§ 6 Abs. 3 des Kodex (vergleiche nunmehr § 20 Abs. 3) – Monte Carlo als Tagungsort
AZ.: FS II 7/05/2005.9-89 (2. Instanz)
Leitsatz
- Monte Carlo ist als Tagungsort jedenfalls immer dann nicht allein nach sachlichen Auswahlkriterien gewählt, wenn die Agenda der internen Fortbildung ausreichend Zeit zur Nutzung des Freizeitwertes des Ortes ermöglicht.
- Die spätere Rücknahme eines zulässigen Einspruches gegen die Entscheidung der 1. Instanz ist unwirksam.
Sachverhalt
Die Muttergesellschaft eines Mitgliedsunternehmens hatte insgesamt 1.000 Ärztinnen und Ärzte, von denen 240 Teilnehmer aus Deutschland kamen, die weiteren aus Australien, Belgien, Deutschland, Großbritannien, Kanada, der Schweiz, Spanien und den USA, nach Monte Carlo in ein 4 Sterne Hotel eingeladen. Der Einladung beigefügt war ein Veranstaltungsablauf, der neben den einzelnen Programmpunkten den Tagungsort „Monte Carlo“ per Luftbildaufnahme darstellte. Als deutsche Abwicklungsorganisation für die Teilnehmer war das Mitgliedsunternehmen angegeben.
Die Agenda der Veranstaltung sah für den einen Programmteil von 9.00 Uhr bis 15.30 Uhr einschließlich einer Kaffeepause vor. Die Zeit von 15.30 Uhr bis 20.00 Uhr hatten die Teilnehmer zu freien Verfügung.
Das Unternehmen hatte nach ordnungsgemäßem Einspruch gegen das Urteil der 1. Instanz die Rücknahme des Einspruches erklärt
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der Spruchkörper 2. Instanz hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2006 folgende Entscheidung getroffen:
1) Der Einspruch der Firma gegen die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz wird verworfen. Die Entscheidung wird mit der Maßgabe bestätigt, dass deren Tenor zu 2. wie folgt lautet:
Das Unternehmen wird verpflichtet, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Ärztinnen und Ärzte zu Fortbildungsveranstaltungen einzuladen, soweit diese in einem Ort wie Monte Carlo/Monaco (Unterbringung in einem Hotel wie dem Le Méridien Beach Plaza Hotel) stattfinden, wie mit der Einladung nebst Veranstaltungsablauf zum Internationalen Kongress geschehen.
Gründe
II. Begründung:
Die erklärte Rücknahme des zulässigen Einspruchs ist unwirksam. Die „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung sieht eine solche Rücknahme nicht vor (ebenso Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten, Seite 310 Rdn. 233).
Der Einspruch ist unbegründet, die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen.
1) Die Einladung zum Internationalen Kongress „ …..“ in Monte Carlo genügt nicht den Voraus-
setzungen des § 20 Abs. 3 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex.
Nach der genannten Bestimmung hat die Auswahl des Tagungsortes für eine interne Fortbil-
dungsveranstaltung – um eine solche geht es hier – allein nach sachlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Nach Satz 3 ist ein solcher Grund beispielsweise nicht der Freizeitwert des Tagungs-
ortes. Daran hat sich das Unternehmen nicht gehalten.
Ob das Unternehmen den Tagungsort allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beantworten. Durch die Wahl des Tagungsortes darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass nicht allein der Fortbildungscharakter der Veranstaltung maßgebend ist, sondern auch der Freizeitwert des Tagungsortes von Bedeutung ist. Der Spruchkörper 2. Instanz hat zur Problematik in seiner Entscheidung vom 17. November 2005 ausgeführt, die eine interne Fortbildungsveranstaltung im Ostseebad Zingst betrifft:
„Daraus dass nach der Regelung im Kodex der Freizeitwert des Tagungsortes kein sachlicher Grund ist, folgt aber nicht, dass von vornherein alle Orte ausscheiden, denen ein (erheblicher) Freizeitwert zukommt. Das dürfte nämlich auf die meisten Orte in Deutschland zutreffen und gilt vor allem und in besonderem Maße für größere Städte, in denen die Abendstunden – nach Beendigung des Unterrichts – im allgemeinen von erhöhter Attraktivität sind. Der „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex kann nicht dahin verstanden werden, dass solche Orte stets als geeignete Tagungsorte ausfallen. Dann würden nämlich kaum noch Orte für Fortbildungsveranstaltungen übrigbleiben. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist eine derart enge Auslegung nicht geboten. Vielmehr kommt es auf alle Umstände des Einzelfalles an.
Bei der Abwägung der Umstände ist etwa zu berücksichtigen, wie sich der Teilnehmerkreis regional zusammensetzt und ob der Tagungsort von den Teilnehmern in vernünftiger Weise zu erreichen ist. Von Bedeutung ist auch, ob das Programm derart straff ist, dass kaum oder nur wenig Freizeit verbleibt, ferner ob der Freizeitwert des Ortes so groß ist, dass die Teilnehmer geneigt sind, dessen Freizeitmöglichkeiten wahrzunehmen und dafür die Teilnahme an der Tagung zu vernachlässigen. Gegen eine Auswahl des Tagungsortes allein nach sachlichen Gesichtspunkten spricht es etwa, wenn die Einladung die Freizeit-
möglichkeiten aufführt oder sogar besonders herausstellt oder zeitgleich an dem Ort ein besonderes, attraktives Ereignis stattfindet, das den Eingeladenen bekannt ist.
Seebäder wie Zingst haben allerdings einen überwiegend touristischen Charakter; sie sind touristisch geprägt. Daher ist zu beachten, ob die Tagung in einen Zeitraum fällt, in dem der Ort – wie in der eigentlichen Hochsaison – für Freizeitaktivitäten besonders attraktiv ist. Das traf hier jedoch nicht zu. Die Tagung fand Ende April/Anfang Mai statt, d.h. vor der Hochsaison. Zum Baden im Meer ist es zu dieser Jahreszeit im allgemeinen noch zu kalt. Zur genannten Zeit bietet ein Seebad wie Zingst tagsüber und/oder abends nicht soviel, dass die Teilnehmer dadurch von dem straffen Tagungsprogramm, das einen hohen fachlichen Wert aufwies, abgelenkt worden sind und die Tagung (auch) wegen des Freizeitwertes des Tagungsortes Zingst besucht haben. Aus der Sicht der angesprochenen Ärztinnen und Ärzte kommt hinzu, dass in Zingst bereits zur Zeit der DDR Fortbildungsveranstaltungen stattfanden und insofern unabhängig vom Freizeitwert eine fachliche Tradition entstanden ist.
Dem steht nicht entgegen, dass es auch im Frühjahr viele Besucher gibt, die in Zingst wandern oder Spaziergänge machen. Im genannten Zeitraum unterscheidet das Zingst nicht von den meisten anderen, als Tagungsort in Betracht kommenden Orten, insbesondere Großstädten. Von einem „erhöhten Freizeitwert“ des Seebades Zingst kann daher zum vorliegenden Zeitpunkt keine Rede sein. Zingst ist den angesprochenen Ärztinnen und Ärzten zwar bekannt, hat aber nicht eine derart überragende Bekanntheit und Bedeutung, dass allein der Name Zingst dem Teilnehmer außerhalb der Hochsaison das Vorliegen einer Freizeitveranstaltung suggeriert. Insgesamt wird auch nicht wenigstens bei den Teilnehmern der Eindruck erweckt, dass der Fortbildungszweck nicht allein im Vordergrund steht, sondern zumindest auch der Freizeitwert des Ortes eine maßgebende Rolle spielt.“
Unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles hat das Unternehmen Monte Carlo als Tagungsort nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern auch wegen seines Freizeitwerts ausgewählt.
Da es sich um eine internationale Veranstaltung handelt, ist allerdings nicht zu beanstanden, dass sie nicht in Deutschland, sondern im europäischen Ausland stattfand. Es schadet auch nicht, dass die Einladung ein Luftbild von Monte Carlo enthält. Dadurch wird nicht auf die Freizeitmöglich-
keiten hingewiesen, die der Ort bietet.
Monte Carlo/Monaco genießt anders als Zingst einen herausragenden, internationalen Ruf. Die Stadt, besonders schön gelegen am Mittelmeer, gehört zu den renommiertesten Urlaubs- und Freizeitregionen Europas. Als Freizeit- und Urlaubsort ist sie vor allem für einen Kurzurlaub geeignet. Das gehobene Image und das besondere Flair von Monte Carlo/Monaco in Verbindung mit seinen Freizeitmöglichkeiten macht den Ort – und zwar nicht nur in der Hochsaison, sondern unabhängig von der Jahreszeit – für Besucher derart attraktiv, dass die Teilnehmer einer Fortbildungsveranstaltung geneigt sein können, auch oder gerade aus diesem Grunde – bei Unterbringung in einem Vier-Sterne-Hotel – daran teilzunehmen. Großstädte wie etwa Paris, London oder Berlin haben zwar mehr Freizeitmöglichkeiten. Der eigenständige, gehobene Reiz von Monte Carlo/Monaco ist aber in herausragendem Maße geeignet, den Eindruck hervorzurufen, dass der Tagungsort auch wegen seiner Freizeit-Attraktivität und trotz seiner leichten Erreichbarkeit über den Flughafen Nizza und trotz seiner guten Eignung für Kongresse nicht allein aus sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt worden ist. Die Vermeidung eines solchen Eindrucks entspricht dem Sinn und Zweck der Kodex-Regelung.
Die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung hatten genügend Zeit, neben der Tagung Monte Carlo/Monaco zu erkunden und dessen Freizeitmöglichkeiten zu nutzen. Das gilt nicht nur für die Zeiten nach den Abendessen, sondern vor allem auch für den Nachmittag des 20.09.2005: An diesem Tage endete das Programm um 15 Uhr 30, so dass bis zum gemeinsamen Abendessen um 20 Uhr noch rund 4 ½ Stunden zur freien Verfügung standen. das Unternehmen weist zwar zu Recht darauf hin, dass das Fortbildungsprogramm gestrafft war, weil es abgesehen von einer kleinen Pause ununterbrochen von 9 Uhr bis 15 Uhr 30 stattfand und mehr als etwa sechs Arbeitsstunden unzumutbar gewesen wären. Diese zeitliche Straffung war jedoch nicht zwingend geboten und hat den Teilnehmern andererseits erst in erheblichem Umfange freie Zeit verschafft.
Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“- Kodex ist demnach gegeben. Für den Feststellungsausspruch 1. Instanz ist es unerheblich, ob – im Hinblick auf die Unterbringung – noch ein weiterer Kodex-Verstoß vorliegt.
Wie der Spruchkörper 1. Instanz zutreffend ausgeführt hat, ist der Verstoß dem Unternehmen zuzurechnen. Es war für die deutschen Ärztinnen und Ärzte zuständig. Insoweit ist es als Miteinladende anzusehen.
2) Da das Unternehmen gegen § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex verstoßen hat, ist sie zur Unterlassung verpflichtet, allerdings mit der Maßgabe, wie sie sich zur Klarstellung aus den Ausführungen zu d) ergibt:
a) Soweit das Verbot auf die „Tagungsstätte“ Bezug nimmt, ist damit ersichtlich nicht die Stätte gemeint, in dem die Tagung stattfand – das war unstreitig das Grimaldi Zentrum – , sondern das Hotel, in dem die deutschen Teilnehmer untergebracht waren. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang, in dem der genannte Begriff im Tenor und in den Gründen 1. Instanz gebraucht wird, worauf das Unternehmen zutreffend hingewiesen hat.
b) Der Spruchkörper 1. Instanz hat nicht etwa zwei Verbote ausgesprochen, nämlich nicht zum einen die Auswahl des Tagungsortes und zum anderen – selbständig daneben – die Auswahl der „Tagungsstätte“ verboten, sondern nur ein einziges Verbot ausgesprochen, das sich – entsprech-
end der konkreten Verletzungsform – in Kombination aus beiden Elementen (Tagungsort plus Hotel) zusammensetzt. Das ergibt sich daraus, dass beide im Tenor, der für den Umfang des Verbots maßgebend ist und zu dessen Auslegung die Gründe heranzuziehen sind, nicht durch ein „und/oder“, sondern durch ein „und“ verbunden sind. Daraus folgt, dass das ausgesprochene Verbot schon dann zu Recht erfolgt ist, wenn eines der beiden Elemente kodexwidrig ist. Da das bereits auf die Auswahl des Tagungsortes zutrifft, kommt es auch im vorliegenden Zusammen-
hang nicht darauf an, ob außerdem die Auswahl der „Tagungsstätte“ (= die Unterbringung der deutschen Teilnehmer) für sich allein gegen den „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex verstößt, was im übrigen nicht nach § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex, sondern nach Satz 1 zu prüfen wäre und zu verneinen ist.
c) Das Verbot erfasst trotz seiner allgemeinen Formulierung zu Beginn nur die konkrete Ver-
letzungsform und zugleich solche Verletzungshandlungen, die mit der konkreten Verletzungsform im wesentlichen Kern übereinstimmen. Das ergibt sich aus der Anknüpfung an die konkrete Verletzungsform durch die Worte „wie … geschehen“. In derartigen Fällen können die abstrakt formulierten Merkmale dazu dienen, die Charakteristika der beanstandeten Verletzungsform näher zu bestimmen. Ein solches Verständnis des Tenors entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. zuletzt: BGH WRP 2006, 84, 86 – Aktivierungskosten II; vgl. dazu auch Harte/Henning/Brüning, UWG, Vor § 12 Rdn. 87 und 107).
d) Der Spruchkörper 2. Instanz hat das Verbot zur Klarstellung näher an die konkrete Ver-
letzungsform angepasst. Das Verbot, das der Spruchkörper 1. Instanz ausgesprochen hat, übernimmt zunächst die allgemeine Formulierung der Kodex-Bestimmung „allein nach sachlichen Gesichtspunkten“. Ebenso wie im normalen Wettbewerbsprozess gesetzeswiederholende Anträge und Verbote zu vermeiden sind, wenn der Verstoß wie hier umstritten ist, hat das entsprechend auch für abstrakte, kodexwiederholende Formulierungen im Verbot zu gelten. Die Umformu-
lierung, die der Spruchkörper 2. Instanz vorgenommen hat und die im Rahmen des Streitgegen-
standes liegt, richtet sich nach den maßgebenden Umständen der vorliegenden konkreten Verletzungsform. Dazu gehört auch der konkrete Veranstaltungsablauf, der zur Begründung des Verstoßes herangezogen worden ist. – Eine Verallgemeinerung ist hinsichtlich der Jahreszeit geboten. Die Auswahl Monte Carlos als Tagungsort ist auch dann kodexwidrig, wenn die Veranstaltung nicht wie geschehen im September, sondern in einem anderen Monat, auch im Winter, stattfindet.
Die Höhe des angedrohten Ordnungsgeldes von 25.000 EUR ist angemessen. Maßgebend ist, dass es um Fortbildungsveranstaltungen geht, die eine internationale Dimension haben und in einem besonders attraktiven Ort stattfinden.
Ergebnis
Gründe
II. Begründung:
Die erklärte Rücknahme des zulässigen Einspruchs ist unwirksam. Die „FS Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung sieht eine solche Rücknahme nicht vor (ebenso Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten, Seite 310 Rdn. 233).
Der Einspruch ist unbegründet, die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen.
1) Die Einladung zum Internationalen Kongress „ …..“ in Monte Carlo genügt nicht den Voraus-
setzungen des § 20 Abs. 3 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex.
Nach der genannten Bestimmung hat die Auswahl des Tagungsortes für eine interne Fortbil-
dungsveranstaltung – um eine solche geht es hier – allein nach sachlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Nach Satz 3 ist ein solcher Grund beispielsweise nicht der Freizeitwert des Tagungs-
ortes. Daran hat sich das Unternehmen nicht gehalten.
Ob das Unternehmen den Tagungsort allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beantworten. Durch die Wahl des Tagungsortes darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass nicht allein der Fortbildungscharakter der Veranstaltung maßgebend ist, sondern auch der Freizeitwert des Tagungsortes von Bedeutung ist. Der Spruchkörper 2. Instanz hat zur Problematik in seiner Entscheidung vom 17. November 2005 ausgeführt, die eine interne Fortbildungsveranstaltung im Ostseebad Zingst betrifft:
„Daraus dass nach der Regelung im Kodex der Freizeitwert des Tagungsortes kein sachlicher Grund ist, folgt aber nicht, dass von vornherein alle Orte ausscheiden, denen ein (erheblicher) Freizeitwert zukommt. Das dürfte nämlich auf die meisten Orte in Deutschland zutreffen und gilt vor allem und in besonderem Maße für größere Städte, in denen die Abendstunden – nach Beendigung des Unterrichts – im allgemeinen von erhöhter Attraktivität sind. Der „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex kann nicht dahin verstanden werden, dass solche Orte stets als geeignete Tagungsorte ausfallen. Dann würden nämlich kaum noch Orte für Fortbildungsveranstaltungen übrigbleiben. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist eine derart enge Auslegung nicht geboten. Vielmehr kommt es auf alle Umstände des Einzelfalles an.
Bei der Abwägung der Umstände ist etwa zu berücksichtigen, wie sich der Teilnehmerkreis regional zusammensetzt und ob der Tagungsort von den Teilnehmern in vernünftiger Weise zu erreichen ist. Von Bedeutung ist auch, ob das Programm derart straff ist, dass kaum oder nur wenig Freizeit verbleibt, ferner ob der Freizeitwert des Ortes so groß ist, dass die Teilnehmer geneigt sind, dessen Freizeitmöglichkeiten wahrzunehmen und dafür die Teilnahme an der Tagung zu vernachlässigen. Gegen eine Auswahl des Tagungsortes allein nach sachlichen Gesichtspunkten spricht es etwa, wenn die Einladung die Freizeit-
möglichkeiten aufführt oder sogar besonders herausstellt oder zeitgleich an dem Ort ein besonderes, attraktives Ereignis stattfindet, das den Eingeladenen bekannt ist.
Seebäder wie Zingst haben allerdings einen überwiegend touristischen Charakter; sie sind touristisch geprägt. Daher ist zu beachten, ob die Tagung in einen Zeitraum fällt, in dem der Ort – wie in der eigentlichen Hochsaison – für Freizeitaktivitäten besonders attraktiv ist. Das traf hier jedoch nicht zu. Die Tagung fand Ende April/Anfang Mai statt, d.h. vor der Hochsaison. Zum Baden im Meer ist es zu dieser Jahreszeit im allgemeinen noch zu kalt. Zur genannten Zeit bietet ein Seebad wie Zingst tagsüber und/oder abends nicht soviel, dass die Teilnehmer dadurch von dem straffen Tagungsprogramm, das einen hohen fachlichen Wert aufwies, abgelenkt worden sind und die Tagung (auch) wegen des Freizeitwertes des Tagungsortes Zingst besucht haben. Aus der Sicht der angesprochenen Ärztinnen und Ärzte kommt hinzu, dass in Zingst bereits zur Zeit der DDR Fortbildungsveranstaltungen stattfanden und insofern unabhängig vom Freizeitwert eine fachliche Tradition entstanden ist.
Dem steht nicht entgegen, dass es auch im Frühjahr viele Besucher gibt, die in Zingst wandern oder Spaziergänge machen. Im genannten Zeitraum unterscheidet das Zingst nicht von den meisten anderen, als Tagungsort in Betracht kommenden Orten, insbesondere Großstädten. Von einem „erhöhten Freizeitwert“ des Seebades Zingst kann daher zum vorliegenden Zeitpunkt keine Rede sein. Zingst ist den angesprochenen Ärztinnen und Ärzten zwar bekannt, hat aber nicht eine derart überragende Bekanntheit und Bedeutung, dass allein der Name Zingst dem Teilnehmer außerhalb der Hochsaison das Vorliegen einer Freizeitveranstaltung suggeriert. Insgesamt wird auch nicht wenigstens bei den Teilnehmern der Eindruck erweckt, dass der Fortbildungszweck nicht allein im Vordergrund steht, sondern zumindest auch der Freizeitwert des Ortes eine maßgebende Rolle spielt.“
Unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles hat das Unternehmen Monte Carlo als Tagungsort nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern auch wegen seines Freizeitwerts ausgewählt.
Da es sich um eine internationale Veranstaltung handelt, ist allerdings nicht zu beanstanden, dass sie nicht in Deutschland, sondern im europäischen Ausland stattfand. Es schadet auch nicht, dass die Einladung ein Luftbild von Monte Carlo enthält. Dadurch wird nicht auf die Freizeitmöglich-
keiten hingewiesen, die der Ort bietet.
Monte Carlo/Monaco genießt anders als Zingst einen herausragenden, internationalen Ruf. Die Stadt, besonders schön gelegen am Mittelmeer, gehört zu den renommiertesten Urlaubs- und Freizeitregionen Europas. Als Freizeit- und Urlaubsort ist sie vor allem für einen Kurzurlaub geeignet. Das gehobene Image und das besondere Flair von Monte Carlo/Monaco in Verbindung mit seinen Freizeitmöglichkeiten macht den Ort – und zwar nicht nur in der Hochsaison, sondern unabhängig von der Jahreszeit – für Besucher derart attraktiv, dass die Teilnehmer einer Fortbildungsveranstaltung geneigt sein können, auch oder gerade aus diesem Grunde – bei Unterbringung in einem Vier-Sterne-Hotel – daran teilzunehmen. Großstädte wie etwa Paris, London oder Berlin haben zwar mehr Freizeitmöglichkeiten. Der eigenständige, gehobene Reiz von Monte Carlo/Monaco ist aber in herausragendem Maße geeignet, den Eindruck hervorzurufen, dass der Tagungsort auch wegen seiner Freizeit-Attraktivität und trotz seiner leichten Erreichbarkeit über den Flughafen Nizza und trotz seiner guten Eignung für Kongresse nicht allein aus sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt worden ist. Die Vermeidung eines solchen Eindrucks entspricht dem Sinn und Zweck der Kodex-Regelung.
Die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung hatten genügend Zeit, neben der Tagung Monte Carlo/Monaco zu erkunden und dessen Freizeitmöglichkeiten zu nutzen. Das gilt nicht nur für die Zeiten nach den Abendessen, sondern vor allem auch für den Nachmittag des 20.09.2005: An diesem Tage endete das Programm um 15 Uhr 30, so dass bis zum gemeinsamen Abendessen um 20 Uhr noch rund 4 ½ Stunden zur freien Verfügung standen. das Unternehmen weist zwar zu Recht darauf hin, dass das Fortbildungsprogramm gestrafft war, weil es abgesehen von einer kleinen Pause ununterbrochen von 9 Uhr bis 15 Uhr 30 stattfand und mehr als etwa sechs Arbeitsstunden unzumutbar gewesen wären. Diese zeitliche Straffung war jedoch nicht zwingend geboten und hat den Teilnehmern andererseits erst in erheblichem Umfange freie Zeit verschafft.
Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“- Kodex ist demnach gegeben. Für den Feststellungsausspruch 1. Instanz ist es unerheblich, ob – im Hinblick auf die Unterbringung – noch ein weiterer Kodex-Verstoß vorliegt.
Wie der Spruchkörper 1. Instanz zutreffend ausgeführt hat, ist der Verstoß dem Unternehmen zuzurechnen. Es war für die deutschen Ärztinnen und Ärzte zuständig. Insoweit ist es als Miteinladende anzusehen.
2) Da das Unternehmen gegen § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex verstoßen hat, ist sie zur Unterlassung verpflichtet, allerdings mit der Maßgabe, wie sie sich zur Klarstellung aus den Ausführungen zu d) ergibt:
a) Soweit das Verbot auf die „Tagungsstätte“ Bezug nimmt, ist damit ersichtlich nicht die Stätte gemeint, in dem die Tagung stattfand – das war unstreitig das Grimaldi Zentrum – , sondern das Hotel, in dem die deutschen Teilnehmer untergebracht waren. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang, in dem der genannte Begriff im Tenor und in den Gründen 1. Instanz gebraucht wird, worauf das Unternehmen zutreffend hingewiesen hat.
b) Der Spruchkörper 1. Instanz hat nicht etwa zwei Verbote ausgesprochen, nämlich nicht zum einen die Auswahl des Tagungsortes und zum anderen – selbständig daneben – die Auswahl der „Tagungsstätte“ verboten, sondern nur ein einziges Verbot ausgesprochen, das sich – entsprech-
end der konkreten Verletzungsform – in Kombination aus beiden Elementen (Tagungsort plus Hotel) zusammensetzt. Das ergibt sich daraus, dass beide im Tenor, der für den Umfang des Verbots maßgebend ist und zu dessen Auslegung die Gründe heranzuziehen sind, nicht durch ein „und/oder“, sondern durch ein „und“ verbunden sind. Daraus folgt, dass das ausgesprochene Verbot schon dann zu Recht erfolgt ist, wenn eines der beiden Elemente kodexwidrig ist. Da das bereits auf die Auswahl des Tagungsortes zutrifft, kommt es auch im vorliegenden Zusammen-
hang nicht darauf an, ob außerdem die Auswahl der „Tagungsstätte“ (= die Unterbringung der deutschen Teilnehmer) für sich allein gegen den „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex verstößt, was im übrigen nicht nach § 20 Abs. 3 Satz 2 „FS Arzneimittelindustrie“-Kodex, sondern nach Satz 1 zu prüfen wäre und zu verneinen ist.
c) Das Verbot erfasst trotz seiner allgemeinen Formulierung zu Beginn nur die konkrete Ver-
letzungsform und zugleich solche Verletzungshandlungen, die mit der konkreten Verletzungsform im wesentlichen Kern übereinstimmen. Das ergibt sich aus der Anknüpfung an die konkrete Verletzungsform durch die Worte „wie … geschehen“. In derartigen Fällen können die abstrakt formulierten Merkmale dazu dienen, die Charakteristika der beanstandeten Verletzungsform näher zu bestimmen. Ein solches Verständnis des Tenors entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. zuletzt: BGH WRP 2006, 84, 86 – Aktivierungskosten II; vgl. dazu auch Harte/Henning/Brüning, UWG, Vor § 12 Rdn. 87 und 107).
d) Der Spruchkörper 2. Instanz hat das Verbot zur Klarstellung näher an die konkrete Ver-
letzungsform angepasst. Das Verbot, das der Spruchkörper 1. Instanz ausgesprochen hat, übernimmt zunächst die allgemeine Formulierung der Kodex-Bestimmung „allein nach sachlichen Gesichtspunkten“. Ebenso wie im normalen Wettbewerbsprozess gesetzeswiederholende Anträge und Verbote zu vermeiden sind, wenn der Verstoß wie hier umstritten ist, hat das entsprechend auch für abstrakte, kodexwiederholende Formulierungen im Verbot zu gelten. Die Umformu-
lierung, die der Spruchkörper 2. Instanz vorgenommen hat und die im Rahmen des Streitgegen-
standes liegt, richtet sich nach den maßgebenden Umständen der vorliegenden konkreten Verletzungsform. Dazu gehört auch der konkrete Veranstaltungsablauf, der zur Begründung des Verstoßes herangezogen worden ist. – Eine Verallgemeinerung ist hinsichtlich der Jahreszeit geboten. Die Auswahl Monte Carlos als Tagungsort ist auch dann kodexwidrig, wenn die Veranstaltung nicht wie geschehen im September, sondern in einem anderen Monat, auch im Winter, stattfindet.
Die Höhe des angedrohten Ordnungsgeldes von 25.000 EUR ist angemessen. Maßgebend ist, dass es um Fortbildungsveranstaltungen geht, die eine internationale Dimension haben und in einem besonders attraktiven Ort stattfinden.
Ergebnis
Die Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz ist im Sinne der „FS“ Arzneimittelindustrie“-Verfahrensordnung unanfechtbar. Ein Rechtsbehelf ist insoweit nicht möglich.
Berlin, im Februar 2006