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§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr.7 (dort Satz 3) i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 S. 1 FSA-Kodex Fachkreise

AZ.: 2013.2-345

Leitsatz

Zur Trennung von Verordnungsentscheidung und AWB-Einschluss.

Sachverhalt

Die Bencard Allergie GmbH (nachfolgend „Unternehmen“) finanzierte als Sponsor eine „Anwendungsbeobachtung“ mit dem Titel: „Patienten-Compliance bei Teilnahme an Recall-Systemen in der Anwendung von TA Bäume top, TA Gräser top oder Pollinex Quattro Plus“ (nachfolgend „AWB“ oder „NIP“ – Abkürzung für nicht-interventionelle Prüfung – genannt). Die Arzneimittel gehören zu den Allergenextrakten, die zur Hyposensibilisierung von Allergikern im Rahmen der sog. Spezifischen Immuntherapie („SIT“) über mindestens 3 Jahre eingesetzt werden. Die wissenschaftliche Leitung und Studienorganisation lag bei Dr. S., einem niedergelassenen Hautarzt und Allergologen in Baden-Württemberg. Auftraggeber ist das Unternehmen, bei dem u.a. ein Projektleiter, Ansprechpartner für Vertragsangelegenheiten und Nebenwirkungen benannt wurden. Die Studie wurde dem Paul-Ehrlich Institut („PEI“) angezeigt; Dr. S. hat ein Votum der Ethikkommission bei der zuständigen Landesärztekammer eingeholt, die keine Bedenken gegen die Durchführung der AWB erhob.

Die vom Unternehmen für die AWB vorgelegten Unterlagen bestehen u. a. aus zwei Broschüren, einer „Arztmappe“ und einer „Patientenmappe“. In dem in der Arztmappe enthaltenen Beobachtungsplan wird als Ziel der NIP genannt, „die Compliance-Verbesserung bei der Therapie mit Pollinex Quattro Plus, TA Gräser top oder TA Bäume top in Abhängigkeit eines Patienten-Recall-Systems zu untersuchen.“ Als weitere (sekundäre) Ziele „sollen Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie unter Praxisbedingungen an einem großen Patientenkollektiv beobachtet werden.“ In der Patienteninformation heißt es: „Ziel dieser Erhebung ist es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie lange eine Allergieimpfung durchschnittlich dauert und was die Patienten dazu bewegt, eine solche Therapie fortzuführen oder sie abzubrechen.“

In einem Rundschreiben („Anwendungsbeobachtung bei SIT/Hyposensilibisierungs-Therapie“) warb Dr. S. bei ärztlichen Kollegen um Teilnahme an der NIP. Dort wurde erwähnt, dass „bei den meisten Studien“ die Teilnahme der Patienten im 3. Hyposensilibilisierungsjahr bei unter 50% liege. Da somit kein ausreichender Therapieerfolg erzielt werde, sei es aus medizinischen Gründen unbedingt erforderlich, die Compliance zu verbessern: „Es wäre ein hervorragender Erfolg, wenn wir einen Anteil von ca. 70% der Patienten im 3. Jahr bei der Durchführung einer Hyposensilibisierungs-Therapie erreichen könnten.“ Das erforderliche Recall-System wurde wie folgt beschrieben: „Die Erinnerung an die Injektion sollte in der 1. Woche nach Überschreitung des vorgesehenen Injektionstermins erfolgen. Dazu ist es notwendig, dass eine Mitarbeiterin Ihrer Praxis (i.d.R. MFA) die Injektionstabelle von allen an der Studie teilnehmenden Patienten durchblättert und säumige Patienten herausfiltert, um diesen dann eine SMS oder E-Mail zu schicken.“

Das Unternehmen betonte, dass es bislang keine AWB’s in diesem Therapiebereich gäbe, die eine direkte Betreuung des Patienten („Recall“) durch den behandelnden Arzt vorsehe; bisherige Studien zur Verbesserung der Compliance seien vom Hersteller direkt gegenüber den Patienten durchgeführt worden und hätten eine nur eingeschränkte Compliance-Verbesserung bewirkt.

Den an der AWB teilnehmenden Ärzten wurden pro Patient folgende Vergütungen vom Unternehmen zugesagt: Einmalig 20,00 € für eine Eingangsuntersuchung, einmalig 20,00 € für Fax-, Porto-, Telefonkosten, jährlich 80,00 € für die Dokumentation der Injektionen und die Ausfüllung eines Symptomfragebogens. Für eine 3-jährige Therapiedauer konnten die Ärzte demnach pro Patient insgesamt 280,00 €, für eine 4-jährige Dauer insgesamt 360,00 € erhalten. Es war bezweckt, 3.000 Patienten in 50 Zentren in die AWB, ausschließlich in Baden-Württemberg, einzubeziehen.

Im Anschluss an die Darstellung der zu erzielenden Vergütungen wurde begründet, warum Patienten, die mit einer Hyposensilibisierungs-Therapie beginnen, in die AWB nur aufgenommen werden könnten, wenn sie mit den entsprechenden Arzneimitteln des Unternehmens behandelt würden. Nachdem er, Dr. S., mit verschiedenen anderen Allergenherstellern intensive Gespräche geführt habe, sei letztlich mit dem Unternehmen ein guter Vertragspartner gefunden worden: „Verständlicherweise kann Bencard nur eine Anwendungsbeobachtungs-Studie finanzieren, die auch mit ihren Produkten durchgeführt wird.“

Am Schluss des Schreibens werden die ärztlichen Kollegen auf folgendes verwiesen: „Falls Sie mit den Präparaten der Firma Bencard bis heute nicht sehr vertraut waren, gibt es die Möglichkeit, dass ein Außendienst-Mitarbeiter [des Unternehmens] Sie baldmöglichst persönlich über die Anwendung der Präparate [des Unternehmens] informiert.“

Dem Schreiben war ein vorgedrucktes Antwortfax beigefügt, mit dem sich interessierte Ärzte für eine Teilnahme an der NIP anmelden konnten. In dem Formular war folgende Bitte mit „Ja“ oder „Nein“ anzukreuzen: „Ich bitte um einen baldmöglichen Besuch eines Außendienst-Mitarbeiters der Firma Bencard, um über die Modalitäten beim Einsatz von Hyposensilibisierungs-Lösungen der Firma Bencard informiert (zu) werden.“

Im Auftrag des Spruchkörpers 1. Instanz erstellte ein Gutachter, der einen Lehrstuhl für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an einer deutschen Hochschule inne hat, ein Gutachten zu der Fragestellung, ob die Studie den an eine nicht-interventionelle Prüfung zu stellenden Anforderungen entspricht. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass das Vorhaben des Unternehmens vor allem deshalb nicht als NIP durchgeführt werden könne, weil die Untersuchung der Compliance-Verbesserung unter dem Einfluss eines Patienten-Recall-Systems gegen den Grundsatz der Nichtintervention verstoße. Die Therapie-Überwachung durch ein derartiges Erinnerungssystem gehöre nicht zur üblichen ärztlichen Praxis in Deutschland. Zudem sei das Design der NIP ungeeignet, Erkenntnisse für deren Hauptziel zu gewinnen. Die Frage, ob ein Recall-System tatsächlich zu einer Verbesserung führe, könne allenfalls bei Etablierung einer Kontrollgruppe beantwortet werden.

Darüber hinaus stellt das Gutachten mehrere Defizite im Beobachtungsplan fest.

Rechtliche Begründung

Der Spruchkörper 1. Instanz hat das Unternehmen abgemahnt, da durch die Finanzierung der NIP, insbesondere durch das Versprechen und/oder Gewähren von Vergütungen bzw. Aufwandsentschädigungen für die teilnehmenden Ärzte, gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr.7 (dort Satz 3) i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 S. 1 FSA-Kodex Fachkreise (hiernach „Kodex“) verstoßen würde. Das Vorhaben sei mit der vorgegebenen primären Fragestellung („Compliance-Verbesserung in Abhängigkeit eines Patienten-Recall-Systems“) wegen der dadurch bedingten methodischen Vorgabe eines Patienten-Recall-Systems nicht als NIP durchführbar, weshalb die Grundlage für die den teilnehmenden Ärzten zugesagten bzw. gewährten Vergütungen entfalle. Die Durchführung der NIP mit der Maßgabe, nur Patienten einzubeziehen, denen Allergenprä-parate vom Unternehmen zu Beginn einer Behandlung im Rahmen der SIT verordnet werden, stelle im vorgegebenen Zusammenhang eine missbräuchliche Beeinflussung von ärztlichen Verordnungsentscheidungen dar. Das Vorhaben könne nicht als AWB / NIP durchgeführt werden, weil es gegen den Grundsatz der Nichtintervention verstoße; dies wird unter Hinweis auf die Feststellungen des Gutachtens weiter ausgeführt. Die Entscheidung über den Ablauf einer Therapie, deren Überwachung sowie die eventuelle Förderung der Therapietreue seiner Patienten liege allein in der Therapiehoheit des behandelnden Arztes.

Da das vom Unternehmen finanzierte Vorhaben wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtintervention als AWB unzulässig sei, entfalle die Grundlage für eine übliche Vergütung als Entschädigung für den zusätzlichen Sach- und Dokumentationsaufwand der an einer AWB teilnehmenden Ärzte.

Weiteres Verfahren

Das Unternehmen hat auf die Abmahnung keine Unterlassungserklärung abgegeben und insbesondere zur Frage der Nichtintervention weiter vorgetragen. Dazu hat es sich auf die gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Nichtintervention des Dipl.-Mathematikers L. berufen, der ein Büro für Biometrie und Statistik unterhält und für das Unternehmen auch den Statistischen Analyseplan zur AWB erstellt hatte. Dieser Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass Recall-Systeme im Rahmen der SIT sehr wohl angewendet würden. Unternehmen böten Patienten, ggf. unter Einschluss des behandelnden Arztes, solche Erinnerungshilfen für die Fortsetzung der Therapie an.

Das Unternehmen trug dazu vor, dass in dem von ihm angebotenen Recall-System (- das keine Compliance-Betreuung der o.g. Art durch den behandelnden Arzt vorsieht -) derzeit mehr als 4500 Patienten „aktiv“ seien. Derartige Recall-Systeme dienten lediglich der „Unterstützung“ der nach den Leitlinien durchzuführenden Hyposensilibisierungs-Therapie. Ein Eingriff in „Diagnose, Therapie und Überwachung von Patienten“ sei damit nicht verbunden. Die im Gutachten angeführten Defizite des Designs und des Beobachtungsplans weist das Unternehmen zurück. Insbesondere sei eine Kontrollgruppe bei der NIP entbehrlich, da im Hinblick auf Patienten-Compliance ohne Einsatz eines Recall-Systems Vergleichsdaten bereits vorlägen.

Die den Ärzten zugesagten und/oder gezahlten Vergütungen seien als Gegenleistung im Rahmen einer sonstigen vertraglichen Zusammenarbeit gemäß § 18 Abs. 1 Kodex gerechtfertigt. Maßnahmen der Ärzte zur Förderung der Therapietreue ihrer Patienten gehören zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit und kommen in erster Linie den Patienten zugute. Auch ein „Erinnerungsdienst“ zur Wahrnehmung der Injektionen im Rahmen der SIT ist daher keine fachliche Tätigkeit für das Unternehmen, wie nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 Kodex gefordert. Das Unternehmen verwies insoweit auch auf die Entscheidung des Spruchkörpers 1. Instanz zum Az. 2011.12-315.

Auf Antrag des Unternehmens wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Sach- und Rechtslage weiter erörtert wurde.

Ergebnis

Nach Abschluss der mündlichen Verhandlung gab das Unternehmen eine mit einer Vertragsstrafe bewehrte Unterlassungserklärung ab, in der es sich verpflichtete,

1. es zu unterlassen, für die Anwendungsbeobachtung „Patienten-Compliance bei Teilnahme an Recall-Systemen in der Anwendung von TA Bäume top, TA-Gräser, TA Kräuter top oder Pollinex Quattro Plus“ (nachfolgend „AWB Patienten Compliance“) mit den Aussagen zu werben oder werben zu lassen

a. „Verständlicherweise kann die Firma Bencard nur eine Anwendungsbeobachtungs-Studie finanzieren, die auch mit ihren Produkten durchgeführt wird“

und/oder

b. „Falls Sie mit den Präparaten der Firma Bencard bis heute nicht sehr vertraut waren, gibt es die Möglichkeit, dass ein Außendienst-Mitarbeiter der Firma Bencard Sie baldmöglichst persönlich über die Anwendung der Bencard-Präparate informiert.“

und/oder

c. mit einem vorgedruckten Antwortfax mit dem Text „Ich bitte um einen baldmöglichen Besuch eines Außendienst-Mitarbeiters der Firma Bencard, um über die Modalitäten beim Einsatz von Hyposensibilisierungs-Lösungen der Firma Bencard informiert (zu) werden.“;

wie zu Ziffer 1 a., b. und c. in dem Anschreiben vom …. geschehen;

und/oder

für die AWB Patienten Compliance:

d. Patienten anzusprechen (oder ansprechen zu lassen), denen noch nicht zuvor und zeitlich separat von ihrem Arzt eine Behandlung mit einem Bencard-Präparat verordnet worden ist;

und/oder

e. die Größe des Patientenkollektivs mit mehr als 2.000 Patienten anzusetzen und/oder eine regionale Beschränkung festzusetzen;

und/oder

f. teilnehmenden Ärzten Vergütungen und Aufwandsentschädigungen für Leistungen anzubieten oder zu zahlen, die (i) für die Durchführung der AWB Patienten Compliance nicht erforderlich sind oder die (ii) die Ärzte bereits ohnehin gegenüber ihren Patienten schulden oder (iii) für die Ärzte eine Vergütung von der Krankenversicherung des/der Patienten/in beanspruchen können;

und/oder

g. die beanstandeten Unterlagen weiter zu verwenden (oder verwenden zu lassen), insbesondere das Einladungsschreiben vom …., ohne sicherzustellen, dass (i) die vorstehend genannten Punkte berücksichtigt, (ii) die Verantwortungszuweisungen (Sponsor, Projektleiter, wissenschaftlicher Leiter usw.) klar und eindeutig kommuniziert werden und (iii) die in Aussicht gestellte angemessene Vergütung sich nur auf die Leistungen bezieht, die über die Praxisroutine und die dem Patienten geschuldete ärztliche Leistung hinausgehen.

Der FSA hat die Unterlassungserklärung angenommen; das Verfahren wurde damit abgeschlossen.

Berlin, im Juni 2014