§ 20 Abs. 3 Satz 1 FSA-Kodex Fachkreise und Leitlinie 11.4: angemessene Bewirtung am Kongress-Stand
Geldstrafe verhängt: Die umfangreiche Bewirtung an einem prominent herausgestellten, weihnachtlich dekorierten Kongress-Stand kann unangemessen und damit kodexwidrig sein.
Die Bewirtung von Gästen an Kongress-Ständen ist grundsätzlich zulässig, solange die Informationsvermittlung im Vordergrund steht. Dies war bei dem Sachverhalt der vorliegenden Beanstandung nicht der Fall. So hatten Aufbau, Positionierung, die weihnachtliche Dekoration des Standes und eine große Auswahl an gratis Kaffeespezialitäten in der Summe eine unzulässige Anreizwirkung ergeben, die über die reine Informationsvermittlung deutlich hinausging. Die Schiedsstelle hat das FSA-Mitglied Merck KGaA daher zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 Euro an den gemeinnützigen Verein WASH United e.V. angewiesen.
Leitsätze
1. Wird bei der Bewirtung an einem Kongress-Stand aufgrund der Gestaltung oder der vorhandenen Einrichtungen der Eindruck erweckt, dass der Erlebnischarakter anstelle der Möglichkeit zur fachlichen Diskussion im Vordergrund steht, ist die Angemessenheit der Bewirtung in der Regel zu verneinen.
2. Für die Angemessenheit der Bewirtung sind in der Regel nicht einzelne Merkmale der Bewirtung oder der Stand-Gestaltung ausschlaggebend, sondern die einzelnen Elemente in ihrem Zusammenspiel, so wie sie der fremde Standbesucher wahrnimmt.
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens war die anonyme Beanstandung, das Mitgliedsunternehmen Merck KGaA habe Angehörige der Fachkreise auf einem Kongressstand über drei Tage unangemessen bewirtet. In den Mittelpunkt und damit zum Blickfang des Kongressstandes habe das Unternehmen zwei Kaffee-stände mit weihnachtsmarktähnlicher Aufmachung gestellt, eingebettet in die Winterlandschaft des gesamten Standes. Die Kaffeestände seien jeweils zum Eingang bzw. Ausgang ausgerichtet gewesen, sodass die Stände direkt beim Betreten der Halle jeweils zuerst in den Fokus getreten seien. Auch wegen der Größe des Kaffeestandes hätten sie das gesamte Bild des Standes dominiert.
Am Stand habe neben der vielseitigen Auswahl zudem die Möglichkeit bestanden, an einem der Sitzgelegenheiten am Messestand seinen Kaffee, seinen Tee oder die Trinkschokolade über ein iPad auszuwählen und zu bestellen. Die Besucher hätten aus einer Vielzahl von Kaffee- und Teevariationen wählen können. Den frisch gemahlenen und „handcrafted coffee“ hätten jeweils zwei professionelle Barista serviert. Zusätzlich seien eine Auswahl an verschiedenen Sirup-Sorten, aromatisierten Wässern u.ä. angeboten worden.
Das Unternehmen bestätigte, zwei Bewirtungsstände auf seinem Kongressstand betrieben zu haben, allerdings sei nur eine der beiden „Coffebars“ des Standes diagonal in Richtung des Hauptdurchgangs zur Industrieausstellung ausgerichtet gewesen, sie habe sich auch nicht direkt am Haupteingang zur Halle befunden. Die zweite „Coffeebar“ sei nicht Richtung eines Hauptgangs/Eingangs ausgerichtet gewesen. Die „Coffeebars“ hätten lediglich eine untergeordnete Fläche des großen Standes eingenommen, den Kongressstand aber nicht dominiert.
Die winterliche Aufmachung der Kaffeestände habe dem gesamtheitlichen Marketing- und Standkonzept entsprochen. Der Informationscharakter des Kongressstandes sei nicht beeinträchtigt gewesen.
Die Möglichkeit, ein Getränk an einem IPad vorzubestellen, sei eine einfache technische Lösung, die in vielen Fast Food Lokalen inzwischen Standard sei. Darin könne keine unsachgemäße Anlockwirkung gesehen werden.
Insgesamt seien ca. 2.500 Portionen Kaffee pro Tag, also 7.500 Kaffees abgegeben worden. Auf dem Kongress waren ca. 9.600 Besucher.
Aus den überreichten Unterlagen ergab sich, dass der Kongressstand direkt neben dem Halleneingang auf einer Fläche von 400 qm am Hauptdurchgang der Ausstellung aufgebaut war; der Standplan zeigt 10 weitere Industriestände, die jeweils kleinere Flächen belegten. Einer der beiden Kaffeestände war im vorderen Bereich des Standes groß und blickfangmäßig positioniert: An einem Tresen mit Naturstein-Optik stand eine professionelle Maschine zur Zubereitung von Kaffee-Spezialitäten zur Verfügung, hinter der die Bestellungen der Standbesucher ausgeführt wurden. Der Stand war an die Gestaltung einer Almhütte angelehnt und zeigte im Hintergrund eine Schneelandschaft mit schneebedeckten Tannen und Häusern im alpenländischen (oder weihnachtlichen) Stil. Große Poster an den Wänden der Halle hinter dem Kaffeestand zeigten erneut eine Berglandschaft mit Schnee, eine Seilbahn mit Gondel usw.
Das Menu listete u.a. unter der Überschrift „Handcrafted Coffee“ sechs Kaffeezubereitungen auf. Der Abrechnung zufolge waren an den Ständen sechs Baristas an entsprechendem Gerät tätig.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Gem. Leitlinie 11.4 zu § 20 FSA-Kodex Fachkreise (- im Folgenden: Kodex -) zur Auslegung des Begriffe „angemessene Bewirtung“ (§ 20 Abs. 2 Satz 2) und „angemessener Rahmen von Unterbringung und Bewirtung“ (§ 20 Abs. 3 Satz 1) ist die Bewirtung von Angehörigen der Fachkreise an Kongressständen externer Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich zulässig. Da Hauptzweck eines Kongressstandes liegt in der Informationsvermittlung zu den Produkten, Indikationen bzw. Arbeitsgebieten des Unter-nehmens. Daher soll die Bewirtung „deutlich in den Hintergrund treten und keinen eigenständigen Anreiz zum Standbesuch darstellen.“
Leitlinie 11.4.5 führt ferner aus, dass „extravagante“ Bewirtungen, bei denen aufgrund der Gestaltung bzw. der vorhandenen Einrichtungen der Eindruck erweckt wird, dass der Erlebnischarakter anstelle der Möglichkeit zur fachlichen Diskussion im Vordergrund steht, nicht angemessen sind.
Die Schiedsstelle hat in den Verfahren zu 2014.10-439 – 441 ausgeführt, dass die Abgabe von frisch zubereitetem Café Latte, Espresso, Cappuccino nicht unüblich ist und den angemessenen Rahmen, den der Kodex vorgibt, wahrt. Sie hat weiter ausgeführt, dass dabei der der Maßstab der Sozialadäquanz entscheidend ist. Die Schiedsstelle bleibt bei dieser Spruchpraxis.
Allerdings lässt sich die Angemessenheit der Bewirtung an einem Kongressstand häufig nicht an einzelnen Merkmalen der Bewirtung ablesen. Die Abgabe von verschiedenen Kaffee-Spezialitäten, bestimmte Dekorationselemente am Stand, die Positionierung der Bewirtungsmöglichkeiten, die Verwendung von iPads sind, jeweils isoliert betrachtet, in der Regel nicht ausschlaggebend für die Gesamtbewertung. Vielmehr sind die einzelnen Elemente in ihrem Zusammenspiel, so wie sie der fremde Standbesucher wahrnimmt, zu bewerten und daraufhin zu überprüfen, ob eine sozialadäquate Bewirtung vorliegt.
Unstreitig ist, dass am Kongressstand des Unternehmens
- zwei „Coffeebars“ vorhanden warenn
- davon eine in diagonaler Ausrichtung direkt am Hauptdurchgang nach dem Eingang zur Industrieausstellung,
- die „Coffeebars“ mit vielfältigen Dekorationselementen, die an eine Alpen-/Weihnachtslandschaft erinnerten, versehen waren,
- das Angebot an Kaffeespezialitäten 6 und an Tee-Varianten 4 Sorten betrug,
- jeweils vervielfacht durch die Möglichkeit zusätzlicher Aromatisierungen mit Sirup u.ä.,
- ein sog. „Barista Signature Drink“ und weitere Getränke angeboten und
- insgesamt 2.500 Portionen Kaffee pro Tag, also 7.500 Kaffees insgesamt abgegeben worden.
Die überreichten Fotos zeigen deutlich, dass der am Hauptdurchgang gelegene Kaffeestand schon für einen flüchtigen Betrachter nicht lediglich eine untergeordnete Fläche des großen Standes einge-nommen hatte, sondern vielmehr zentral und prominent zur Schau gestellt wurde. Wer die Halle der Industrieausstellung betrat, konnte den Kaffeestand gar nicht übersehen. Dies ergibt sich aus der Positionierung, der Größe, der Ausstattung und der auffälligen Dekoration. Es ist daher offensichtlich, dass am Stand zunächst nicht die Möglichkeit zum fachlichen Austausch hervorgehoben, sondern durch die Bewirtungsangebote ein eigenständiger Anreiz zum Standbesuch geschaffen wurde. Die Möglichkeit zur Bewirtung trat gerade nicht deutlich in den Hintergrund, wie dies die Leitlinie vorgibt.
Diese Bewertung ergibt sich aus dem Zusammenwirken der verschiedenen genannten Elemente. Sie wird durch die Tatsache bestätigt, dass an einer der besten Werbestellen des Standes kein Produkt gezeigt, sondern die Bewirtung angeboten wurde. Sie wird auch durch die abgegebenen Mengen gestützt: In der Industrieausstellung waren zahlreiche weitere Firmen vertreten, die jeweils Bewirtungsangebote machten. Allein am Stand des Unternehmens wurden an drei Tagen 7.500 Tassen Kaffee an ca. 9.500 Besucher des Kongresses abgegeben. Das deutet auf einen ganz außergewöhnlichen Zuspruch hin, der die Attraktivität des Angebots widerspiegelt.
Der vom offiziellen Caterer berechnete Verdienstausfall bestätigt dies: Für die von ihm nicht bezogene Bewirtung von Kaffee, stellte er eine Umsatz-Ausfall-Gebühr in Rechnung: Seine Berechnung bezog sich auf einen Minderumsatz von 1.650 Tassen an drei Tagen. Dieser Bezugsgröße liegen die Erfahrungs-werte des Caterers zugrunde. Dieser Umsatz wurde am Stand fast um das 5-fache überschritten.
Die Schiedsstelle wies im Übrigen daraufhin, dass eine Tagungsstätte, bei deren Bewerbung die schneebedeckte Alpen-Weihnachtslandschaft in vergleichbarer Art und Weise in den Vordergrund gestellt würde, als durchaus problematisch und schwer mit § 20 Abs. 5, Abs. 3 Kodex vereinbar beurteilt würde. Eine solche Anmutung, die bei der Beurteilung von Tagungsstätten relevant ist, kann auch bei einer Standdekoration einen eigenständigen Anreiz darstellen.
Aus alledem folgte, dass die Bewirtung am Stand keineswegs deutlich in den Hintergrund trat, sondern vielmehr einen eigenständigen Anreiz zum Standbesuch darstellte. Infolgedessen war es unerheblich, ob die Verwendung von iPads oder das Angebot zur Aromatisierung von Kaffeespezialtäten, jeweils isoliert betrachtet, heute üblich ist. Die Vorgabe der Leitlinie 11.4.1 wurde ersichtlich nicht eingehalten und damit 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Kodex verletzt.
Die Beanstandung war somit begründet.
Ergebnis
Auf die Abmahnung des FSA verpflichtete sich das Mitgliedsunternehmen Merck KGaA gegenüber dem Verband, es künftig zu unterlassen, Angehörige der Fachkreise, die einen wissenschaftlichen Kongress in Deutschland besuchen, am Ausstellungsstand in einer Weise zu bewirten, bei der nicht die Informationsvermittlung, sondern die Bewirtung deutlich im Vordergrund steht und damit einen eigenständigen Anreiz zum Standbesuch darstellt, so wie es beim hier verfahrensgegenständlichen Kongressstand der Fall gewesen war.
Das Unternehmen verpflichtete sich zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von EUR 15.000 an den WASH United e.V., Berlin.
Berlin, im Februar/Oktober 2019