch eine solche klare Trennung soll vermieden werden, dass durch die Teilnahme an der AWB ein Anreiz zur Verordnung des Arzneimittels entsteht. Dabei kommt es nur darauf an, ob zur Vermeidung eines solchen Anreizes die erforderliche Trennung vorliegt oder nicht, dagegen nicht, ob sich feststellen lässt, ob und wie viele Ärzte tatsächlich diesem Anreiz erliegen.
b) Da Exforge ein Kombinationspräparat aus Valsartan und Amlodipin ist, muss der Patient allerdings, bevor er auf Exforge umgestellt wird, zuvor Valsartan oder Amlodipin allein oder beides zusammen als Monopräparat eingenommen haben. Demgemäß wird das Gebot der Nichtintervention nicht dadurch verletzt, dass Voraussetzung für die Verschreibung von Exforge eine derartige Umstellung ist. Das ändert aber nichts daran, dass die Umstellungsentscheidung des Arztes zugunsten von Exforge unabhängig davon getroffen worden sein muss, dass sich der Arzt zur Teilnahme an den Anwendungsbeobachtungen entschließt. Von diesem Grundsatz geht zu Recht auch die Einspruchsbegründung aus.
c) Die beanstandete AWB beachtete nicht hinreichend den dargelegten Grundsatz der Nichtintervention. So wie sie sich gemäß der Mappe darstellt, trennte sie nicht in genügendem Maße zwischen Umstellungsentscheidung und Teilnahmeentscheidung des Arztes, sondern vermengte beides untrennbar miteinander. Mit der Mappe forderte das betroffene Mitglied zur Teilnahme an der AWB auf und zugleich werblich hervorgehoben zur Umstellung auf Exforge. Die Teilnahme an der AWB stellte daher für den Arzt einen kodexwidrigen Anreiz zur Verordnung von Exforge dar.
aa) Einem Pharmaunternehmen muss es nach dem FS-Kodex allerdings möglich sein, wie hier bereits kurz nach der Zulassung des Arzneimittels eine AWB durchzuführen, auch unabhängig von einer entsprechenden Auflage des BfArM, die im vorliegenden Falle nicht vorlag. Da die Einstellung auf ein gerade erst zugelassenes Arzneimittel angesichts der Kürze der Zeit ab Zulassung meist noch nicht erfolgt ist, ist das Gebot der Nichtintervention besonders sorgfältig zu beachten. Die Unterlagen für die AWB dürfen außer den notwendigen Angaben zur AWB keine zusätzlichen, herausgehobenen und gehäuften Werbeangaben enthalten, für die im Hinblick auf die AWB keine Notwendigkeit besteht und mit denen zugleich massiv für die Verschreibung des Arzneimittels geworben wird.
bb) Die Umstellung auf Exforge und der Beginn der Anwendungsbeobachtung fielen zeitlich zusammen.
Die Mappen sind nicht etwa nur solchen Ärzten überreicht worden, die Patienten bereits (kurz) zuvor auf Exforge umgestellt oder sich wenigstens dazu schon fest entschlossen hatten, sondern allgemein Ärzten, die sich interessiert gezeigt hatten. Aus dem Anschreiben ergeben sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Eine bereits erfolgte Umstellung ist – abgesehen von Ausnahmen – angesichts der Kürze der Zeit ab Zulassung ausgeschlossen, auch wenn das betroffene Mitglied die Ärzte schon vorher auf das neue Kombinationspräparat vorbereitet hatte.
Das zeitliche Zusammenfallen von Umstellung und Beginn der Anwendungsbeobachtung wird durch die Übersicht bestätigt, die dem Anschreiben folgt. Nach dem abgebildeten Zeitpfeil stimmt die Einstellung des Patienten / der Therapiebeginn mit dem „Beginn der Beobachtungsphase“ am 1. Februar 2007 überein. Dementsprechend heißt es im Studienplan unter „Zielsetzung“, dass von besonderen Interesse unter anderem der Vergleich des Blutdrucks zu bestimmten, genannten Zeitpunkten ist, und zwar ausgehend vom Blutdruck „zu Beginn der Studie (vor Behandlungsbeginn mit Exforge)“.
cc) In der Mappe wirbt das betroffene Mitglied nicht nur für die Teilnahme an der AWB, sondern in herausgehobener und gehäufter Weise ohne Notwendigkeit zugleich für die Verschreibung von Exforge.
Eine solche Werbung stellt bereits die Bezeichnung der Studie als „EXZELLENT“ dar. Für Exforge wird auffällig weiter dadurch geworben, dass es auf dem inneren Deckblatt heißt: „Souveräne Stärke! Jetzt kommt der große Sprung in die Blutdruck-Senkung“, und ferner dadurch, dass auf fast allen Seiten – abgesehen von der Fachinformation – oben der Werbeslogan erscheint: „EXFORGE – zur Zielerreichung bei Hypertonie mit Amlodipin/Valsartan, der neuen starken Fixkombination“. Die Formulierung am Ende des Anschreibens “Viel Erfolg bei Ihrer Patientenrekrutierung!“ enthält unter den genannten Umständen eine werbliche Aufforderung zur Umstellung und zugleich eine werbliche Aufforderung zur Teilnahme an der Studie.
Ergänzend weist der Spruchkörper 2. Instanz darauf hin, dass der Beobachtungsbogen unter „3. Antihypertensive Vorbehandlung – Wie wurde die essentielle Hypertonie vor Beobachtungsbeginn zuletzt behandelt?“ auch die Rubrik „nicht medikamentös“ aufführt, entgegen dem zugelassenen Anwendungsgebiet „Exforge ist bei Patienten angezeigt, deren Blutdruck durch eine Amlodipin- oder Valsartan-Monotherapie nicht ausreichend kontrolliert werden kann.“.
dd) Nach der Überreichung der Mappe ergab sich demnach für die interessierten Ärzte folgende Situation:
Sie hatten sich noch nicht entschieden, ob sie ihren in Betracht kommenden Patienten das soeben erst zugelassene Exforge verschreiben sollten oder nicht. Mit der Mappe forderte das betroffene Mitglied sie zum einen auf, an der AWB teilzunehmen, zum anderen warb sie durch hervorgehobene und gehäufte Werbeaussagen für Exforge und damit zur Verschreibung von Exforge. Die Umstellung auf Exforge erfolgte in Kenntnis der AWB. Die nunmehr zu treffenden Umstellungs- und Teilnahmeentscheidungen ließen sich beim Arzt innerlich nicht voneinander trennen; in sie flossen zwangsläufig beide Motive ein. Diese Feststellung beruht auf der eigenen Sachkunde der Mitglieder des Spruchkörpers 2. Instanz, so wie es im Wettbewerbsprozess auch durch die staatlichen Gerichte geschieht. Hierbei geht es nicht etwa um eine Beweislastentscheidung.
Die hier vorliegende Verknüpfung der Aufforderung zur Teilnahme an der AWB mit auffälliger, gehäufter Werbung für Exforge verstößt gegen den Grundsatz der Nichtintervention.
In der Mappe weist der Studienplan zwar ausdrücklich darauf hin, dass die Therapie nicht zum Zweck der Aufnahme in die Anwendungsbeobachtung erfolgen darf, sondern sich ausschließlich nach medizinisch therapeutischen Notwendigkeiten richtet. Dadurch wird jedoch die erforderliche Trennung zwischen Umstellungs- und Teilnahmeentscheidungen nicht gewährleistet. Vielmehr geschieht die auffällig beworbene Umstellung in Kenntnis der beabsichtigten Anwendungsbeobachtungen. Beide Entscheidungen lassen sich hier wie gesagt nicht trennen.
Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 FS-Kodex 2006 sind demnach gegeben.
2) Der Einspruch ist dagegen begründet, soweit der Spruchkörper 1. Instanz gemäß § 20 Abs. 7 VerfO einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung vom 19. März 2007 angenommen hat.
In Betracht kommt nur ein „kerngleicher Verstoß“. Daran fehlt es im vorliegenden Falle.
a) Mit dem Begriff „kerngleich“ nimmt die VerfO Bezug auf einen Begriff, der aus dem allgemeinen Wettbewerbsrecht stammt und zu dem es eine umfangreiche Rechtsprechung gibt. In deren Licht ist daher der in der VerfO verwendete Begriff zu verstehen. Dementsprechend formuliert § 20 Abs. 7 Satz 6 VerfO, dass es sich um einen wiederholten Verstoß handelt, „wenn die beanstandete Handlung entweder identisch oder in ihren charakteristischen Merkmalen „kerngleich“ mit einer solchen Handlung ist, die bereits in der Vergangenheit Gegenstand einer begründeten Beanstandung gewesen sei“.
Demnach fällt ein neues Verhalten in den Kernbereich eines gerichtlichen oder wie hier eines vertraglichen Verbots, wenn die Handlung mit der im Verbot formulierten im wesentlichen Kern übereinstimmt, d.h. in der neuen Verletzungsform das Charakteristische der früheren Verletzungsform wiederkehrt. Dazu genügt, wie in der Rechtsprechung und in der Literatur allgemein anerkannt ist, nicht schon die Feststellung, dass das nunmehr beanstandete Verhalten gegen dieselbe Norm verstößt wie das Verhalten, das Gegenstand des Verbots oder der Unterlassungserklärung war. Es fällt nicht mehr in deren Kernbereich, wenn zur Bejahung des Verstoßes gegen dieselbe Norm eine selbständige rechtliche Beurteilung erforderlich ist.
b) Die nunmehr beanstandeten Anwendungsbeobachtungen fallen nicht in den Kernbereich der Unterlassungserklärung vom 29. März 2007.
Die Unterlassungserklärung des betroffenen Mitglieds ist unter Heranziehung ihrer Vorgeschichte, insbesondere der zunächst verlangten Unterlassungserklärung und deren Begründung zu verstehen. Danach ging es – im Rahmen einer größeren Aktion – um Medikamente, die sich bereits längere Zeit auf dem Markt befanden und Anwendungsbeobachtungen schon aus diesem Grunde fragwürdig waren. Vor allem ergab sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtintervention aus einem bestimmten Umfeld, nämlich aus dem Zusammenhang mit einer an den Außendienst gerichteten Aktion („Aktion 06/600“), die auf ein forciertes Beeinflussen der Ärzte ausgerichtet war.
Nunmehr handelt es zwar ebenfalls um eine größere Aktion. Auf den Umfang einer Maßnahme kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Das gemeinsame Ziel, die Umstellung auf ein eigenes Medikament zu erreichen, genügt ebenfalls nicht zur Bejahung der „Kerngleichheit“. Vielmehr ist auch maßgebend, wie die Umstellung erfolgt.
Anders als beim früheren Verstoß sind im vorliegenden Falle für die rechtliche Beurteilung die Anwendungsbeobachtungen selbst maßgebend, so wie sie sich in der Mappe darstellen. Sie betreffen ein neues Medikament und waren geboten. Vor allem kommt es entscheidend darauf an, wie das betroffene Mitglied die AWB den Ärzten gemäß der überreichten Mappe präsentiert hat. Die Begründung des Verstoßes erfordert eine selbständige, völlig neue Beurteilung; die maßgebenden Umstände sind andere als im früheren Verfahren.
Da es an einem wiederholten Verstoß fehlt, ist die Entscheidung 1. Instanz zu Ziffer 2 und 3 aufzuheben, die auf einem solchen Verstoß beruhen.
3) Die Feststellung eines Verstoßes gemäß vorstehender Ziffer 1 und die Aufhebung der Entscheidung 1. Instanz zu Ziffern 2 und 3 führen dazu, dass der Spruchkörper 2. Instanz die gebotene Unterlassungsverpflichtung nebst Androhung eines Ordnungsgeldes nachzuholen hat. Das fällt in die Entscheidungskompetenz des Spruchkörpers 2. Instanz. Gegenstand des Einspruchsverfahrens sind die beanstandeten Anwendungsbeobachtungen gemäß Mappe in jeder rechtlichen Hinsicht.
Zukünftig verstoßen Anwendungsbeobachtungen, wie sie Novartis durchgeführt hat, im Falle einer Wiederholung gegen § 19 Abs. 1 Satz 2 und 4 FS-Kodex 2008. Inhaltlich hat sich insoweit nichts geändert.
Der Spruchkörper 2. Instanz hält ebenso wie die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz vom 13. April 2007 ein Ordnungsgeld von 50.000 € für angemessen. Insoweit wird auf die dazu in einem obiter dictum erfolgten Ausführungen in der Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz vom 6. Dezember 2007 Bezug genommen. Hier ging es um die oben angesprochenen Anwendungsbeobachtungen. Auch im vorliegenden Fall handelt es sich um einen schweren Fall.
Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 VerfO ordnet der Spruchkörper 2. Instanz die Veröffentlichung des Namens des betroffenen Mitglieds an; es handelt sich um einen schweren Verstoß. Hierbei geht es nicht um eine öffentliche Rüge gemäß § 24 Abs. 4 VerfO, die mangels eines „besonders schwerwiegenden“ Verstoßes nicht geboten ist, sondern allein darum, ob die Veröffentlichung der Entscheidung durch den FSA anonym oder unter Nennung des Namens des betroffenen Mitglieds erfolgt. Die Nennung ist angesichts der Schwere des Verstoßes gerechtfertigt. Die Anordnung, die keine Sanktion im Sinne von § 24 VerfO ist, erfolgt in den Gründen der Entscheidung.
Ergebnis
Die Firma Novartis Pharma GmbH wird verpflichtet,
- es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Anwendungsbeobachtungen für das blutdrucksenkende Medikament Exforge durchzuführen, so wie im Zeitraum Februar 2007 bis November 2007 unter dem Projekttitel „EXZELLENT“ gemäß der überreichten Mappe geschehen;
- für jeden Fall schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus vorstehender Ziffer ein Ordnungsgeld in Höhe von 50.000 € gemäß § 20 Abs. 5 der „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung an den FS Arzneimittelindustrie e.V. zu zahlen.
Berlin im Februar 2009