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§ 19 des Kodex; Anwendungsbeobachtungen – Zulässigkeit, Grundsätze für die Aufwandsentschädigung und Vergütung für Nachverordnungsdokumentation

AZ.: 2005.8-87 (1. Instanz)

Leitsatz

  1. Die Durchführung einer Anwendungsbeobachtung ist unzulässig, wenn bereits in den Projektunterlagen erwähnt wird, dass eine Ein- bzw. Umstellung auf ein anderes Präparat als Teilnahmevoraussetzung erforderlich ist.

  2. Für die Prüfung der Angemessenheit einer Aufwandsentschädigung bei der Durchführung einer Anwendungsbeobachtung sind die Grundsätze der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) heranzuziehen. Dabei kommt es hinsichtlich der Höhe der Aufwandsentschädigung nicht auf die allgemeine Marktüblichkeit für Aufwandsentschädigungen an.

  3. Die Überlassung eines Gutscheins im Wert von 5,00 EUR als „Trinkgeld“ für die Dokumentation der Nachverordnung durch eine Arzthelferin stellt die Gewährung eines geldwerten Vorteils an Dritte dar und verstößt gegen den Kodex.

Sachverhalt

Ein Mitgliedsunternehmen hat in Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus eine Anwendungsbeobachtung gesponsert und unterstützt. Den Unterlagen zur Anwendungsbeobachtung, die den teilnehmenden Ärzten ausgehändigt wurden, war u. a. ein Projektplan beigefügt, der ein Ablaufschema, eine Teilnahmeerklärung der teilnehmenden Ärzte zur Durchführung der Datenerhebung sowie einen Patientendokumentationsbogen zur Eingangsuntersuchung, Nachverordnung und Abschlussuntersuchung enthielt. Als Dokumentationskriterium war im Projektplan u. a. die Vorgabe gemacht, dass „die geplante Neueinstellung oder Umstellung auf das Medikament durch den behandelnden Arzt“ zu erfolgen hat. Zum Projektablauf wird beschrieben, dass, „ab diesem Zeitpunkt prospektiv auf den Dokumentationsbögen die Daten der Patienten, die Sie auf das Medikament ein- bzw. umstellen, zu dokumentieren sind“.

Auf der Teilnahmeerklärung zur Durchführung der Datenerhebung wurde den teilnehmenden Ärzten pro vollständig dokumentierten Patienten eine Aufwandsentschädigung von max. 70,00 EUR (inkl. MwSt.) zugesagt, hiervon entfielen 50,00 EUR auf die vollständig ausgefüllten Eingangsuntersuchungsunterlagen sowie 20,00 EUR auf die vollständig ausgefüllten Abschlussunterlagen.

Der Projektplan sieht weiterhin vor, dass Nachverordnungen des Medikaments während der Anwen-dungsbeobachtung durch Arzthelferinnen dokumentiert werden, wofür diese als Gegenleistung ein Honorar in Form eines „Trinkgelds“ (Gutschein) im Wert von 5,00 EURerhielten.

Wesentliche Entscheidungsgründe

1. Es liegt immer ein Verstoß gegen § 19 Abs. 2 des Kodex vor, wenn bei Anwendungsbeobachtungen im Hinblick auf die therapeutische und diagnostische Maßnahme der Grundsatz der Nichtintervention verletzt wird. Der Grundsatz der Nichtintervention verlangt, dass dem behandelnden Arzt keine studienspezifischen Vorgaben gemacht werden dürfen, ob überhaupt und mit welchen Arzneimitteln zu therapieren oder zu diagnostizieren ist, sowie die Modalitäten der Behandlung festzulegen, und unter welchen Umständen die Therapie abgesetzt bzw. geändert wird (s. auch Dieners „Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten“, S. 200, Rd.Nr. 62). Hier war Voraussetzung für die Teilnahme an der Anwendungsbeobachtung, dass der teilnehmende Arzt die Patienten auf das von dem Mitgliedsunternehmen vertriebene Medikament neu einstellte oder umstellte. Das allein stellt bereits einen Kodexverstoß dar. Dabei kommt es nicht darauf an, dass in den weiteren Unterlagen, die den Ärzten ausgehändigt wurden, mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass der Arzt individuell die Entscheidung treffen müsse, ob er an der Anwendungsbeobachtung teilnehmen wolle oder nicht. Allein die Tatsache, dass aus den Unterlagen ersichtlich ist, dass eine Umstellung erforderlich ist, um an der Anwendungsbeobachtung teilnehmen zu können, aber auch die dafür ausgelobte Vergütung zu erhalten, stellt schon einen Kodexverstoß im Sinne des § 19 Abs. 2 dar. Ziel einer Anwendungsbeobachtung ist es nicht, den Arzt in seiner Therapiefreiheit dahingehend zu beeinflussen, den Patienten bei Zahlung einer Aufwandsentschädigung auf ein bestimmtes Arzneimittel ein- bzw. umzustellen. Bei einer Anwendungsbeobachtung soll das pharmazeutische Unternehmen Informationen über die routinemäßige Anwendung eines Arzneimittels, indem es dem Arzt über „die Schulter“ schaut, erhalten (Dieners, a.a.o.) Ein „über die Schulter schauen“ liegt aber dann nicht vor, wenn der Arzt nur unter der Voraussetzung an einer Anwendungsbeobachtung teilnehmen kann, dass er zuvor seine Patienten auf das zu beobachtende Medikament ein- bzw. umgestellt hat.

2. Selbst wenn als Vergütung von Anwendungsbeobachtungen in der pharmazeutischen Industrie ein Betrag von 70.00 EUR als „marktüblich“ angesehen wird, hält der Spruchkörper 1. Instanz allein schon aus Transparenz- und Äquivalenzgesichtspunkten die Anwendung der Grundsätze der GOÄ für ein geeignetes Mittel, die angemessene Vergütung für die Teilnahme an einer Anwendungsbeobachtung zu ermitteln. Das Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen (GOÄ) sieht im Abschnitt VI unter Nr. 80 eine Gebühr für eine „schriftliche gutachterliche Äußerung“ vor. Der einfache Satz beträgt hierbei zurzeit 17,49 EUR. Sofern sich der Dokumentationsaufwand in einem Zeitrahmen von 15 – 20 Minuten hält, wird eine pauschale Vergütung in Anlehnung an die Ziffer 80 GOÄ als angemessen betrachtet, die je nach Schwierigkeitsgrad der Dokumentation bis zum 2,3-fachen Vergütungssatz aufgewertet werden kann. Im vorliegenden Fall war für den ermittelten Zeitaufwand von ca. 20 Minuten die tatsächlich gezahlte Aufwandsentschädigung in Höhe von 70,00 EUR deutlich über den Gebührensätzen der GOÄ. Somit war ein Verstoß gegen den § 4 Abs. 3 des Kodex gegeben, da ein angemessenes Verhältnis zur erbrachten Leistung nicht mehr gegeben war.
Allein durch die Höhe der Vergütung konnte nicht ausgeschlossen werden, dass für den Arzt ein Anreiz zur Teilnahme an der Anwendungsbeobachtung und zur Verordnung des infrage stehenden Arzneimittels entstand.

3. Nach dem Kodex ist es pharmazeutischen Unternehmen und deren Mitarbeitern verboten, ein Entgelt anzubieten, wie hier in Form eines Trinkgelds für die Dokumentation der Nachverordnung geschehen. Dieners folgend (S. 196, Rd.Nr. 93) gilt dies auch dann, wenn das Entgelt oder ein sonstiger Vorteil Dritten, wie z. B. Mitarbeitern des Arztes, zufließt oder zufließen soll. Im vorliegenden Fall wurde für die Dokumentation der Nachverordnung der Arzthelferin ein Honorar in Form eines „Trinkgelds“ versprochen, das in Form eines Gutscheins im Wert von 5,00 EUR für jede Nachverordnungsdokumentation gewährt wurde. Der Gutschein konnte im Internet-Shop des Unternehmens in verschiedene Geschenkartikel eingelöst werden. Nach Auffassung des Spruchkörpers liegt in der Überlassung eines Gutscheins im Wert von 5,00 EUR ein geldwerter Vorteil, dessen Gewährung an Dritte gegen§ 4 Abs. 6 des Kodex verstößt.

Ergebnis

Der Spruchkörper 1. Instanz hat durch Entscheidung festgestellt, dass für jeden Fall schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die Durchführung obiger Anwendungsbeobachtung ein Ordnungsgeld in Höhe von 15.000 EUR, im Falle der überhöhten Vergütung in Höhe von 10.000 EUR und im Falle der Hergabe von „Trinkgeldern“ an Arzthelferinnen in Höhe von 10.000 EUR zu bezahlen sind. Gegen die Entscheidung wurde kein Einspruch eingelegt, sodass das Verfahren abgeschlossen ist.


Berlin, im Februar 2006