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§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 3 des FSA-Kodex Fachkreise und Leitlinie 12a.1: Zur Auswahl des Tagungsorts allein nach sachlichen Gesichtspunkten

Az. 2022.5-653-657, 2022.6-661-663, FS II 1/23/2022.6-664

Die Altstadtinsel Lindau bietet eine schwerpunktmäßig touristisch geprägte Infrastruktur, die eine ihren Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung vermitteln kann.

Leitsätze

  1. Für die Auslegung der Leitlinie 12a. gelten die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung des FSA-Kodex, wie sie in den „Allgemeinen Auslegungsgrundsätzen” des § 4 Abs. 1 FSA-Kodex geregelt sind.
  2. Der Begriff „Tagungsort” i.S. der Leitlinie 12a.1 ist i.S. der Definition des „Veranstaltungsorts“ in § 2 Nr. 29 des FSA-Kodex zu verstehen, nämlich als „der geografische Platz, an dem eine Veranstaltung stattfindet (z.B. die Stadt, der Ort)”. Tagungsort kann daher sowohl eine Gemeinde i.S. des Kommunalrechts als auch ein geografisch klar abtrennbarer Ortsteil einer Gemeinde sein. Maßgebend für die Beurteilung im Einzelfall ist nach der Leitlinie 12a.2 die Sichtweise Dritter (also der breiten Öffentlichkeit) und nicht die der eingeladenen Fachkreise.
  3. Eine Auswahl des Tagungsorts „allein nach sachlichen Gesichtspunkten” setzt voraus, dass „von dem Tagungsort keine seinen Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung” auswirkt. Die Regelung in Leitlinie 12a.1, 2. Bulletpoint Abs. 1, 2. Spiegelstrich ist im Umkehrschluss dahin zu verstehen, dass in der Regel eine entscheidende Prägung dann vorliegt, wenn es sich bei dem Tagungsort um eine Örtlichkeit handelt, „deren In-frastruktur schwerpunktmäßig touristisch geprägt ist”. In diesem Fall und unter Berücksichtigung der Sichtweise Dritter (Leitlinie 12a.2) ist davon auszugehen, dass die am Tagungsort bestehenden touristischen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung i.S. eines „Zweitnutzens” für die Entscheidung zur Teilnahme an der Tagung den Ausschlag geben können. Das Vorliegen einer solchen Infrastruktur ist aufgrund der Umstände des Einzel-falls zu prüfen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob unmittelbar oder mittelbar in der Werbung für die Tagung darauf hingewiesen wird. Eine Anreizwirkung kann auch dann gegeben sein, wenn für die Tagungsteilnehmer Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung vor Beginn oder nach Beendigung der Tagung bestehen (- Ergänzung zur Spruchpraxis zum Az. FS II 2/19/ 2018.12-573/4, Leitsatz 4).
  4. Die Zulässigkeit eines Tagungsorts i.S.v. § 20 Abs. 3 Kodex und den dazu erlassenen Leitlinien richtet sich in erster Linie nach den inländischen Kodex-Vorgaben. Die Bewertung einer Veranstaltung durch das Conference Vetting System/e4ethics von MedTech Europe schließt die Anwendung der Regeln des FSA-Kodex und seiner Leitlinien nicht aus.

Sachverhalt

Eine bayerische Ärztevereinigung hat in Kooperation mit einer österreichischen Gesell-schaft ihre Jahrestagung vom 19. bis 21.Mai 2022 in Lindau, genauer auf der Altstadtinsel von Lindau mit ca. 600 Teilnehmern abgehalten. Zahlreiche Firmen haben diese Veranstaltung finanziell unterstützt, u.a. die Mitgliedsfirmen Amgen GmbH, Astellas Pharma GmbH, AstraZeneca GmbH, Bayer Vital GmbH, Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, Eisai GmbH, Ipsen Pharma GmbH, MSD Sharp & Dohme GmbH und Pfizer Pharma GmbH (im Folgenden: Unternehmen).

Die Veranstaltung wurde von Dritten mit der Begründung beanstandet, es handle sich um eine Veranstaltung in einer Ferienregion, deren Sponsoring nicht kodexkonform gewesen sei.

Die Unternehmen räumten ein, die Veranstaltung finanziell unterstützt zu haben. Sie vertraten jedoch der Auffassung, die Veranstaltung habe den Rahmen gewahrt, den der Ko-dex und die Leitlinien 12f. vorgeben. Die Beanstandung sei daher unbegründet.

Im Einzelnen führten sie u.a. aus, die Veranstaltung habe einen hohen wissenschaftlichen Wert gehabt, Freizeitmöglichkeiten hätten während der Veranstaltung nicht genutzt werden können, die Wahl des Ortes sei im Hinblick auf Teilnehmer aus dem sog. „Drei-Länder-Eck” (D, CH, AT) erfolgt, die Veranstaltung sei vom Conference Vetting Sys-tem/e4ethics von MedTech Europe (- im Folgenden: CVS -) als „compliant” bewertet worden.

Die Stadt Lindau liegt am Bodenseeufer. Sie ist insbesondere für ihre Altstadtinsel bekannt, die im See liegt und nur über einen Eisenbahndamm und eine Straßenbrücke mit dem Festland verbunden ist. Die Altstadtinsel macht einen Bruchteil der Gesamtfläche der Stadt Lindau aus (0,58 km2 gegenüber 33 km2 mit 2.850 von insgesamt ca. 25.000 Einwohnern). Sie ist zu Fuss in ein bis zwei Stunden bequem zu erkunden.

Die dicht bebaute Insel hat eine homogene und gut erhaltene Bebauung aus den letzten 800 Jahren. Das historische Zentrum steht insgesamt unter Denkmalschutz. Es ist von einer Vielzahl von Restaurants, Hotels, Boutiquen, kleinen Einzelhandelsgeschäften und Ateliers übersäht. Der Verkehr konzentriert sich auf Fußgänger, Fahrräder und wenige PKWs. Die Passanten sind überwiegend Urlauber und Touristen: Familien mit Kleinkindern, ältere Paare und zahlreiche ausländische Touristen.

Das kommunale Veranstaltungsmanagement Inselhalle formuliert dazu: „Durch die historische Insel-Altstadt schlängeln sich malerische Gassen, dazwischen lugt das Blau eines glasklaren Sees hervor. Steht man dann an der berühmten Hafenpromenade, begrüßt einen der Bayerische Löwe zur linken und der südlichste Leuchtturm Deutschlands zur rechten Seite – dahinter ragen die Schweizer Alpen auf und im Osten, gleich an der Grenze zu Österreich, lockt der Bregenzer Wald.” (https://www.inselhalle-lindau.de/des-tination-lindau/ )

Auf der Insel liegt die sog. Inselhalle, in der die Veranstaltung abgehalten wurde. Sie liegt am nördlichen Inselufer zwischen einem kleinen Yachthafen und der historischen Altstadt. Mit dem Straßenübergang vor der Inselhalle betritt man die Altstadt.

Österreich und die Schweiz sind mit den Schifffahrtslinien auf dem Bodensee leicht zu erreichen, Bregenz liegt gegenüber.

Das Klima ist mild. Die Sommermonate sind warm bis heiß. Mai, Juni und September werden als „angenehm“ beschrieben; im Mai liegen die Höchstwerte oberhalb von 25 Grad.

Das CVS hatte die Veranstaltung als zulässig angesehen, eine ähnliche, aber später für den August geplante Veranstaltung jedoch mit der Begründung als „non compliant“ bewertet, „destinations renowned primarily as seasonal vacation or holiday destination (island resorts, beach resorts, lakes and other geographic locations renowned for tourism) during the summer season – June 15 to September 15“.

Zum Verfahrensgang

Der Spruchkörper 1. Instanz hat gegenüber den Mitgliedsunternehmen, die die Veran-staltung unterstützten, Abmahnungen ausgesprochen und einen Verstoß gegen § 20 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 FSA-Kodex Fachkreise (- im Folgenden: Kodex -) und der Leitlinie 12a festgestellt. Die Abmahnungen wurden mit der Anreizwirkung begründet, die der Altstadtinsel zuerkannt wurde; sie sei ein touristischer Magnet in der Region. Das besondere denkmalgeschützte Stadtbild, die Vielzahl von Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten und das milde, ja „mediterrane“ Klima – auch in der zweiten Mai-Hälfte – gäben der Altstadtinsel eine besondere Attraktivität. Dies bestätige auch die Bewertung des Ortes durch das CVS: „renowned primarily as seasonal vacation or holiday destination”.

Umstände, die diese Anreizwirkung in den Hintergrund treten ließen, fehlten nach Auffassung des Spruchkörpers 1. Instanz. Es habe sich auch nicht um eine rein regional ausgerichtete Veranstaltung gehandelt. Die Mehrheit der ärztlichen Teilnehmer (>65%) seien nicht aus der unmittelbaren und näheren Umgebung von Lindau gekommen (vgl. Leitlinie 12a.1 (iii), vielmehr hätten sich auch HCPs aus entfernten Regionen in Bayern, aus Leipzig, Berlin und Merseburg, aus NRW, Franken oder Hessen auf der Teilnehmerliste gefunden. Für diese Teilnehmer sei die Anreizwirkung offensichtlich: Bei diesen stehe nach aller Lebenserfahrung der Reiz des Urlaubsorts Lindau im Vordergrund. Daher sei der Kodexverstoß festzustellen.

Von einer Sanktionierung sah der Spruchkörper 1. Instanz im Hinblick auf die Kommunikation zur Einführung des CVS ab. Er ging insoweit von einem möglichen Verbotsirrtum der Unternehmen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Vorgaben des Kodex und der Leitlinien aus und verneinte deshalb das Verschulden.

Der Spruchkörper 1. Instanz nahm insoweit Bezug auf die Kommunikation von EFPIA hinsichtlich der Verbindlichkeit negativer Entscheidungen des CVS für EFPIA-Mitgliedsunternehmen, die jedoch die weitere Frage, ob vom CVS als „compliant” bewertete Veranstaltungen zusätzlich und regelmäßig auch den Kriterien der nationalen Codices entsprechen müssen, nicht adressiert hatte. Die Hinweise in der Kommunikation des FSA, in der auch auf die weitere Bewertung durch die Schiedsstelle hingewiesen worden war, mochte für einen Teil der Unternehmen nicht oder nur unvollständig deutlich geworden sein.

Der Spruchkörper wies deshalb ausdrücklich daraufhin, dass sich die Zulässigkeit eines Tagungsorts i.S.v. § 20 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Kodex und den dazu erlassenen Leitlinien auf jeden Fall und in erster Linie nach den inländischen Kodex-Vorgaben richtet. Er führte aus, dass eine negative Bewertung durch CVS zwar eine bindende Wirkung zwischen EFPIA und deren Mitgliedern habe, daraus folge jedoch lediglich, dass das Sponsoring einer Veranstaltung, die vom CVS nicht genehmigt wurde, von EFPIA als Verstoß gegen den dortigen Code betrachtet wird. Ein Ausschluss der nationalen Kriterien, die über jene der EFPIA und des CVS z.T. hinausgehen, sei damit nicht verbunden.

Die generelle Regelung im EFPIA-Kodex, derzufolge nationale Kodizes regelmäßig weitergehende Beschränkungen festlegen können (EFPIA Code of Practice v. 27 Juni 2019, S. 49, Sec. E: “Member Associations may adopt stricter standards.”- https://www.efpia.eu/media/676434/220718-efpia-code.pdf ) und die Kriterien von MedTech Europe/e4ethics (“Decisions do not take into account nor supplant national and local laws, regulations or professional and company codes that may impose more stringent requirements upon members or Healthcare Organisations or Healthcare Professionals.” – e4ethics, Assessment Criteria, Principles, Image and Perception, https://www.ethi-calmedtech.eu/e4ethics/assessment-criteria/ ) bestätigten diese Bewertung. Die Beurteilung nach dem Kodex erfolge regelmäßig auf der Basis einer Bewertung der Tatbestandsmerkmale im Einzelfall (vgl. Az. 2022.3-639-645, 647-649 für eine Veranstaltung im Februar, Az. FS II 2/19/ 2018.12-573/4 für eine Veranstaltung im Winter); die pauschale Berücksichtigung eines Kriteriums wie der sog. „seasonality” sei dem Kodex fremd.

Daraufhin gaben alle bis auf zwei Mitgliedsunternehmen Unterlassungserklärungen ab. Die Ipsen Pharma GmbH und die Pfizer Pharma GmbH verteidigten die Zulässigkeit ihres Sponsorings weiter.

Diese Unternehmen wiesen u.a. erneut auf die Besonderheit einer 3-Länder-Veran-stal-tung hin, die eine spezifische Betrachtung erfordere, und die als wenig konkret bezeichneten Kriterien, die im Rahmen der Abmahnung vom Spruchkörper 1. Instanz genannt wurden (Jahreszeit/Haupt- und Nebensaison, Temperaturen, touristische Attraktivität).

Der Spruchkörper 1. Instanz hat daraufhin und nach mündlicher Verhandlung die vorgebrachten Argumente überprüft, er blieb aber im Wesentlichen bei seiner Bewertung aus den Abmahnungen und hat im Dezember 2022 wie folgt entschieden:

  • Die Ipsen Pharma GmbH und die Pfizer Pharma GmbH werden ver-pflichtet, es zu unterlassen, externe Fortbildungsveranstaltungen ge-genüber den Veranstaltern finanziell zu unterstützen, von deren Ta-gungsort eine seinen Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung ausgeht oder der nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausge-wählt wurde, nämlich so wie es bei der hier verfahrensgegenständli-chen Tagung, die im Mai 2022 in der Inselhalle Lindau stattfand, der Fall gewesen war.
    Im Hinblick auf den weiteren Vortrag der beiden Unternehmen führte der Spruchkörper ergänzend aus:

Anzeichen darauf, dass die Leitlinie die Vorgaben des Kodex erweitert und gar ändert, seien substantiiert weder vorgetragen noch erkennbar. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Auslegung der Leitlinie 12a durch die Schiedsstelle über jenen Rahmen hinausgeht, den der Kodex formuliert.

Mit der Neufassung der Leitlinie sei ganz bewusst geregelt worden, dass bei der Beurteilung von Veranstaltungsorten und -stätten künftig nicht mehr die Sichtweise der Fachkreise, sondern die von Dritten, also der Öffentlichkeit relevant sei, um Reputationsrisiken zu minimieren. Daher könne die frühere Spruchpraxis der Schiedsstelle zu diesem Themenkreis nur noch mit erheblichen Einschränkungen als Präjudiz für Fälle der vorliegenden Art herangezogen werden; dies gilt z.B. für die frühere Bewertung des Ostseebads Zingst (Az. FS II 5/05/2005.5-65), auf die in der mündlichen Verhandlung verwiesen wurde.
Die in der Leitlinie 12a. genannten Kriterien seien z.T. auslegungsbedürftig. Diese Auslegung sei von den Unternehmen in ihrer täglichen Praxis und der Schiedsstelle in Streitfällen vorzunehmen. Die Konkretisierung durch die Schiedsstelle könne zwangsläufig immer nur am Einzelfall erfolgen.
Der Leitliniengeber habe den Weg einer „safe harbour”-Regelung gewählt, die es den an-gesprochenen Unternehmen erleichtern könne, einfach und schnell Entscheidungen für oder gegen einen Veranstaltungsort zu treffen. Diese „safe harbour”-Regelung setze aber voraus, dass die vorgeschlagenen Kriterien in Zweifelsfällen zurückhaltend genutzt werden.
Der Spruchkörper anerkenne, dass der Einfluss eines sponsernden Unternehmens auf die Wahl des Veranstaltungsorts einer Drittveranstaltung erheblich von dem für eine Eigenveranstaltung abweicht. Allerdings sei der Schiedsstelle wiederholt dargelegt worden, dass auch bei Drittveranstaltungen die Absage der Sponsoren dazu führen kann, dass der Veranstalter die Ortswahl überprüft und ggf. ändert. Die Veranstalter haben nachvoll-ziehbarerweise ein erhebliches Interesse daran, die Förderung ihrer Veranstaltungen durch die Wahl eines bestimmten Orts nicht in Frage zu stellen. Insofern haben die Un-ternehmen auch bei Drittveranstaltungen durchaus einen mittelbaren Einfluss auf die Ortswahl.
Die sehr gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz, die der Spruchkörper 1. Instanz zunächst kritisch gesehen hatte, wurde schließlich bejaht. Störungen wie Staus, Änderungen und Streichungen von Bahn- und Flugverbindungen usw. würden die Frage der Qualität der Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz in der Regel nicht berühren.

Die Entscheidung gegenüber der Ipsen Pharma GmbH erwuchs in Rechtskraft, diejenige gegenüber der Pfizer Pharma GmbH wurde vom Unternehmen mit einem Einspruch angegriffen. Dieses Verfahren war daher Spruchkörper 2. Instanz zu bewerten:

Wesentliche Entscheidungsgründe

  1. Zulässigkeit des Einspruchs
    Der Einspruch ist zulässig. Er ist innerhalb der Zweiwochenfrist des § 25 Abs. 1 VerfO eingelegt und begründet worden.
  2. Unbegründetheit des Einspruchs
    Der Einspruch ist jedoch unbegründet. Auch nach Auffassung des Spruchkörpers 2. In-stanz hat das Unternehmen mit dem Sponsoring der Veranstaltung gegen § 6 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 3 des FSA-Kodex Fachkreise und Leitlinie 12a.1 verstoßen, weil die Aus-wahl des Tagungsorts nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgt ist.
  3. Die Leitlinie 12a. als Grundlage der rechtlichen Beurteilung
    a) Nach 12a.1 Leitlinie steht das Sponsoring von Veranstaltungen, die in Ansehung des Tagungsortes bestimmte, näher geregelte Voraussetzungen erfüllen, in der Regel im Ein-klang mit dem Kodex. Oberster Grundsatz ist dabei, dass die Auswahl des Tagungsortes „allein nach sachlichen Gesichtspunkten“ erfolgt. Dies wird im zweiten Bulletpoint dahingehend präzisiert, dass von dem Tagungsort „keine seinen Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung“ ausgeht. Dieses Kriterium wird in den Absätzen (i), (ii) und (iii) konkretisiert.
  4. Allgemeine Grundsätze zur Auslegung der Leitlinien
    Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass die Schiedsstelle zum ersten Mal über die Anwendung und damit über die Auslegung der in Rede stehenden Regelung der Leitlinie 12a. entscheiden muss. Für die Auslegung gelten die in § 4 Abs. 1 Kodex aufgestellten „Allgemeinen Auslegungsgrundsätze“ sowie die in § 6 Abs. 2 Kodex geregelte Befugnis des Vorstands des FSA zum Erlass von Leitlinien zur Auslegung dieses Kodex. Nach § 4 Abs. 1 Kodex sind bei der Anwendung des Kodex nicht nur der Wortlaut der einzelnen Vorschriften, sondern auch dessen Geist und Intention sowie auch die geltenden Gesetze und die allgemein anerkannten Grundsätze des Berufsrechts der HCP zu beachten.
    Dies hat auch für die Auslegung der Leitlinien zu gelten. Die „Allgemeinen Auslegungsgrundsätze” entsprechen dem in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass ge-setzliche Vorschriften nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrem Sinn und Zweck und ihrem systematischen Zusammenhang mit anderen Normen auszulegen sind (teleologische und systematische Auslegung). In diesem Zusammenhang weist das Unternehmen Pfizer in der Begründung seines Einspruchs zutreffend darauf hin, dass die neue Leitlinie 12a. im Interesse der Mitgliedsunternehmen einerseits anhand objektiver und nachvollziehbarer Kriterien zu konkretisieren sei, andererseits aber auch die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Dies wird dadurch sichergestellt, dass die Leitlinie die Einschränkung „in der Regel” verwendet. Es mag daher Fälle geben, in denen eine Ausnahme gerechtfertigt sein kann, also eine relevante Anreizwirkung auch dann vorliegen kann, wenn die Infrastruktur des Tagungsorts nicht schwerpunktmäßig touristisch geprägt ist. Dazu müssen aber entsprechende Tatsachen vorgetragen werden.
  5. Alleinige Relevanz der Regelung in 12a.1 Abs. (i) 2. Spiegelstrich
    Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die Unterkriterien in 12a.1 (i) 1. und 3. Spiegelstrich erfüllt sind. Für die rechtliche Beurteilung des Falles ist daher allein das Unterkriterium in 12a.1 Abs. (i) 2. Spiegelstrich maßgebend. Danach scheidet eine entscheidende Prägung des Tagungsorts (i.S. einer Anreizwirkung) in der Regel aus, wenn es sich dabei um eine Örtlichkeit handelt, „deren Infrastruktur nicht schwerpunktmäßig touristisch geprägt ist.” Auch bei der Anwendung dieses Kriteriums ist nach 12a.2 Satz 1 die Sichtweise Dritter (also der breiten Öffentlichkeit) und nicht die der eingeladenen Fachkreise maßgeblich.
  6. Feststellung des „Tagungsorts” der Veranstaltung
    Das Unternehmen ist der Auffassung, als maßgeblicher Tagungsort sei nicht die „Altstadtinsel” als Teil der Stadt Lindau, sondern die Stadt Lindau als Ganzes anzusehen. Eine Bewertung allein des Stadtteils, der die Altstadt ausmache, wäre sachfremd und würde zu einer künstlichen Aufsplittung einer natürlichen Einheit führen (a.a.O. 3.5.4). Der Spruchkörper 2. Instanz vermag sich dieser Auffassung nicht anschließen. Der Begriff des Tagungsorts ist auslegungsbedürftig. Er ist i.S. der Definition des Begriffs des „Veranstaltungsorts” in § 2 Nr. 29 des Kodex auszulegen. Darunter ist „der geografische Platz, an dem eine Veranstaltung stattfindet (z.B. die Stadt, der Ort)” zu verstehen.
    Maßgebend ist daher nicht der Begriff der Gemeinde als kleinster Gebietskörperschaft in Deutschland, wie das Unternehmen offenbar meint. Tagungsort kann vielmehr auch eine Örtlichkeit sein, die einen geographisch klar abtrennbaren Ortsteil einer Gemeinde darstellt. Dies entspricht auch der Sichtweise Dritter (also der breiten Öffentlichkeit).
    Für Personen, die (auch) touristisch an Lindau interessiert sind, ist nicht der Festlandteil von Lindau, sondern ausschließlich die Altstadtinsel Lindau von Interesse. Die Bezeichnung „Altstadtinsel” entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser Ortsteil von Lindau ist aufgrund seines Inselcharakters, seiner Überschaubarkeit und seinen touristischen Attraktionen klar abgrenzbar vom Festlandteil der Stadt Lindau. Er ist daher als der Tagungsort i.S. der Leitlinie 12a. anzusehen, zumal auch die Tagungsstätte dort belegen ist.
  7. Erfordernis einer „schwerpunktmäßig touristisch geprägten Infrastruktur” des Tagungsorts
    Von einer „schwerpunktmäßig touristisch geprägten Infrastruktur” eines Tagungsorts ist dann auszugehen, wenn die Infrastruktur hauptsächlich die Bedürfnisse von „Touristen” decken soll. Darunter sind alle Personen zu verstehen, die nicht am Tagungsort ihren Wohnsitz haben und dort ganz oder – wie beispielsweise auswärtige Tagungsteilnehmer – zumindest teilweise ihre Freizeit verbringen. Letztlich geht es also darum, ob der Tagungsort nach seiner Infrastruktur vor allem für auswärtige Besucher solche Möglich-keiten der Freizeitgestaltung bietet, die einen entscheidenden Anreiz für einen Aufenthalt an diesem Ort darstellen. Dies gilt auch und gerade für potenzielle Teilnehmer an einer Veranstaltung, soweit es ihre Freizeit vor, während oder nach der Veranstaltung erlaubt. Liegt eine schwerpunktmäßig touristische Prägung der Infrastruktur des Tagungs- bzw. Veranstaltungsorts vor, ist daher im Umkehrschluss anzunehmen, dass von ihm eine seinen Charakter entscheidend prägende Anreizwirkung ausgeht.
  8. Vorliegen einer „schwerpunktmäßig touristisch geprägten Infrastruktur” des Tagungsorts „Altstadtinsel Lindau”
    1. Allgemeines
      Das Unternehmen ist der Auffassung, schon auf Grund der Tatsache, dass sich ein Kongresszentrum mit einer Kapazität von insgesamt 2.000 Personen und entsprechende Be-herbergungsmöglichkeiten von Kongressteilnehmern auf der Insel befinden, würde eine vermeintliche oder gar vermeintlich schwerpunktmäßig touristische Prägung durchbrochen und beseitigt. Dies gelte jedenfalls außerhalb von „ausgesprochenen Ferien-zeiten”.
      Der Spruchkörper 2. Instanz kann sich dieser Auffassung ebenfalls nicht anschließen. Das Vorhandensein eines Kongresszentrums spricht nicht gegen eine touristische Infra-struktur der Insel Lindau. Vielmehr stellt eine schwerpunktmäßig touristische Infra-struktur gerade einen zusätzlichen Anreiz für potenzielle Kongressteilnehmer i.S. eines Zweitnutzens der Teilnahme dar. Insofern besteht kein Unterschied zu wissenschaftlichen Veranstaltungen, die, wie im vorliegenden Fall, von Ärztevereinigungen durchgeführt werden.
    2. Vorliegen eines „schwerpunktmäßig touristisch geprägten Infrastruktur” der Altstadtinsel
      Die Altstadtinsel Lindau besitzt eine schwerpunktmäßig touristisch geprägte Infra-struktur. In Übereinstimmung und Ergänzung der Sachverhaltsdarstellung in der Entscheidung der 1. Instanz und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist auf die folgenden Punkte hinzuweisen, aus denen sich dies ergibt.
      1. Altstadtcharakter
        Unstreitig weist die Altstadtinsel den Charakter einer Altstadt auf. Sie hat bereits aus diesem Grund eine große Anreizwirkung für Touristen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die Altstadtinsel Lindau mit ihren zahlreichen Läden, Geschäften, Boutiquen, Lokalen und Restaurants, Hotels und Pensionen hauptsächlich vom Tourismus lebt. Daran ändert es nichts, dass davon auch die Teilnehmer an Kongressen und anderen Veranstaltungen profitieren. Denn insoweit stehen sie sonstigen Touristen gleich. Aus der Leitlinie 12a.1 Abs. (i) geht klar hervor, dass das Vorhandensein von „Veranstaltungsstätten und Übernachtungsmöglichkeiten“, die üblicherweise auch anlässlich von fachlich-wissenschaftlichen Veranstaltungen genutzt werden, nicht ausschließt, dass die Infra-struktur des Tagungsorts schwerpunktmäßig touristisch geprägt ist. Dass in Bayern auch noch an-dere Städte eine sehenswerte und damit touristisch interessante Altstadt haben, wie die vom Unternehmen vorgelegten Fotografien zeigen, ist gewiss richtig. Dies ist aber nicht der einzige Gesichtspunkt, der bei der Beurteilung der schwerpunktmäßig touris-tischen Prägung der Altstadtinsel zu berücksichtigen ist.
      2. Hafen und Bodenseeschifffahrt
        Touristisch geprägt ist die Altstadtinsel vor allem durch ihren Hafen. Eingerahmt vom bayrischen Löwen und dem Leuchtturm stellt er das Wahrzeichen der Insel und damit einen wesentlichen Bestandteil ihrer Infrastruktur dar. Der Hafen bietet gerade Touristen die Möglichkeit, mit Schiffen der Bodenseeflotte Ausflüge zu vielen bekannten und touris-tisch geschätzten Orten am Bodensee, u.a. Bregenz, Romanshorn, Konstanz, Meersburg, Friedrichshafen und Wasserburg, zu machen. Umgekehrt ermöglicht der Hafen es auch Touristen außerhalb Lindaus, per Schiff die Altstadtinsel zu besuchen. Es handelt sich dabei um „besondere Erlebnismöglichkeiten“. Die Tagung hat in der Zeit vom 19. – 21. Mai 2022 stattgefunden. Beginn der Bodenseeschifffahrt war in diesem Jahr der 10. April. Es bestand also für die Tagungsteilnehmer bereits eine, wenngleich begrenzte Möglich-keit, in ihrer Eigenschaft als Touristen an Schiffsreisen teilzunehmen, ohne dem Massen-tourismus in der Hauptsaison, insbesondere in den Ferienzeiten, ausgesetzt zu sein. In-soweit lässt sich auch im Sinne des Absatzes (ii) der Leitlinie 12a. von einer relevanten Anreizwirkung auch in diesem Zeitraum sprechen.
        Dass die Veranstalter dies ebenfalls so gesehen haben, geht eindeutig aus dem Einla-dungsflyer und dem Hauptprogramm der Tagung hervor. Darin wird auf der Titelseite eine Farbfotografie abgebildet, die den markanten Hafen mit Leuchtturm und Löwen, den Bodensee und einen einfahrenden Dampfer der Bodenseeflotte zeigt. Es handelt sich dabei um einen ganz konkreten und gezielten touristischen Anreiz für die Teilnahme an der Veranstaltung. Verstärkt wird dieser Anreiz noch durch die Einladung zu einem festlichen Abendessen auf einem solchen Schiff. Nicht zuletzt trägt das mit abgedruckte Grußwort der Oberbürgermeisterin von Lindau zu diesem Anreiz bei, heißt es doch darin: „Dort tagen, wo andere Urlaub machen“.
      3. Staatliches Spielkasino
        Als weitere, in der bisherigen Erörterung noch nicht berücksichtigte touristische Attraktion der Altstadtinsel ist das staatliche Spielkasino mit Restaurant zu nennen. Es handelt sich dabei um einen Anreiz zur Freizeitgestaltung, der gerade auch für Teil-nehmer der Veranstaltung von Interesse sein kann.
      4. Museen und Ausstellungen
        Zur touristischen Prägung der Altstadtinsel tragen u.a. das „Kunstmuseum am Insel-bahnhof Lindau” die nahegelegene Oldtimer-Dauerausstellung am Segelhafen und son-stige Ausstellungen bei.
      5. Weitere Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung
        Die Altstadtinsel mit ihren sehenswerten Gebäuden, insbesondere auch Läden, Ges-chäften, Gasthäusern und Lokalen, lädt ihre Besucher zu einem „Altstadtbummel“ ein, zumal der Autoverkehr im Innern der Altstadt weitgehend ausgeschlossen ist. Hinzukom-men die Möglichkeiten der Besucher der Altstadtinsel zum Baden, Segeln und Rudern. Die Insel lebt daher, sieht man den Wintermonaten ab, vom Tourismus.
  9. Nutzung der touristischen Prägung der „Altstadtinsel Lindau” in der Werbung für die Tagung
    Nicht unberücksichtigt kann bleiben, dass die touristische Prägung der Insel auch zur Werbung für die Tagung genutzt wurde. Zum einen ist auf die Abbildung eines in den Lindauer Hafen einfahrenden Bodenseeschiffs auf dem Einladungsflyer und der ersten Seite des Hauptprogramms der Tagung hinzuweisen. Zum anderen war für Freitag, den 20.05.2022, ein „Gesellschaftsabend auf dem Schiff Lindau” geplant. Dies ist ein wei-te-res, schwerwiegendes Indiz dafür, dass die Veranstalter damit auf die Entscheidung der angesprochenen Personen für eine Teilnahme an der Tagung einwirken wollten. Dass das Unternehmen auf diese Planung möglicherweise keinen Einfluss nehmen wollte oder konnte, ist unerheblich, wie in der Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz ausgeführt ist.
  10. Bedeutung des Zeitpunkts der Tagung
    Die Tagung sollte am Donnerstag, den 19.05.2022 beginnen und am Samstag, den 21.05.2022 gegen Mittag enden. Interessierte Teilnehmer konnten daher nicht nur die Abende, sondern auch das Wochenende für Freizeitaktivitäten nutzen. Dass die Temperaturen und Witterungsverhältnisse im Zeitpunkt der Planung der Veranstaltung in Lindau nicht exakt vorhersehbar waren, sollte unstreitig sein. Jedenfalls konnten in diesem Zeitpunkt die Teilnehmer schon Schiffe der Bodenseeflotte nutzen. Auch waren die Tage hell genug, dass Teilnehmer noch am Abend Angebote zur touristischen Freizeitgestaltung, wie z.B. Besichtigung der Altstadt oder Besuch der Spielbank, nutzen konnten.
  11. Bedeutung der CVS-Beurteilung
    Was die CVS-Beurteilung der geplanten Tagung als „compliant” angeht, teilt der Spruchkörper 2. Instanz die ausführliche Würdigung in der Entscheidung des Spruch-körpers 1. Instanz. Bindend im Hinblick auf die „seasonality” der Veranstaltung ist da-nach lediglich die Beurteilung einer solchen Veranstaltung in den Sommermonaten als „non compliant” (vgl. auch Dieners, in: Dieners, Compliance im Gesundheitswesen, 4. Aufl., 2022, S. 112 zu IV. Conference Vetting System). Abgesehen davon fehlt in der CVS-Beurteilung jegliche nähere Beschreibung und Beurteilung der Verhältnisse in der Altstadtinsel.
  12. Berücksichtigung der Beteiligung der österreichischen Gesellschaft an der Veranstaltung
    Nach Auffassung des Unternehmens soll bei der Beurteilung der Wahl des Tagungsorts auch berücksichtigt werden, dass eine österreichische Gesellschaft als Mitveranstalter auftrat. Die Wahl von Lindau als Tagungsort sei gerechtfertigt, weil dieser Ort im Hinblick auf seine Erreichbarkeit gerade auch für österreichische Teilnehmer idealtypisch geeignet sei.
    Auch dieser Auffassung kann der Spruchkörper 2. Instanz nicht zustimmen. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der Großteil der österreichischen Teilnehmer aus den Großstädten Wien, Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck kam. Ist aber die Altstadtinsel Lindau schon für den Großteil der bayerischen Teilnehmer im Vergleich zu anderen Orten in Bayern schwer erreichbar, so galt dies erst recht für den Großteil der österreichischen Teilnehmer. So beträgt beispielsweise die kürzeste Autostrecke von Wien nach Lindau 612 km und die schnellste Zugverbindung von Wien nach Lindau 6 Stunden 37 Min. Dass Lindau auch für Teilnehmer aus der Schweiz und aus Baden-Württemberg gut erreichbar war, spielt bei der Beurteilung keine maßgebliche Rolle.
    Als Alternativen für derartige Doppelveranstaltungen in Bayern boten und bieten sich insbesondere die Städte Augsburg, Kempten, Landshut, Memmingen, München, Rosen-heim und Straubing an. Hinzuweisen in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die für das Jahr 2023 geplante Tagung der beiden Gesellschaften unter österreichischer Leitung in Linz stattfinden soll, also einer Stadt, die auch für bayrische Teilnehmer sowohl mit der Bahn als auch mit dem Auto leicht erreichbar ist.
  13. 13. Inhaltliche Übereinstimmung mit der Entscheidung des Spruchkörpers 2. In-stanz im Fall „Prien am Chiemsee“
    Die Entscheidung stimmt inhaltlich mit der Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz v. 10.4.2018, Az. II. Instanz 2/17/2017.6-522 zum Tagungsort Prien am Chiemsee überein. Der Spruchkörper 2. Instanz stellte damals fest, dass seinerzeit die Auswahl des Tagung-sortes Prien nicht allein nach sachlichen Gründen erfolgt war. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Chiemsee ein bekanntes bayerisches Urlaubsgebiet sei, dass Prien demgemäß eine attraktive Lage habe und aus Sicht der meisten eingeladenen Ärzte einen nicht unerheblichen Freizeitwert aufweise. Als zumutbare Alternativen wurden die Orte Rosenheim und München genannt.
    Diese Entscheidung ist zwar noch vor Erlass der Leitlinie 12a. ergangen und vergleichsweise knapp begründet. Wenn aber damals schon Prien am Chiemsee als Tagungsort beanstandet wurde, so gilt dies erst recht für die Altstadtinsel Lindau, deren touristische Attraktivität weitaus höher einzuschätzen ist.

Entscheidung

Der Einspruch der Pfizer Pharma GmbH gegen die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz vom 21.12.2022 wird verworfen.

Da ein Verstoß gegen § 20 Abs. 3 Satz 2 FSA-Kodex i.V. mit der Leitlinie 12a. vorliegt, ist die Entscheidung der 1. Instanz zu bestätigen. Gegen die Formulierung des Verbots bestehen keine Bedenken. Der Verstoß gegen die Leitlinie begründet nach allgemeinen Grundsätzen die Vermutung für eine Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung erstreckt sich auf alle im Kern gleichartigen Verstöße (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8 Rn. 1.43 und 1.46). Der Unterlassungsanspruch setzt auch kein Verschul-den des Handelnden voraus (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8 Rn. 1.2). Bei der Auslegung des Verbots sind die vorstehenden Gründe zu beachten.

Der Spruchkörper 2. Instanz sieht ebenso wie der Spruchkörper 1. Instanz davon ab, nach § 24 Abs. 3 Satz 1 VerfO eine Geldstrafe festzusetzen. Er geht davon aus, dass das Unternehmen im Hinblick auf die noch ungeklärte Rechtslage bei der Auslegung und An-wendung der Leitlinie 12a. und auf die positive Stellungnahme des CVS kein Schuldvorwurf trifft, vielmehr einem Verbotsirrtum erlegen ist (vgl. Dieners/Reese, in: Dieners, Compliance im Gesundheitswesen, 4. Aufl., 2020, S. 933/934). Er berücksichtigt dabei auch, dass das betroffene Mitglied auf die Planung des Orts der Veranstaltung und des Programms keinen Einfluss genommen hat und dass es organisatorische Maßnahmen als Reaktion auf das beanstandete Verhalten im Allgemeinen sowie im jeweiligen Einzelfall in Aussicht gestellt hat.

Die Entscheidung des Spruchkörpers 2. Instanz ist nach § 26 Abs. 1 VerfO unanfechtbar. Ein Rechtsbehelf ist insoweit nicht möglich.

Berlin, im April 2023